Little Women. Vier Schwestern halten zusammen. Louisa May Alcott

Читать онлайн книгу.

Little Women. Vier Schwestern halten zusammen - Louisa May Alcott


Скачать книгу
allein war, die Tränen von den vergilbten Tasten wischte, die so hoffnungslos verstimmt waren. Sie sang bei der Arbeit wie eine kleine Lerche, wurde nie müde, für Marmee und die Schwestern zu spielen, und sagte sich jeden Tag aufs Neue: »Ich weiß, wenn ich brav bin, darf ich irgendwann nach Herzenslust musizieren.«

      Es gibt viele Beths auf dieser Welt. Schüchtern und still sitzen sie in der Ecke, bis sie gebraucht werden, und sie leben mit solcher Freude für andere, dass niemand ihre Opfer bemerkt, bis das kleine Heimchen am Herd nicht mehr zirpt, das süße, sonnige Wesen verschwindet und Stille und Schatten zurücklässt.

      Hätte irgendjemand Amy nach der größten Herausforderung in ihrem Leben gefragt, hätte sie sofort geantwortet: »Meine Nase.« Jo hatte sie als Baby aus Versehen in einen Kohleeimer fallen lassen, und Amy behauptete beharrlich, dass der Sturz ihre Nase für immer verunstaltet habe. Sie war weder groß noch rot wie die des armen Jacob im Märchen vom »Zwerg Nase«, sie war einfach nur ziemlich flach, und alles Kneifen dieser Welt konnte aus ihrer Knubbelnase keine aristokratische machen. Niemand außer Amy störte sich daran, außerdem gab sich ihre Nase alle Mühe zu wachsen, aber Amy wollte unbedingt ein griechisches Profil, das sie sich zum Trost seitenweise zeichnete.

      »Der kleiner Raphael«, wie ihre Schwestern sie nannten, hatte nämlich ein ausgesprochenes Talent zum Zeichnen und war am glücklichsten, wenn sie Blumen malen, Feen entwerfen oder Geschichten mit seltsamen Fantasiegestalten illustrieren konnte. Ihr Lehrer beklagte sich, weil sie ihre Schiefertafel mit Tieren verzierte, statt ihre Rechenaufgaben zu machen. Auf die leeren Seiten ihres Atlas kopierte Amy Karten, und aus ihren Büchern fielen regelmäßig im ungünstigsten Moment die aberwitzigsten Karikaturen. Sie mühte sich so gut es ging durch den Unterricht und vermied Rügen, indem sie tadellose Manieren an den Tag legte. Da sie freundlich war und zu gefallen wusste, ohne dass es bemüht wirkte, war sie in der Schule sehr beliebt. Ihre kleinen Allüren wurden ebenso bewundert wie ihre Talente, denn außer zeichnen konnte sie zwölf Lieder auf dem Klavier und Krocket spielen sowie Französisch lesen, ohne mehr als zwei Drittel der Worte falsch auszusprechen. Sie hatte eine mitleiderregende Art zu sagen: »Als Papa noch reich war, haben wir dies oder jenes getan«, die sehr zu Herzen ging, und auch ihre komplizierten langen Wörter fanden die anderen Mädchen »überaus elegant«.

      Amy war auf dem besten Weg, verzogen zu werden, denn sie wurde von allen verhätschelt, und ihre Koketterien und Egoismen nahmen fleißig zu. Eines jedoch dämpfte ihre Eitelkeit gehörig: Sie musste die Kleider ihrer Cousine Florence tragen. Leider hatte deren Mutter nicht den geringsten Geschmack, und Amy litt zutiefst darunter, eine rote Haube zu tragen statt einer blauen, wenig schmeichelhafte Kleider und tantenhafte Schürzen, die ihr nicht richtig passten. Alles war von guter Qualität und in gutem Zustand, aber Amys künstlerisches Auge litt dennoch, besonders in diesem Winter, da sie ein langweiliges lilafarbenes Schulkleid mit gelben Punkten tragen musste, ohne irgendwelche Spitzen oder Rüschen.

      »Es ist mein einziger Trost«, hatte sie einmal Meg mit Tränen in den Augen gestanden, »dass Mutter meine Kleider nicht kürzt, wenn ich unartig bin, wie es die Mutter von Maria Parks tut. Das ist wirklich furchtbar, sag ich dir. Manchmal treibt sie es so wild, dass Maria der Saum gerade noch bis zu den Knien reicht und sie nicht zur Schule gehen kann. Wenn ich mir diese Erwürdigung vorstelle, kann ich sogar mit meiner Knubbelnase und einem lila Kleid mit gelben Feuerwerksraketen darauf leben.«

      Meg war Amys Vertraute und Ratgeberin, und da sich Gegensätze oft anziehen, war Jo dies für die sanfte Beth. Ihr allein vertraute die schüchterne Schwester ihre Gedanken an, während sie umgekehrt auf ihre stürmische Schwester mehr Einfluss hatte als irgendjemand sonst in der Familie. Die beiden älteren Schwestern bedeuteten einander sehr viel, aber jede von ihnen hatte eine der jüngeren unter ihre Fittiche genommen und passte auf ihre Weise auf sie auf. »Mutter spielen« nannten sie es und setzten ihre kleinen Schwestern mit dem mütterlichen Instinkt junger Frauen an die Stelle der ausrangierten Puppen.

      »Hat irgendjemand etwas zu erzählen? Heute war ein so trostloser Tag, dass ich wirklich gern etwas Lustiges hören würde«, sagte Meg, als sie an diesem Abend zusammensaßen und nähten.

      »Ich habe bei Tante March etwas Komisches erlebt und bin dabei gut weggekommen«, sagte Jo, die für ihr Leben gern Geschichten erzählte. »Ich musste wieder einmal aus den endlosen Belsham-Aufsätzen vorlesen und habe es ordentlich heruntergeleiert, weil Tante March dann immer schnell einschläft. Dann kann ich mir ein schönes Buch schnappen und lesen, bis sie wieder aufwacht. Aber heute bin ich fast vor ihr eingedöst und habe so laut gegähnt, dass sie wissen wollte, warum ich ›den Mund so weit aufreiße, dass man das ganze Buch hineinstecken kann‹.

      ›Ich wünschte, ich könnte es tun und das Ding dadurch loswerden‹, gab ich ihr zur Antwort, auch wenn ich mich bemüht habe, nicht unverschämt zu klingen.

      Dann hat sie mir einen Vortrag über meine Sünden gehalten und mir befohlen, bei ihr sitzen zu bleiben und nachzudenken, während sie kurz ›abtaucht‹. Aber weil sie dann so bald nicht mehr auftaucht, habe ich den Pfarrer von Wakefield herausgezogen, sobald ihre Haube zu nicken begann wie eine kopflastige Dahlie, und munter drauflosgelesen. Immer mit einem Auge auf ihr und dem anderen im Buch. Als ich an die Stelle kam, wo sie alle ins Wasser fallen, habe ich nicht aufgepasst und laut gelacht. Davon ist Tante March aufgewacht. Und weil sie nach einem Nickerchen immer besser gelaunt ist als vorher, hat sie mich aufgefordert, die Stelle laut vorzulesen und ihr zu zeigen, welches leichtfertige Werk ich dem guten und lehrreichen Belsham vorziehe. Ich habe mich beim Lesen ordentlich angestrengt, und es hat ihr gefallen, obwohl sie nicht mehr dazu sagte als:

      ›Ich verstehe überhaupt nicht, worum es geht. Fang noch mal von vorn an, Kind.‹

      Also habe ich zurückgeblättert und ihr die Familie Primrose so schmackhaft gemacht, wie ich nur konnte. Einmal habe ich ganz dreist an einer spannenden Stelle aufgehört und gesagt: ›Ich fürchte, das langweilt Euch, Ma’am. Soll ich es nicht lieber bleiben lassen?‹

      Da hat sie das Strickzeug aufgehoben, das ihr aus den Händen gefallen war, hat mich durch ihre Brille scharf angesehen und auf ihre barsche Art gesagt: ›Sei nicht unverschämt, Fräulein, lies das Kapitel zu Ende.‹«

      »Hat sie zugegeben, dass es ihr gefallen hat?«, fragte Meg.

      »Um Himmels willen, nein! Aber den alten Belsham hat sie nicht mehr angerührt. Als ich am Nachmittag noch mal zurücklief, um meine Handschuhe zu holen, saß sie da und war so in den Pfarrer vertieft, dass sie nicht einmal hörte, wie ich vor Freude über die schönen Tage, die jetzt kommen werden, durch den Hausflur getanzt bin.

      Sie könnte ein so angenehmes Leben führen, wenn sie nur wollte! Ich beneide sie nicht besonders, trotz ihres Geldes, denn ich glaube, dass reiche Leute ebenso viele Sorgen haben wie arme«, fügte Jo hinzu.

      »Das erinnert mich daran, dass ich euch auch etwas zu erzählen habe«, sagte Meg. »Es ist nicht lustig wie Jos Geschichte, aber ich habe auf dem Heimweg lange darüber nachgedacht. Bei den Kings waren heute alle in heller Aufregung, als ich kam. Eins der Kinder hat mir erzählt, dass ihr ältester Bruder etwas Schreckliches angestellt hat und vom Papa fortgeschickt wurde. Ich konnte Mrs. King weinen sehen, und Mr. King hat sehr laut gesprochen, und Grace und Ellen haben die Köpfe abgewandt, als sie an mir vorbeigingen, damit ich ihre rot geschwollenen Augen nicht sehe. Ich habe natürlich keine Fragen gestellt, aber sie haben mir sehr leidgetan, und ich war ziemlich froh, dass wir keine wilden Brüder haben, die schlimme Dinge anstellen und die Familie blamieren können.«

      »Ich finde, in der Schule blamiert zu werden, ist schlimmster als alles, was Jungs anstellen können«, sagte Amy kopfschüttelnd, als habe sie schon die übelsten Erfahrungen gemacht. »Susie Perkins kam heute mit einem Ring in die Schule, der mit einem wunderhübschen roten Karneol besetzt war. Den hätte ich schrecklich gern gehabt, und ich habe mir mit aller Macht gewünscht, sie zu sein. Dann hat sie ein Bild von Mr. Davis gemalt, mit einer riesigen Nase und einem Buckel, und in einem Ballondings, das aus seinem Mund kam, stand: ›Ich habe euch im Auge, junge Damen!‹ Wir haben gerade darüber gelacht, als er uns plötzlich wirklich im Auge hatte und Susie befahl, ihm ihre Schiefertafel zu bringen. Sie war wie paralüsiert vor Angst, ist aber nach vorn gegangen, und was glaubt ihr, was dann passiert


Скачать книгу