Lautstark verliebt. Regina Mars

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Lautstark verliebt - Regina Mars


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glitt über Kors Wange.

      »Ne, das ist die Vorband. Sind auch nicht schlecht.«

      »Ach so.«

      Der Sänger nutzte die winzige Bühne voll aus, sprang, schrie und brüllte. Seine dunklen Haare fielen ihm ins Gesicht, während er Geräusche machte, die kaum noch menschlich klangen. Es war düster, bis auf die grellbunten Scheinwerfer, die die Band anstrahlten. Der Boden unter Kors Füßen vibrierte, immer, wenn der Sänger und die Leute in der ersten Reihe hüpften.

      Irgendwer drückte ihm ein Bier in die Hand … Oh, plötzlich hatten sie alle Bier und stießen lautstark an. Kor nippte vorsichtig an der eiskalten Flüssigkeit. Äh, na ja. Bitter. Egal. Denn schon stand Charles wieder neben ihm und redete auf ihn ein. Die Vorband war so laut, dass er mit dem Mund fast Kors Ohr berührte.

      »Hörst du den Gitarristen?«, rief er nach einem längeren Exkurs über die Vorgeschichte der Band. »Merkst du, wie ihr Zusammenspiel funktioniert?«

      Kor lauschte. Der herumspringende Sänger verwirrte ihn, also schloss er die Augen und konzentrierte sich.

      Oh. Ja, er hörte den Gitarristen heraus. Und noch viel mehr. Es war fast zu viel auf einmal. Gesang, Gitarre, Bass, Drums … Aber er begann, etwas zu verstehen. Wie sie zusammengehörten und sich ergänzten. Wie sie zu viert etwas schufen, das viel mächtiger war als die Summe ihrer Teile.

      »Ich habe nie mit jemandem zusammengespielt«, sagte er. Trotz der Lautstärke schien Charles ihn zu verstehen. »Ich … Das ist anders, oder? Ist das schwer?«

      »Am Anfang schon, wenn man immer nur allein vor sich hergeschrammelt hat«, rief der. Kor spürte seinen Atem am Hals und ein Schauer rann durch seinen ganzen Körper. »Aber man gewöhnt sich daran. Ich kann's dir beibringen, wenn du magst.«

      »Echt?« Oh Mann. Charles' graue Augen waren so nah. So nah, dass er seine von der Dunkelheit geweiteten Pupillen sehen konnte. Er registrierte das Gedränge um sie herum, doch er nahm es wie durch einen dichten Schleier wahr.

      »Klar.«

      Ein wölfisches Grinsen. Kor konnte kaum noch atmen. Er wünschte sich so sehr, dass Charles gerade mit ihm flirtete. Es fühlte sich an wie flirten, nur … konnte es das nicht sein. Das hatte er gestern deutlich gemacht. Also fragte Kor ihn weiter aus. Und er sprach sogar mit anderen Leuten. Mina würde begeistert sein.

      Der Riese, der Marcel hieß, erklärte ihm, was der Drummer machte. Der schlecht gelaunte Dane erklärte ihm, was der Drummer falsch machte. Kor sog ihre Worte auf wie ein Schwamm.

      Er sog alles auf: die Musik, die angenehme Dunkelheit, die spannungsgeladene Atmosphäre, die springenden Menschen weiter vorn und das Gedränge um ihn herum. Den roten Nebel, der rechts von ihm entstand, weil eine Gruppe Raucher unter einem bunten Scheinwerfer stand. Das war so absolut fantastisch.

      Und nachdem er das halbe Bier geleert hatte (sehr langsam, denn er hatte Angst, betrunken zu werden), fühlte er sich, als würde er hierher gehören. Da waren sogar Leute, die blasser waren als er! Mina hatte immer behauptet, das wäre unmöglich.

      Dann betraten Orkus Orbus die Bühne und die waren noch viel, viel besser. Die Stimmung veränderte sich. Es wurde nicht lauter, aber … intensiver. Plötzlich tanzte der ganze Raum. Kor auch, obwohl er keine Ahnung hatte, was er tat. Aber zu springen schien ausreichend zu sein. Er spürte den Schweiß seinen Rücken herunterlaufen. Er stieß gegen die nackten Arme von dem türkishaarigen Mädchen, Sheron, von Nathan und die in einem durchgeschwitzten Langarmshirt steckenden von Charles. Charles' Arme mochte er am liebsten. Und dann …

      … beendete der Sänger seinen Song, schüttelte sich Wasser aus den langen Haaren und grinste.

      »Charles!«, brüllte er. »Rauf auf die Bühne mit dir!«

      Was? Staunend betrachtete Kor, wie Charles sich durch die Menge drängte, begleitet von lautem Jubel. Er sprang auf die Bretter wie eine Raubkatze. Ein entspanntes Winken, und der Jubel wurde lauter.

      »Angeber«, murmelte Nathan in Kors Ohr.

      Aber der wollte ihn nur ärgern. Charles war kein Angeber, er war der Größte. Der absolut Größte! Der Gitarrist überreichte ihm sein Instrument. Charles streifte die schwarze Gitarre über, so lässig, als hätte er nie etwas anderes gemacht und … plötzlich waren die Schallwellen voll Magie.

      Seine Technik war anders als die der beiden anderen Gitarristen, das konnte Kor hören. Das klang fast ein wenig … wie er selbst spielte. Aber das konnte doch nicht sein. Also entweder imitierte Charles ihn oder sie hatten einen ähnlichen Stil. Beide Möglichkeiten gefielen ihm. Sehr.

      Mit offenem Mund stand er still, während der Saal um ihn herum tobte. Das war sein neues Lieblingslied, beschloss er. Sein neues Lieblingslied hieß Doomsday Destruction und war einfach traumhaft.

      Dann erst passierte das Magischste, was den gesamten Abend über geschehen war. Charles hob den Blick von der Gitarre, schüttelte die Haare aus der Stirn, sah durch die Menge, genau auf Kor …

      Und zwinkerte ihm zu.

      Kors ganzer Körper gefror, nur, um sich Sekunden später in flüssige Lava zu verwandeln. Trotz des Lärms hörte er seinen Pulsschlag in den Ohren hämmern.

      Oh. Mein. Gott!, dachte er, lustigerweise in Minas Stimme, wenn sie von ihrem tollen Professor sprach. Als Charles die Gitarre zurückgab und sich rückwärts in die Menge warf, fühlte Kor sich, als hätte ihn eine Flutwelle mitgerissen und gegen eine massive Felswand geschleudert.

      Mit wummerndem Herzen sah er zu, wie Charles auf Händen getragen wurde und knapp vor ihm zu Boden sprang. Marcel, der Riese, klopfte Charles auf die Schulter. Eine wunderschöne Schwarzhaarige hielt ihm ein Bier hin und er prostete in die Runde.

      »Sag ich doch: Angeber«, sagte Nathan. Aber es lag kaum Bosheit in seinem Gesicht.

      »Warum haben sie ihn auf die Bühne geholt?«, fragte Kor. »Kennen die sich?«

      »Charles kennt alle«, sagte Nathan. »Und wir waren mal in einer Band mit dem Sänger und dem Drummer. Ging auseinander, aber sie sind immer noch Freunde. Auf mich sind die komischerweise nicht so gut zu sprechen.«

      Er hob sein Bierglas und prostete dem Drummer zu. Dessen Miene verfinsterte sich. Die Stöcke sausten nun viel brutaler auf die Felle nieder. Kor erinnerte sich an die Geschichte, die Charles erzählt hatte. Nathan und der Drummer … War es der hier?

      Er könnte Nathan danach fragen. Ein plötzlich aufblitzender Gedanke ließ ihn erstarren. Er … könnte ihn fragen, wie es war, mit einem anderen Mann …

      Aber er traute sich nicht. Allein die Vorstellung sorgte für Herzrasen. Und wenn er sowas fragen würde, würde Charles bestimmt etwas davon mitbekommen. Schließlich war Nathan sein bester Freund, und was, wenn Charles dann kapierte, dass er … äh.

      »Kor!«, brüllte jemand in sein Ohr und gleich darauf legte sich ein wunderbar verschwitzter, schwarzbekleideter Arm um seine Schultern. Charles' Atem roch nach Bier und trotzdem köstlich und Haare streichelten seine Wange und …

      »Das war super!« Kor lächelte. Wahrscheinlich sah er aus wie ein übereifriges Hündchen, aber das war ihm gerade egal. »Wie du … Das … Ich habe dich ja noch nie live spielen gehört. Das war super!«

      Charles sah richtig glücklich aus. Erhitzt und aufgedreht. Feuchte Strähnen klebten in seiner Stirn und ließen ihn noch verwegener aussehen.

      »Komm mit«, flüsterte er in Kors Ohr und der konnte sich nichts vorstellen, was er lieber getan hätte. Freudestrahlend folgte er ihm durch die Menge, rannte dem breiten Rücken hinterher. Er wäre ihm überallhin gefolgt.

      Kurz vor dem Ausgang stand eine Theke und dahinter hockte der Typ, der Kors Hand gestempelt hatte. Charles nickte ihm zu. Dann marschierte er an ihm vorbei und verschwand hinter einem schwarzen Samtvorhang. Kor grüßte den Mann schüchtern, der unbeeindruckt ins Leere starrte, und schob den schweren Stoff zur Seite.


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