2 Jahre später. Regina Mars

Читать онлайн книгу.

2 Jahre später - Regina Mars


Скачать книгу
gesehen?«

      »Klar, in einem IKEA-Katalog. Mit denen decke ich mich nachts zu, wenn es zu sehr regnet.«

      Arthur lachte, als wäre es das Witzigste, was je jemand gesagt hatte. Aber irgendwie kam es ihm so vor. Er entspannte sich immer mehr.

      Während sie vom Dach kletterten, erfanden sie munter Geschichten von Kais angeblicher Armut und Arthurs Dekadenz. Als Arthur behauptete, er würde sich mit Blattgold den Arsch abwischen und mit Diamantstaub nachpudern, wäre Kai vor Lachen fast vom Dach gefallen.

      Irgendwie schafften sie es, heil zurück in den Innenhof zu kommen. Herr Petersen packte gerade sein Werkzeug zusammen. Kai schoss praktisch auf ihn zu, um ihm die Arbeit abzunehmen. Der alte Mann war grau im Gesicht.

      »Ich trag das zum Auto«, sagte Kai und Arthur erinnerte sich an die Rostlaube, die er in der Einfahrt gesehen hatte.

      »Ich helfe dir.«

      Irgendwie wollte er nicht, dass Kai und sein Vater schon gingen. Vor allem Kai … Aber Arthur konnte ihn schlecht fragen, ob er blieb, oder? Auch wenn der Gedanke, ganz allein in dem riesigen Gebäude zu übernachten, umgeben von düsterem Wald, ihm eine Gänsehaut verursachte. Also schleppte er einen Rechen zu dem grünen Transporter.

      »Arthur«, sagte der Alte. »Kommst du hier zurecht?« Sein wettergegerbtes Gesicht drückte eindeutige Zweifel aus. »Du weißt schon, so ganz alleine?«

      Arthur warf Kai einen Seitenblick zu und richtete sich zu seiner vollen Größe auf.

      »Na klar«, sagte er lässig. »Der Kühlschrank ist ja voll und das Bett gemacht. Ich hab doch keine Angst im Dunkeln oder so.«

      Er hatte panische Angst im Dunkeln, immer noch.

      »Wenn du meinst …« Der Alte zögerte. »So olle Gebäude können nachts komische Geräusche machen. Das ist ganz normal, hörst du? Du musst dich da nicht fürchten.«

      »Ich?« Arthur versuchte, die Gänsehaut aus seinem Nacken zu vertreiben. »Ich fürchte mich doch nicht, ich … Das ist total … spannend.«

      »Das stimmt.« Kai nickte. »Ich würde gern mal in so einem alten Gruselkasten pennen.«

      Hoffnung stach in Arthurs Herz.

      »D-dann bleib doch hier.« Mist, wieder gestottert. »Du kannst hier schlafen, wenn du willst. Äh, wenn du dich traust.«

      »Klar trau ich mich.« Kai sah ihn spöttisch an. »Ich hab keine Angst vor den paar Untoten im Garten.«

      »Den Unto…« Arthur schnaubte. »Witzig. Ich wette, du kommst nachts rübergeschlichen, wenn du Schiss kriegst. Ich wette, du … du heulst vor Angst, sobald das Licht ausgeht.«

      »Und du, puller dich nicht ein, Fettsack, weil …« Kai wurde von seinem Vater unterbrochen, der ihm einen strengen Blick zuwarf. »Wieder zu unhöflich?«, fragte er und schien wirklich erstaunt.

      »Ja.« Herr Petersen seufzte. »Aber irgendwann kriegst du es schon noch hin.«

      »Mir macht das nichts aus«, behauptete Arthur und es stimmte fast. Bemerkungen über sein Gewicht taten ihm immer weh, aber … na ja, er hatte Kai ja auch geärgert.

      »Gut, dann lass dich nicht von dem Kleinen nerven«, sagte der Alte und öffnete die Tür des Wagens. »Er meint es nicht so. Findet nur manchmal das richtige Maß nicht.«

      Kai sah zu Boden, als sein Vater ihn »Kleiner« nannte. Fast schien es, als würden seine Ohren ein wenig rot. Aber sein Gesicht war ausdruckslos.

      »Mach’s gut, Kleiner. Ich bring dir morgen frische Unterwäsche mit. Und du kannst mir beim Rasenmähen helfen.«

      Kai brummte etwas Unverständliches.

      Der Transporter fuhr ab, der Kies knirschte, der Motorenlärm verklang und sie waren allein. Arthur biss sich auf die Lippen, um ein nervöses Seufzen zu unterdrücken. Er kapierte nicht ganz, was mit ihm los war. Kai stand direkt neben ihm, so dicht, dass er seine Wärme zu spüren glaubte. So dicht, dass sein Geruch nach Seife und Motoröl in Arthurs Nasenlöcher drang.

      »Was jetzt?«, fragte Kai. Als ob Arthur das gewusst hätte. Ihm musste etwas total Cooles einfallen, sofort, etwas, das ihn wie einen Rebellen wirken ließ, der …

      Oh, richtig.

      »Schauen wir mal, was die Bar hergibt?«, fragte er und freute sich, dass Kai überrascht wirkte.

      Ich bin ein Genie, dachte er.

      3. Kai

      Kai hatte nie etwas Härteres getrunken als Bier. Einmal. Und da hatte er nur an der Pilsdose seines Vaters genippt und beschlossen, das nie wieder zu tun. Ekelhaftes Gesöff. Aber nun konnte er sich keine Blöße geben.

      »Die Bar. Klar«, sagte er und zuckte lässig mit den Achseln. Das tat er gerade alle drei Minuten und er hoffte, dass Arthur nicht auffiel, wie gespielt es war.

      Eben hatte er sich richtig wohl gefühlt. Eben, als sie vom Dach runtergeklettert waren und sich über sich und den anderen lustig gemacht hatten. Da hatte er sich entspannt. Jetzt war da wieder die absolute Panik, dass Arthur ihn seltsam finden könnte. Alle fanden ihn seltsam. Die anderen in seiner Klasse, die Nachbarn, selbst sein Vater. Irgendetwas Essentielles fehlte ihm. Und Arthur durfte das nicht merken. Also atmete Kai tief ein und folgte ihm ins Haus.

      Er mochte es, wie Arthur sich bewegte. Vorsichtig, aber irgendwie nobel. Als hätte er das tausendmal gemacht, öffnete der die große Holzvitrine im Wohnzimmer und studierte den Inhalt. Wie ein Weinkenner, mit der angeborenen Selbstsicherheit des Adels. Ein Gentleman halt. Kein abgerissener Straßenköter wie Kai.

      »Was denkst du?«, fragte Arthur. »Was sollen wir nehmen?« Seine dunklen Augen bohrten Löcher in Kais Seele.

      Keine Ahnung, wollte Kai sagen. Aber er legte den Kopf schief, hob die Hand in gespielter Vornehmheit ans Kinn und sah das Arsenal der Flaschen an. Jedes Label sagte ihm gleich wenig. Schließlich streckte er die Hand nach einer dunkelgrünen Pulle mit weißem Etikett aus.

      Arthur nickte anerkennend, als er sie ihm hinhielt und Kai wäre vor Erleichterung fast gestorben.

      »Gute Wahl«, sagte Arthur. »Ich schau mal nach den Gläsern.«

      »Da sind doch welche«, sagte Kai und deutete auf das Regal an der Wand. Arthur lachte und ihn beschlich die Ahnung, dass er etwas Blödes gesagt hatte.

      »Das sind Cognacgläser.« Arthur schüttelte den Kopf. »Wir brauchen Whiskygläser.«

      »Pff, du Schnösel. Glas ist Glas«, versuchte Kai, sich zu retten und Arthur lachte noch lauter. Er war so selbstbewusst.

      Zehn Minuten später lagen sie in bequemen Walnussholzliegen vor dem Pool und schauten zu, wie die letzten Sonnenstrahlen auf der Wasseroberfläche tanzten. Weit entfernt versetzte etwas die Tiere des Waldes in Aufruhr. Die Vögel stießen kreischende Warnlaute aus und leises Flattern war zu hören. Aber das war weit entfernt. Hier im Innenhof war es warm und friedlich.

      Arthur goss Whisky in sechseckige, stummelige Gläser und Kai beobachtete, wie seine dichten Wimpern sich senkten. Arthurs Hand schien ein wenig zu zittern, vielleicht, weil die Flasche schwerer war, als sie aussah.

      »Auf das Leben«, sagte Arthur, wie ein verdammter Gentleman, und Kai fiel mal wieder nichts ein, was er sagen konnte.

      Also nickte er nur und stieß mit Arthur an. Über dem kleinen Tisch, dessen Mosaikmuster das des Pools wiederholte. So cool wie möglich setzte Kai das Glas an die Lippen. Der beißende Geruch des Gesöffs stieg in seine Nase und brachte seine Augen zum Tränen.

      Nicht verschlucken, dachte er. Egal, was du tust, nicht verschlucken.

      Er schaffte es, das Zeug herunterzukippen, ganz. Es brannte sich durch seine Speiseröhre wie Säure


Скачать книгу