2 Jahre später. Regina Mars
Читать онлайн книгу.stand auf, aber er war viel zu langsam. Sein Vater packte ihn, verdrehte seinen Arm hinter dem Rücken und er konnte sich nicht wehren.
»Was veranstaltest du hier? Das wird Konsequenzen haben, Junge«, zischte er ihm ins Ohr.
Arthur konnte noch so sehr zappeln, sein Vater zerrte ihn zurück ins Auto. Er schleuderte ihn auf den Rücksitz, rief »Kindersicherung! Sonst haut er wieder ab!«, warf sich neben ihm in den Sitz und schlug die Tür zu. Wie versteinert sah Arthur die Bäume weiter vorbeiziehen.
Er schrie.
Er brüllte, bis seine Kehle wund war. Bis ihm die Tränen aus den Augen, der Nase und dem Mund liefen. Bis aus dem Wald längst eine Autobahn geworden war und aus dem Blätterdach ein grell leuchtender Himmel. Nichts konnte ihn davon abhalten. Nicht die wütenden Befehle seiner Mutter, nicht die Ohrfeigen seines Vaters.
»Hörst du auf?«, bellte der. »Du bist ja total durchgeknallt!«
Aber das war er nicht. Er war ein elender Feigling. Ein schwacher Feigling, ein fetter Feigling.
Ein Vollidiot.
Warum hatte er nicht … Warum hatte er Kai nicht verteidigt? Wie hatte er zulassen können, dass sein Vater ihn auf die Straße jagte, nackt, wie einen Köter?
Er hatte geweint.
Arthur weinte auch. Als er nicht mehr brüllen konnte, heulte er, stundenlang. Es wurde eine sehr unangenehme Rückfahrt.
Sie machten ihm Vorwürfe. Auf der Fahrt und später, als sie daheim angekommen waren. Auf dem düsteren Anwesen, das so anders war als die Villa Blau. Er schleppte sich die Treppen hoch, die sein Vater mit dem neu gestalteten Familienwappen hatte verzieren lassen.
»Was denkst du, was du da tust?«, fragte seine Mutter.
Normalerweise gehorchte er sofort, wenn sie in diesem Ton mit ihm redete. Aber diesmal trottete er einfach in sein Zimmer und schlug die Tür hinter sich zu. Normal wäre es auch gewesen, dass seine Eltern dieses Benehmen nicht hinnahmen. Aber nach all dem Heulen und Schreien waren wohl selbst sie müde.
Arthur stürzte auf das Bett, in dem er höchstens zwei Wochen pro Jahr schlief, und heulte weiter. Leiser, weil ihm der Hals inzwischen so wehtat, als hätte man ihn mit einem Reibeisen bearbeitet. Es war ihm nicht mal peinlich. Keiner seiner Freunde weinte noch, aber er legte eine stundenlange Baby-Heulorgie hin. Na und? Kai wäre es egal gewesen. Wahrscheinlich.
Kai, den er im Stich gelassen hatte. Er schämte sich so entsetzlich.
Noch viel mehr, als er am nächsten Morgen aufwachte, rau und zerschlagen und wund und immer noch ein blöder Feigling. Warum war er überhaupt eingeschlafen?
Arthur richtete sich auf. Die abgestandene Luft drang in seine Lungen. Kühl, trotz des Sommers vor dem Fenster. Kein Geräusch. Keine Poolpumpe, keine Vögel, kein rauschender Wald.
Er atmete ein. Er musste Kai anrufen. Erklären, dass er ein Idiot war. Dass es ihm leidtat. Dass … dass er …
Er schluckte. Er musste Kai sagen, dass er sich eventuell ein wenig in ihn verliebt hatte, wenn er ehrlich war. Aber was würde der sagen? Würde er überhaupt rangehen, wenn ein blöder Feigling ihn anrief?
Oder ihm schrieb. Das war leichter, bestimmt. Nur, was sollte er schreiben? Arthur stand auf und schnappte sich einen Papierblock vom Schreibtisch.
Geräusche von draußen. Unter dem Fenster. Die Stimmen seiner Eltern drangen zu ihm hoch. Wahrscheinlich frühstückten sie und telefonierten dabei.
Konnte er von hier abhauen? Ohne, dass sie es merkten? Sie würden ja irgendwann zum Golf spielen gehen, oder? Zu einer Party vielleicht. Dann könnte er sich alles Bargeld schnappen, das er von diversen Geburtstagen noch hatte, und sich ein Taxi nehmen.
Doch zuerst brauchte er ein Ziel. Kai war das Ziel, natürlich, aber … na ja, erstmal musste er ihm schreiben. Er musste die richtigen Worte finden. Magische, romantische, perfekte Worte. Oder zumindest gute.
Es tut mir leid. Bitte verzeih mir, ich liebe dich doch, auch wenn du das nicht wusstest, und hoffentlich liebst du mich auch, obwohl es mir grad auch schon reichen würde, wenn du mich nicht hasst …
Nein, viel zu kitschig.
Als es Mittag wurde, war der Raum mit Zetteln übersät und Arthurs Haare zerrauft. Er hatte keinen Hunger. Keinen Durst. Er hatte sich kurz ins Bad geschlichen und war dann zurückgekehrt, um weitere schlechte Ideen auf die Zettel zu schreiben.
Seine Eltern hatten sich nicht blicken lassen. Sie schmollten entweder oder wollten ihm die kalte Schulter zeigen. War ihm beides recht. Er würde nie wieder mit ihnen reden. Nie wieder.
Wie kannst du unserer Familie das antun?, hatten sie gefragt. Unserem Ruf? Unserem Adelsgeschlecht?
Ihr dummer gekaufter Titel und ihre dumme falsche Vornehmheit hatten alles zerstört. Er wusste noch nicht mal, ob es sie störte, dass Kai ein Junge war … oder arm. Er vermutete Letzteres. Egal. Sobald er die richtigen Worte fand und eine Antwort hatte, konnte er loslegen. Rausfinden, wie er von hier wegkam.
Nur musste er sie erst finden.
Er entschied sich schließlich für drei blöde, plumpe Sätze, weil er es nicht besser hinkriegte. Vielleicht ist es Kai egal, wie albern das klingt, dachte er.
Mit zitternden Fingern tippte er sie ein.
Es tut mir leid, dass ich ein Feigling war. Ich liebe dich. Läufst du mit mir weg?
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