Im Zeichen des Drachen. Karl May

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Im Zeichen des Drachen - Karl May


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sie einer polytheistischen Religionsform an, bei deren Ausübung selbst Menschenopfer nichts Ungewöhnliches waren. Ihre Priester, zugleich ihre Ärzte und Wahrsager, übten einen ungemeinen Einfluss auf sie aus, dem allerdings schon zu Ende des achtzehnten Jahrhunderts die von den Engländern hier gegründeten Missionen entgegenarbeiteten. Später sandte das katholische Frankreich seine Sendboten herüber, die unter Mühen und Beschwerden mit den Vorurteilen rangen, die der Götzendienst dem sonst hoch begabten Menschenschlag eingeimpft hatte.

      Die äußere Mission wird allerdings oft angeklagt, und ihre Sendboten haben tatsächlich nicht immer ihren Auftrag richtig verstanden. Die Gesittung hat ihre Barbarei, das Licht seinen Schatten, die Liebe ihre Selbstsucht, und von dem Ort der ewigen Seligkeit aus kann man, wie das Gleichnis von dem reichen Mann und dem armen Lazarus lehrt, hinunter in die Hölle blicken, um die Qualen der Verdammten zu beobachten. Christi Lehre der Liebe, Milde und Erbarmung ist, vom unduldsamen Eifertum auf den Schild gehoben und von einer schlau berechnenden Eroberungslust in Dienst genommen, über den größten Teil des weiten Erdenkreises gegangen. Ganze Rassen und Völker sind verschwunden oder liegen noch jetzt in den letzten, wilden Todeszuckungen. Die Geschichte hat dadurch für ihre zukünftige Entwicklung eine Reihe wichtiger kulturgeschichtlicher Kräfte und Werte verloren, und der Seelenhirt, der in die wilde Fremde geht, um die so genannten Heiden zu bekehren, beachtet nicht, dass die ,Wilden‘ ihren Bedürfnissen angemessen glücklicher sind als wir und dass unter den entarteten Schichten der heimatlichen Bevölkerung sein Wirken notwendiger wäre als unter den Andersgläubigen, die oft in paradiesischen Verhältnissen leben.

      Es ist in diesem Zusammenhang viel über die Gesellschaftsinseln geschrieben worden. Als diese Gruppe entdeckt wurde, fand man in ihren Bewohnern ein kindlich-harmloses und beinahe wunschloses Volk, dem eine reiche Natur alle zu einem zufriedenen und sorgenfreien Leben notwendigen Erfordernisse in verschwenderischer Weise schenkte. Die Fremdlinge wurden mit freudiger Gastlichkeit aufgenommen, fast als Götter verehrt und erhielten alles, was ihr Herz begehrte. Sie brachten die Kunde davon in die Heimat, wo unter den Abenteurern der Wunsch nach dem Paradies der Südsee und seinen mühelos erreichbaren Genüssen rege wurde. Es wurden Schiffe ausgerüstet, die Handelspolitik begann ihre Pläne zu spinnen – – die Tahiter erhielten für ihre Gastfreundlichkeit die Laster und Krankheiten des Abendlandes zugeschickt und haben mehr die schlechten als die guten Eigenschaften derer angenommen, die nun zu ihnen kamen und sich Christen nannten, ohne es ihrer Herzensgesinnung nach zu sein. Dieser Umstand ist sehr beklagenswert. Allerdings muss die betrübende Tatsache zugestanden werden, dass die Tugenden der Tahiter seit ihrer Bekanntschaft mit den Europäern schwer gelitten haben; aber das Christentum der Schuld daran zu zeihen, heißt eine der ärgsten Ungerechtigkeiten begehen. Es ist nicht richtig, die Kirche mit denen gleichzustellen, die sich Christen nennen; die Christenheit zählt ihre größten Feinde in ihrer eigenen Mitte, und es ist tief zu beklagen, dass die Mission neben ihrer eigentlichen Aufgabe noch die traurige Arbeit übernehmen muss, dem unlauteren Einfluss entgegenzuwirken, der sich im Auftreten der bloßen Namenchristen äußert. –

      Tahiti, die ,Perle der Südsee‘, lag unter einem herrlichen, tiefblauen Himmel. Die Sonne glühte auf die blitzenden Wogen des Meeres und die bewaldeten Spitzen des Orohenaberges nieder oder funkelte in den Bächen und schmalen Wasserfällen, die von den malerisch aufstrebenden Klippen herabsprangen. Aber ihre Glut erreichte nicht die freundlichen Ansiedlungen, die im Schatten der Palmen und zahllosen Fruchtbäume lagen und von der frischen Seebrise angenehme Kühlung zugefächelt erhielten.

      In dem linden, milden Luftzug rauschten die langgefiederten Wedel der Kokospalmen und raschelten die breiten, vom Wind ausgerissenen Blätter der Bananen zur Erde nieder. Die verwelkten Blüten der Orangen, deren Zweige schon mit goldgelben Früchten bedeckt waren, tropften, wonnige Düfte verbreitend, von dem sich wiegenden Geäst herab. Es war einer jener zauberisch schönen, wunderbaren Tage, wie sie in so reicher Pracht und Herrlichkeit nur in den heißen Ländern zu finden sind.

      Und während das Land in all seiner paradiesischen Schönheit so jung und frisch, als sei es eben erst aus der Hand des Schöpfers hervorgegangen, dalag, donnerte draußen an den Korallenriffen die Brandung ihr tiefes, nicht endendes und nicht wechselndes Lied. Die Zeiten sind anders geworden und mit ihnen die Menschen; die unendliche See ist noch dieselbe und schleudert noch heute, wie vor Jahrtausenden, ihre bald kristallenen, bald dunkel drohenden und mit weißem Gischt gekrönten Wogenmassen gegen die scharfen Dämme. Die von blitzenden Lichtern durchschossenen Fluten hoben und senkten sich, als blickten Tausende von Wasserjungfrauen hinüber, dahin, wo über dem Schaum der Wellen immergrüne, wehende Wipfel sich erheben, unter denen ein dem Untergang geweihtes Völkchen die letzten Pulsschläge seines eigenpersönlichen Leben zu zählen vermag, ohne dabei die Widerstandskraft zu äußern, die etwa die Todeszuckungen der amerikanischen Rasse dem weißen Mann so furchtbar macht.

      Dort am Strand lag Papetee, die Hauptstadt Tahitis, und eine bunt bewegte Schar von Menschen wogte in weißen, roten, blauen, gestreiften, gewürfelten oder geblümten langen Gewändern hin und her. Wie prachtvoll hatten sich die jungen, bildhübschen Mädchen das schwarze, lockige und seidenweiche Haar mit Blumen und dem künstlich geflochtenen, schneeweiß wehenden Bast des Arrowroot geschmückt; wie gewandt und stolz waren die Bewegungen der eingeborenen Stutzer, die den bunten Parau oder die faltige Marra geckenhaft um die Lenden geschlungen und die Tebuta, das Schultertuch, malerisch über die Achsel geworfen hatten und so zwischen den Schönen umherstolzierten! Sie hatten die langen, fettglänzenden Locken mit Streifen ineinandergeflochtener weißer Tapa und roten Flanells umwunden, was ihnen zu ihren bronzefarbenen Gesichtern gar nicht so übel stand.

      Da auf einmal drängte sich alles zum Ufer hin. Der Insel näherte sich ein Kanu, in dessen weißes Segel sich die Brise voll gelegt hatte, sodass die beiden Darinsitzenden des Ruders nur bedurften, um das Fahrzeug im richtigen Kurs zu halten.

      Die beiden Männer im Boot waren Potomba und ich.

      Der Ehri hatte wirklich Wort gehalten, denn wir langten nach zwei Tagen in Tahiti an, obgleich wir zu einem unbedeutenden Umweg gezwungen gewesen waren. Der stetig wehende starke Passat hatte uns trefflichen Vorschub geleistet; Potomba verstand es, jede einzelne Woge zu benutzen, und da wir nicht ermüdeten, weil wir uns im Rudern ablösen konnten, so war unsere Fahrt ungewöhnlich rasch vonstatten gegangen.

      Jetzt nun lag die herrliche Insel vor uns, über die ich so viel Wahres und so viel Unverständiges gelesen hatte; Papetee hob sich immer mehr hervor, und endlich erkannten wir deutlich jeden Einzelnen unter der Menge des Volkes, das sich an den Strand drängte, um unser Fahrzeug zu beobachten.

      Es fiel mir auf, dass sich eine solche Aufmerksamkeit auf unseren kleinen, unbedeutenden Kahn richtete, während es in dem Hafen doch noch ganz andere Gegenstände für die Neugier gab. Ich ließ das Segel fliegen, um von der Brise nicht an die Korallen getrieben zu werden, denen wir uns näherten, und fragte:

      „Siehst du die Leute, Potomba?“

      „Ja, Sahib“, nickte er.

      „Wie kommt es, dass man gerade uns so beobachtet, während es doch viele Boote gibt, die die Aufmerksamkeit auf sich ziehen könnten?“

      „Die Männer und Frauen kennen mein Boot und Potomba ist ein Ehri, berühmt unter den Leuten seines Volkes. Sitz still und halte dich fest, Sahib, denn wir stoßen jetzt in die Brandung!“

      Wir näherten uns einer Seitenlücke des Korallenrings, durch die nur so schmale Fahrzeuge wie das unsrige Eingang finden konnten. Ein Ruderschlag brachte uns in die Brandung; ihr kochender Wall riss uns empor, hielt uns einen Augenblick lang fest, sodass es schien, als schwebten wir in freier Luft, und schnellte uns dann in das ruhige Binnenwasser hinab.

      Rechts von uns lag eine Reihe von Seeschiffen, die durch die breitere Einfahrt Zugang gefunden hatten. Der Bau des einen kam mir bekannt vor, obgleich der Rumpf allein zu sehen und alles Segelwerk beschlagen war. Droben in den Wanten hing ein Mann, der diesen hohen Punkt gewählt zu haben schien, um besser nach der Stadt lugen zu können. Er trug einen mexikanischen Sombrero auf dem Kopf, und dieser Rohrfaserhut hatte eine Krempe von so außerordentlicher Breite, als ob eine ganze Familie wimmelnder Pekaris darunter Schutz suchen sollte. Eine so ungeheure Krempe wurde sicherlich nur auf besondere Bestellung hergestellt,


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