Seewölfe - Piraten der Weltmeere 653. Jan J. Moreno

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Seewölfe - Piraten der Weltmeere 653 - Jan J. Moreno


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warte, bis ich sicher bin, daß ich die Vorderbeine einem der Tiere treffe“, sagte er. „Die Kardeele werden sich wie Fesseln um die Läufe schlingen.“

      „Vielleicht sollten wir uns trennen“, schlug Hasard vor. „Ich könnte dir die Ziegen zutreiben.“

      „Das ist keine schlechte Idee.“ Philip nickte zustimmend. „Versuchen wir es zumindest.“

      Hasard schlug einen Bogen nach Osten. Schnell verschwand er aus Philips Gesichtskreis und tauchte nur hin und wieder zwischen Felsen und Sträuchern auf.

      Es dauerte nicht lange, da stieß er einen überraschten Ausruf aus. Offenbar war es ihm egal, ob die Ziegen endgültig ihr Heil in der Flucht suchten. Das bedeutete, daß er etwas entdeckt hatte, was ihm weitaus wichtiger erschien als Old Donegals vierbeinige, meckernde Käselieferanten.

      „Was ist los?“ fragte Philip.

      „Sieh es dir selbst an“, erwiderte Hasard.

      Philip ließ sich das nicht zweimal sagen, zumal sich sein Bruder eines geradezu beschwörenden Tonfalls bediente. Er hastete los, seine selbstgefertigte Waffe noch wurfbereit in der Rechten, doch die Ziegen sah er nicht mehr.

      Was immer er vorzufinden erwartet hatte, er wurde enttäuscht, als er zu seinem Bruder aufschloß. Hasard deutete zu einer kraterförmigen Senke, die sich nach Südosten erstreckte. Wie wenig sie bislang über ihre Insel wußten, wurde ihnen jetzt klar. Wären sie den Ziegen nicht nachgelaufen, sie hätten den Talkessel, der schützend von schroffen Felsen umgeben war, kaum entdeckt.

      Philip folgte der Linie, die Hasards ausgestreckter Arm wies, mit den Augen.

      „Das sind Feigenkakteen“, murmelte er. „Ihre Früchte können wir essen.“

      „Das meine ich nicht“, sagte Hasard. „Ein Stück weiter rechts – der knorrige Baum!“

      Ein abgestorbener Drachenbaum ragte in der Senke auf, nicht sonderlich groß, aber dennoch bizarr anzusehen. Vogelnester hingen in seinen verschlungenen Ästen. Die Ausscheidungen der Tiere bildeten den Nährboden für schmarotzende Schlingpflanzen, die den Baum fest in ihrem Würgegriff hatten.

      „Und?“ fragte Philip.

      „Verstehst du noch immer nicht?“

      „Was soll ich verstehen?“

      „Der Drachenbaum ist der markanteste Punkt weit und breit. An solchen Stellen pflegen Piraten ihre Schätze zu vergraben.“

      „Nicht überall, wo ein einsamer Baum steht, liegen auch Gold, Silber und Perlen. Außerdem habe ich die Nase von der Schatzsuche voll.“

      „Das dachte ich auch.“ Hasard grinste breit und herausfordernd.

      Daß sie auf der unbekannten Insel festsaßen, nachdem sie dem Tod nur knapp entronnen waren, hatten sie zwar einer alten Schatzkarte zu verdanken, doch das tat der Abenteuerlust eines Killigrew, der außerdem O’Flynnsches Blut in den Adern hatte, keinen Abbruch. Sie hatten den höllischen Sandsturm und die lange Zeit in dem kleinen Boot überlebt, sie würden auch über kurz oder lang das Eiland wieder verlassen. Wenn das zusammen mit einer Schatzkiste geschah, um so besser.

      Hasard Killigrew junior hatte in der Tat Grund zu seiner Annahme. Aus einem von Menschenhand aufgeworfenen flachen Hügel inmitten der sonst gleichmäßigen Ebene ragte ein hölzerner Stiel.

      „Eine Schaufel“, sagte Philip ungläubig. Der Gedanke, doch nicht allein auf der Insel zu sein, drängte sich auf. Mußten sie damit rechnen, jeden Moment wildem Piratenpack gegenüberzustehen?

      Hasard schien die Überlegungen seines Bruders zu erraten.

      „Falls ein Schiff vor Anker liegt, hätten wir es bemerkt“, sagte er. „Die Kerle, die hier gegraben haben, sind längst über alle Berge.“

      „Vielleicht gehörten sie zu dem Wrack …“

      Die Insel, soviel hatten die Zwillinge inzwischen herausgefunden, hatte eine Ausdehnung von knapp sechs mal acht Meilen. Sie ragte im Durchschnitt bis zu vierhundert Yard über den Meeresspiegel auf, stieg aber im Osten, im Bereich des erloschenen Vulkankegels bis auf mehr als das Doppelte an.

      Es gab zwei oder drei Punkte, von denen aus das gesamte Gelände gut zu überblicken war. Ein Schiff, das in einer der vielen Buchten ankerte, konnte nicht unbemerkt bleiben.

      Hasard erreichte vor seinem Bruder die tief im Boden steckende Schaufel. Der Stiel, abgesehen davon, daß die Sonne ihn merklich ausgebleicht hatte, wies keine Besonderheiten auf. Mitunter markierten Schiffsbesatzungen ihre Werkzeuge, doch das war hier nicht der Fall.

      Hasard packte kurzerhand zu und begann zu graben. Das Erdreich war locker und von faustgroßen Lavabrocken durchsetzt. Er arbeitete mit dem Eifer eines Schatzgräbers. Daß der Wind das Meckern der Ziegen herantrug, spornte ihn nur noch weiter an. Old Donegal würde die Tiere und den erhofften Käse bestimmt vergessen, wenn seine Enkel wenigstens mit einer kleinen Truhe voll Gold zurückkehrten.

      Philip wurde vom Eifer seines Bruders angesteckt. Sie schaufelten abwechselnd.

      Das Loch war beinahe einen Yard tief, als Hasard einen verblichenen Fetzen Stoff zum Vorschein brachte. Ein weiteres, größeres Stück folgte.

      Knirschend grub sich die Schaufel durch einen plötzlichen Widerstand. Hasard wußte sofort, daß es sich nicht um Steine handelte. Die Lippen trotzig aufeinandergepreßt, förderte er bleiche Knochen zutage. Sein Bruder blickte ihn überrascht an.

      „Das sind die Überreste eines Menschen“, sagte Hasard. „Hier wurde jemand begraben. Vielleicht einer der Seeleute vom Wrack.“

      „Manche Piraten werfen einen Toten über ihre Schätze. Zur Abschreckung.“

      „Ich grabe trotzdem nicht weiter.“ Hasard warf einen bedauernden Blick in das Loch, in dem weitere Knochen zu erkennen waren. „Falls der Tote zur ehemaligen Mannschaft des Wracks gehört hat, sollten wir woanders Hinweise finden.“

      „Wie lange, schätzt du, liegt das Wrack in der Schlucht?“

      Hasard zuckte mit den Schultern. „Schwer zu sagen. Ein Jahr. Wahrscheinlich sogar länger.“

      Philip mußte sich eingestehen, daß er plötzlich ein verdammt mulmiges Gefühl hatte. Vielleicht lebte wirklich noch jemand auf der Insel. Daß derjenige sich bislang nicht zu erkennen gegeben hatte, konnte aber nur bedeuten, daß er unlautere Ziele verfolgte. Dennoch tat Philip etwas, was sich aus der Situation heraus eigentlich verbot. Er legte die Hände trichterförmig vor den Mund und begann zu rufen.

      Sein langgezogenes „Hallo!“ verwehte mit dem Wind. Von zwei oder drei Seiten erklang ein schwaches Echo.

      „Wir sind Freunde!“

      „…reunde – eunde!“ hallte es von den Felsen wider.

      Danach herrschte erneut Stille, nur vom Wispern und Raunen des Windes unterbrochen. Die Zwillinge lauschten eine Weile. Als Philip wieder die Hände hob, hielt Hasard ihn zurück.

      „Laß es gut sein“, sagte er. „Auf die Art kriegen wir nicht raus, ob wir allein sind. Das schaffen wir nur, wenn wir die Insel Stück für Stück absuchen.“

      „Weißt du, wie lange wir dazu brauchen?“

      „Wir haben Zeit, oder?“ Hasard versuchte ein Lächeln, das über ihre triste Lage hinwegtäuschen sollte. Es mißlang ihm gründlich.

      Vergeblich suchten sie in der Senke nach weiteren Spuren. Das Grab des unbekannten Seemanns war, mit Ausnahme der Ziegen, deren Meckern wieder heranwehte, das einzige, was auf die mögliche Anwesenheit von Menschen auf der Insel hindeutete.

      Hasard hatte die Schaufel geschultert und stapfte voraus, ihren eigenen Spuren folgend. Die Schatten wurden kürzer, die Sonne näherte sich dem Zenit, und zwischen den Felsen breitete sich eine drückende Schwüle aus.

      Hasard bemerkte den metallischen Reflex nur zufällig, weil er mit sehnsüchtigem Blick


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