Im Zeichen des Drachen. Karl May

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Im Zeichen des Drachen - Karl May


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taufen.“

      „Ah! Ihr habt doch den Schlingeln tüchtig heimgeleuchtet? Das versteht Ihr ja aus dem Grund, Charley!“

      „Sie sind uns alle entkommen. Mein Feldzugsplan scheiterte an dem Ungeschick des Steuermanns. Also Ihr seid bereit, uns Euern ,Wind‘ zur Verfügung zu stellen?“

      „Natürlich! Morgen früh mit der Ebbe stechen wir in See. Jetzt aber kommt zur Kajüte; wir müssen doch einmal sehen, wie sich meine Flaschen unter der Linie gehalten haben!“

      „Einen Trunk zum Willkommen darf ich Euch nicht abschlagen, aber festtauen kann ich mich noch nicht. Ich habe Potomba versprochen, mit ihm an Land zu gehen, und er wird ungeduldig sein, sein Weib und seinen Bruder zu begrüßen.“

      „Dann trinkt er mit und Ihr erlaubt mir, Euch zu begleiten. Ich habe an Land Geschäfte.“

      Potomba musste mit zur Kajüte, wo uns der gute Master Frick Turnerstick mit seiner besten Sorte bewirtete. Dann stiegen wir zu dritt in ein Boot der Barke, das das Kanu des Ehri ins Schlepptau nahm, und ruderten an Land.

      Je näher wir ihm kamen, desto aufmerksamer wurden die Züge Potombas. Er schien etwas zu bemerken, was seine Achtsamkeit im höchsten Grad in Anspruch nahm. Er sah meinen fragenden Blick und streckte den Arm aus.

      „Siehst du die Kähne dort, Sahib?“

      Gerade vor uns lag eine große Anzahl geschmückter Boote, eines neben dem anderen am Ufer. Das mittelste zeichnete sich durch buntes Wimpelwerk und allerlei Blumen und Blätterzierde vor den übrigen aus.

      „Ja“, antwortete ich. „Was ist mit ihnen?“

      „Siehst du auch das Boot mit den Fahnen und Laubgewinden?“

      „Allerdings. Warum fragst du?“

      „Zu beiden Seiten seiner scharfen Brust sind die Worte ,Mata ori‘11 eingeschrieben. So nannte ich Pareyma, als ich sie lieben lernte, und so nannte ich auch das Boot, das ich ihr zu Tamai auf Eimeo bauen ließ, damit mich Anoui mit ihm abholen könne an dem Tag, an dem ich sie zum Weib nahm, um sie in mein Palmenhaus zu führen. Ich kenne das Boot genau; sein Ausleger ist nicht mit Bast, sondern mit eisernen Stocknägeln befestigt, und heute ist es geschmückt gerade wie damals, als ich es als Bräutigam betrat. Es muss auf Eimeo eine Hochzeit sein und Anoui hat es dem Vater des Mädchens geliehen, um den Bräutigam darin abzuholen.“

      Es spiegelte sich in seinen offenen Zügen eine Unruhe, für die ich kein Verständnis hatte. Die Erinnerung hätte ihn beglücken, nicht aber beunruhigen sollen.

      „Und siehst du den Mann im Boot?“, fuhr er fort. „Es ist Ombi.“

      „Wer ist Ombi?“

      „Der Diener des Priesters; doch er liebt mich mehr als ihn. Er hat Pareyma auf den Armen getragen, als sie noch ein Kind war, und sie behütet, seit ihre Mutter gestorben ist.“

      Der Diener, der uns beobachtete, schien Potomba zu erkennen, denn er erhob sich mit freudiger Miene, setzte sich aber sofort wieder nieder und legte die Hände vors Gesicht.

      Der Sand des Ufers knirschte unter dem Kiel unseres Bootes und wir sprangen an Land. Potomba trat zu der ,Mata ori‘.

      „Ombi!“, redete er den Diener an.

      Der Diener regte sich nicht.

      „Ombi!“

      Als auch jetzt noch keine Antwort erfolgt, sprang er ins Boot und ergriff den greisen Polynesier bei der Schulter.

      „Ombi, warum antwortest du nicht?“

      Der Diener nahm die Hände vom Gesicht und blickte ihn an. In seinen Augen glänzten zwei Tränen.

      „Hat der Schmerz Worte, Potomba?“, fragte er.

      „Welcher Schmerz?“

      „Dass du abgefallen bist von Atua, dem Gott alles Guten, und hingegangen zu dem Mitonare.“

      „Das schmerzt dich jetzt? Hast du mir nicht oft gestanden, wenn ich dir heimlich von dem Messia erzählte, der das Lamm Gottes ist, dass dir der höchste Sahib Jesu lieber sei als Atua, der Gott von Tahiti, der niemals gekommen ist, um Kranke zu heilen, Tote zu erwecken und für unsere Sünden zu sterben?“

      „Das habe ich gesagt, Potomba, und das sage ich auch jetzt noch. Aber ich bin der Diener eines Priesters, dem ich gehorchen muss, und darf nicht sagen, was ich denke.“

      „Du darfst sagen, was du denkst und glaubst. Verlass den Priester des falschen Gottes und komm zu mir! Du liebst Jesu, den Nazzari; du liebst auch mich und Pareyma. Warum willst du nicht bei uns sein? Warum weinst du, wenn du mich erblickst? Das hast du doch bisher noch nie getan.“

      „Ich weine, weil ich gern bei dir sein möchte und es doch nicht kann.“

      „Warum kannst du es nicht?“

      „Weil ich Pareyma nicht verlassen mag, die meiner bedarf.“

      „Pareyma? Wenn du zu mir kommst, bist du ja bei ihr.“

      „Nein.“

      Ich sah den Schreck, der die dunklen Züge Potombas jäh erbleichte. Er stocke und ließ seinen angstvollen Blick über die Umgebung gleiten. Die am Strand Spazierenden waren herbeigekommen und beobachteten ihn mit teilnahmsvollen Augen aus der Ferne. Er musste das bemerken und noch mehr als ich ahnen, dass ihn während seiner Abwesenheit etwas Schweres betroffen habe. Unwillkürlich fuhr seine Hand nach dem scharfen Kris12, der in seiner Schärpe steckte, und zwischen den zusammengepressten Zähnen hervor fragte er zischend:

      „Wo ist Pareyma?“

      „Geh heim und frage! Ich darf es dir nicht sagen.“

      Potomba trat einen Schritt zurück. Seine Augen funkelten und seine Lippen zuckten.

      „Ombi, wo ist Pareyma? Hörst du, ich frage dich!“

      Der Diener senkte traurig das Haupt und wiederholte:

      „Geh nach Haus und frage!“

      „Ombi, du schweigst noch immer? Gut, ich werde gehen, aber wer Pareyma ein Leid getan hat, der ist verloren.“

      Er schritt davon. Wir beide folgten ihm. Die versammelte Menge machte ihm ehrerbietig und teilnahmsvoll Platz. Er sprach kein Wort und blickte nur ein einziges Mal zurück, um zu sehen, ob wir noch bei ihm wären. Der Weg führte eine Strecke um Papetee herum, bis wir ein Gebäude erreichten, das sich durch seine Größe und den Umfang der zu ihm gehörigen Brotfruchtbaumpflanzungen auszeichnete.

      „Kommt!“, sagte er kurz und trat ein.

      In dem vorderen Raum des Hauses saß auf einer Matte ein junger Mann, den wir infolge seiner Ähnlichkeit mit Potomba sofort als dessen Bruder erkannten.

      „Potai!“

      „Potomba!“

      Der Sitzende sprang auf und streckte die Arme aus, als wollte er den Kommenden umfangen, trat aber wieder zurück und ließ die Arme sinken.

      „Was ist mit dir, Potai? Bin ich nicht dein Bruder?“

      Der Gefragte deutete nieder, wo neben der Matte in der Erde ein Dolch stak.

      „Ich habe den Kris in die Erde versenkst, bis du kommst, Potomba. Ich habe geschworen, dich nicht zu berühren, bis der Tod der Mutter gerächt ist.“

      „Der Tod der Mutter? Sprich, Potai, sprich schnell, schnell! Wo ist Pareyma?“

      „Fort.“

      „Fort! Wohin?“

      „Nach Eimeo zu ihrem Vater, dem Priester der Heiden.“

      „Freiwillig?“

      „Freiwillig! Ich fuhr hinüber nach Maitea, und als ich zurückkehrte, war sie fort. Die Mutter hat sie halten wollen und mit ihr gekämpft. Potomba, dein Weib ist zu den Göttern zurückgekehrt und hat deine Mutter getötet.“

      „Womit?“


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