Lautstark verliebt. Regina Mars

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Lautstark verliebt - Regina Mars


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kennengelernt hatten. Nein, so konnte er nicht da hin.

      Er vergewisserte sich dreimal, dass die Tür wirklich abgeschlossen war und dass der Rollladen absolut dicht schloss.

      Mit weichen Knien krabbelte er aufs Bett. Eigentlich hatte er das schon oft getan, aber … Er hatte immer Angst gehabt, dass er dabei erwischt werden würde. Die Panik, dass seine Mutter plötzlich die Tür aufschließen würde, saß ihm immer im Nacken.

      Mit zitternden Händen holte er ein Taschentuch aus dem Nachttisch und öffnete die Knöpfe der neuen Hose.

      Charles, dachte er, als er hineingriff. Sich anfasste. Neue Bilder tauchten auf. Charles' Arme um seinen Körper. Der Mund, der sich auf Kors legte. Er wusste nicht, wie sich andere Lippen auf seinen anfühlen würden, aber … allein der Gedanke erregte ihn so sehr, dass eine Hitzewelle durch seinen Körper rollte. Wenn er sich ausmalte, wie das schmecken würde …

      Es ging schnell. Nach nicht mal einer Minute kam er in das Taschentuch. Mit flatterndem Herzen machte er sich sauber und befahl seinem Unterleib, sich für den Rest des Abends ruhig zu verhalten. Der weigerte sich, irgendetwas zu versprechen. Kor verabschiedete sich von Cherry und schlich aus dem Zimmer.

      Als er im Flur nach der grünen Outdoorjacke greifen wollte, zögerte er. Hm. Ganz rechts auf der prall gefüllten Garderobe hing die alte Motorradjacke seines Vaters. Die war schwarz und … passte besser, oder?

      Halbtot vor schlechtem Gewissen zog er sie an. Und stellte mit Erstaunen fest, dass sie ihm stand. Irgendwie hatte er erwartet, darin wie ein Kind auszusehen, das sich verkleidet hatte. Aber nein, er sah aus, wie … ein Typ namens Kor, der Schwarz trug, wusste, was er tat und vermutlich Speed Metal hörte. Dabei hatte er keine Ahnung davon. Sein Lehrer hatte ihm Mainstream-Rock beigebracht. Selbst gelernt hatte er alles Mögliche, nur das nicht, und seine letzte Lieblingsband hatte Ska gespielt und sich außerdem längst aufgelöst.

      Mit einem seltsamen Gefühl, halb Aufregung, halb totale Panik, drehte er sich um und verließ das Haus.

      Sobald er im Bus saß, wandelte sich das Gefühl zu reiner Panik.

      Was tust du hier?, schrillte eine Stimme durch seinen Kopf. Das bist doch gar nicht du! Und jeder merkt es.

      Die drei Teenager ganz hinten schienen es zu merken. Sie kicherten und grölten. Außer ihm und denen war fast niemand im Bus. Nur zwei ältere Frauen und ein glatzköpfiger Typ, der vermutlich ein Nazi war. Super.

      Ruhig, sagte er seinem wummernden Herzen. Die meinen gar nicht dich. Bestimmt …

      Etwas knallte gegen seinen Hinterkopf. Heller Schmerz ließ ihn aufkeuchen. Eine leere Bierdose klapperte über den Boden.

      »Hey, du Opfer!«, erklang eine Stimme hinter ihm. »Dreh dich um!«

      Kor drehte sich nicht um. Er sank so tief in den Sitz und in die Jacke seines Vaters, wie er konnte. Sie roch nach ihrer Wohnung. Ein Geruch, der schmerzlich vertraut war und ihm hier draußen nicht half. Stur heftete er den Blick auf die Lehne vor ihm. Glanzloses Metall, ein chaotisches Muster auf den Bezügen …

      »Umdrehen, umdrehen …«, grölten sie in seinem Rücken.

      Kor blinzelte eine Träne weg. Angst krallte sich in seinen Bauch.

      Nein, dachte er. Ich dreh mich nicht um. Und hoffentlich steigen die bald aus …

      Taten sie nicht. Als endlich Kors Station kam, wartete er bis zur letzten Sekunde, mit angehaltenem Atem, und sprang raus. Die Türen schlossen sich Millimeter hinter ihm.

      Mit beiden Füßen landete er in einer Pfütze. Egal. Er hörte den Bus weiterfahren.

      Kor atmete aus. Die Bushaltestelle war leer. Kein Mensch weit und breit. Die Straßenlaterne spendete grelles Licht, das alles irgendwie unwirklich erscheinen ließ. Er wollte sich gerade auf den Weg machen, die Straße herunter, als er ein Geräusch vernahm.

      Quietschende Reifen. Der Bus hielt. Und als er sich umdrehte, sah er die drei Jungs aussteigen. Jungs oder Männer? Auf jeden Fall waren sie kräftig und schauten böse, also drehte er sich um und rannte los.

      Die orthopädischen Schuhe dröhnten über das rutschige Pflaster.

      »Hinterher!«, hörte er einen von ihnen brüllen.

      Nein! Kor ballte die Fäuste. Er versuchte, noch schneller zu werden, obwohl seine Lungen schon nach wenigen Metern brannten. Er vernahm Schritte hinter sich. Sah den dunklen Asphalt vor sich, die verschwommenen Schatten seiner Füße, spürte seinen Atem, der schmerzte, schmerzte, weil er so schnell rannte.

      Nur drei Straßen weiter wartete Charles. Er musste es schaffen. Er musste …

      Er stolperte.

      Rutschte weg, jemand packte seinen Ärmel … und er wurde gegen die Wand gepresst. Seine Schulterblätter krachten schmerzhaft auf Beton. Ein grinsendes Gesicht erschien vor ihm.

      »Hab dich!« Der Typ hatte trübe Augen. Irgendwie unfokussiert. Ob der was genommen hatte?

      Die anderen beiden gesellten sich dazu. Kor versuchte, sich loszureißen, aber der Kerl drückte ihn an die Wand und hielt seine Arme mit einem Schraubstockgriff fest. Es war dunkel. Die Straße war leer. Weit und breit keine Hilfe, zumindest, soweit er sehen konnte …

      Warum hat der Busfahrer die rausgelassen?, dachte Kor. Der muss doch gesehen haben, was sie vorhaben. So ein Feigling, so ein …

       Charles wartet auf mich.

      Der Gedanke war plötzlich da. Charles wartete auf ihn, ganz nah, und diese Trottel hielten ihn auf.

      »W-was wollt ihr?«, stieß er hervor. Der Typ vor ihm schien einen Moment lang verblüfft. Leider nur einen Moment lang. Dann kehrte sein Grinsen zurück.

      »Deine Jacke, du Spast.«

      »Was? Nein!« Er konnte doch nicht die Jacke seines Vaters verlieren! Vor allem, wenn der nicht wusste, dass er sie hatte. Aber die Drei hatten kein Verständnis.

      »Jacke her. Und dein Geld«, knurrte der Typ links.

      Kor ballte die Hände zu Fäusten. Wieder versuchte er, sich loszureißen und hatte keine Chance. Eine flache Hand traf seine Wange. Die Drei lachten.

      Eine Faust erschien und knallte gegen die Schläfe des Kerls, der Kor festhielt. Sein Griff lockerte sich und Kor war plötzlich frei. Fast wäre er zu Boden gegangen, so abrupt geschah es. Was …

      Es war der Nazi aus dem Bus. Der mit der blauen Jacke. Mit einem Gesichtsausdruck als hätte er Tollwut, stürzte er sich auf die Drei. Trat dem Ersten auf das Knie, bekam einen Schlag in die Nieren, jemand riss an dem blauen Ärmel …

      Es ging viel zu schnell. Kor konnte nur zusehen, wie ein Wirbelsturm aus Tritten und Schlägen vor ihm tobte. Und dieser Glatzkopf war mittendrin. Voll konzentriert, gefährlich, mit Augen, die vollkommen tot schienen.

      Schon lag einer der Drei am Boden und stöhnte. Mit dem zweiten wälzte der Nazi sich über das Pflaster. Der dritte der Bande rannte auf die Prügelnden zu, die Hand hoch erhoben. Ein dunkler Stein lag zwischen seinen Fingern …

      »Nein!«

      Kor flog auf ihn zu, bevor er auch nur daran denken konnte, wie gefährlich das war. Der Typ in der blauen Jacke half ihm. Den konnte er doch nicht hängenlassen! Er rammte den Kerl mit dem Stein, bevor er die beiden Prügelnden erreichte. Heller Schmerz schoss durch seine Schulter. Kor stürzte.

      Er kam hart auf. Selbst die Motorradjacke schützte ihn nicht vor dem Aufprall. Lichtblitze wirbelten hinter seinen Augen.

      »Du verficktes Arschloch!« Der Typ, den er zu Boden gerissen hatte, sprang auf. Schwankte.

      Oh nein.

      Kor stützte die Hände auf den kalten Boden und krabbelte rückwärts, egal, wie erbärmlich das aussehen mochte. Er fühlte eisigen


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