Behemoth. Franz Neumann

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Behemoth - Franz Neumann


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Instrument der parlamentarischen Demokratie, jede liberale Institution, Gesetzesbestimmung, soziale und politische Regel wurde zur Waffe gegen Liberalismus und Demokratie; jede Gelegenheit wurde wahrgenommen, die Ineffizienz der Weimarer Republik mit Hohn zu überschütten. Die folgenden Äußerungen sind eine bescheidene Auswahl von Anklagen wider Liberalismus und Demokratie, die allein den Schriften nationalsozialistischer Professoren entnommen sind (die Schimpfkanonaden der Parteiredner können der Phantasie überlassen bleiben):

      Der liberale Staat ist »neutral und negativ«, eine bloße Maschinerie; er ist, um es mit Lassalle zu sagen, ein »Nachtwächterstaat«. Daher ist er »ohne Substanz«, unfähig, eine Entscheidung zu fällen oder zu bestimmen, was gut oder böse, gerecht oder ungerecht ist. Die Idee der Freiheit ist zur Anarchie verkommen. Zersetzung und Materialismus greifen um sich. Und das marxistische Ideal, nur eine Spielart des Liberalismus, ist nicht besser.

      Demokratie ist die Herrschaft der »unorganisierten Masse«, einer Summe von Robinson Crusoes, aber nicht von Menschen. Ihr Prinzip ist das »Nasenzählen«, und ihre Parlamente, von privaten Gruppen beherrscht, sind Arenen brutaler Machtkämpfe. Das Recht dient nur privaten Interessen, der Richter ist nichts anderes als eine Maschine. Liberalismus und Recht schließen in Wirklichkeit einander aus, wenngleich sie aus Gründen der Zweckmäßigkeit vorübergehend ein Bündnis eingegangen sind. Mit einem Wort, Liberalismus und Demokratie sind Ungeheuer, man könnte sagen: »negative« Leviathane, so stark, daß sie imstande waren, die Institution des germanischen Rassenerbes zu korrumpieren.

      Es wäre jedoch falsch anzunehmen, daß der Nationalsozialismus während der 20er und frühen 30er Jahre einfach mit dem Ziel angetreten ist, die Wertlosigkeit der Demokratie zu beweisen oder einen Ersatz anzubieten: Monarchie oder Diktatur oder sonst irgend etwas. Ganz im Gegenteil brüstete er sich, der Retter der Demokratie zu sein. Carl Schmitt, der Ideologe dieses Schwindels, entwickelte dies folgendermaßen:

      Die Weimarer Republik beruht auf zwei Prinzipien, dem demokratischen und dem liberalen, rechtsstaatlichen, die nicht miteinander verwechselt werden dürfen. Demokratie bezieht sich auf den Grundsatz der Identität von Regierenden und Regierten. Gleichheit, nicht Freiheit ist ihre Substanz. Gleichheit kann es nur innerhalb einer vorhandenen Gemeinschaft geben, und die Basis für beide, Gemeinschaft und Gleichheit, kann unterschiedlich sein. Wir können Gleichheit von der physischen oder moralischen Homogenität der Gemeinschaft ableiten, wie die Tugend, die Montesquieu als das Prinzip einer Republik bezeichnete. Oder Gleichheit kann von einer religiösen Übereinstimmung herrühren, wie sie der demokratischen Ideologie der Levellers in der puritanischen Revolution zugrunde lag. Seit der Französischen Revolution ist nationale Homogenität die Basis. Rousseau, der diesen Begriff prägte und darauf das einzige wahrhaft demokratische System errichtete, hat unter nationaler Homogenität die Einstimmigkeit verstanden.2 Sein Begriff des allgemeinen Willens läßt daher keine politischen Parteien zu, da Parteien, wie schon ihr Name zeigt, nur den Willen eines Teils zum Ausdruck bringen. Ein wahrhaft demokratisches System wird also die völlige Identität von Regierenden und Regierten ausdrücken.3

      Parlamentarismus ist nicht identisch mit Demokratie, sondern lediglich eine ihrer historischen Formen. Die Hauptprinzipien des Parlamentarismus sind öffentliche Diskussion, Teilung der Gewalten und Allgemeinheit des Gesetzes. Die öffentliche Debatte verlangt, daß die Instanzen politischer Macht sich der Diskussion als eines Mittels der Wahrheitsfindung aussetzen. Die öffentliche Debatte ermöglicht der Bürgerschaft die Überwachung und Kontrolle ihrer Vertreter. Aber, sagt Schmitt, die Praxis stimmt nicht mehr mit der Theorie überein. Die parlamentarische Debatte ist heute nichts weiter als ein Mittel, die zuvor außerhalb gefällten Entscheidungen zu registrieren. Jeder Abgeordnete ist durch starre Parteidisziplin gebunden. Er würde nicht wagen, sich von einem Gegner umstimmen zu lassen. Die parlamentarische Debatte ist ein Betrug. Die Reden werden nur für das Protokoll gehalten. Da die wichtigsten Entscheidungen in geheim tagenden Ausschüssen oder in informellen Verhandlungen zwischen den herrschenden Gruppen fallen, ist die Öffentlichkeit der Debatte selbst leerer Schein.

      Der Grundsatz der Gewaltenteilung beschränkt das Parlament auf die Gesetzgebungsfunktion, mit anderen Worten, auf die Verabschiedung abstrakter, allgemeiner Regeln. Wieder hat sich die Praxis von der Theorie entfernt. Das Parlament ist nicht mehr ausschließlicher Gesetzgeber; es ist sogar eher eine Administration, und dazu noch eine untaugliche. Im Zeitalter des Monopolkapitalismus sind allgemeine Gesetze zu einem Mittel geworden, individuelle Entscheidungen zu verschleiern. Die Homogenität des Volkes ist so gut wie nicht vorhanden. Das pluralistische System hat an die Stelle der einen Grundbindung an die Nation eine Vielzahl von Bindungen gesetzt. Die Polykratie, d. h. die nebeneinander stehenden, unabhängigen öffentlichen Organe (Sozialversicherungsinstitutionen, Aufsichtsämter, staatseigene Wirtschaftsunternehmen usf.), die keiner parlamentarischen Kontrolle unterliegen, hat die Einheitlichkeit der politischen Entscheidungen zerstört. Sie hat viele der lebenswichtigen Glieder vom Staatskörper abgetrennt. Das föderative Prinzip, mit seinem Schutz partikularistischer Interessen, spricht dem Gedanken des einen Volkes Hohn.

      Bürgerliche Freiheiten und unveräußerliche Rechte schließlich sind die Negation der Demokratie. Rousseau hätte bereits auf diesen Punkt, zumindest implizit, hingewiesen; denn die Theorie des Gesellschaftsvertrages besage, daß der Bürger mit Abschluß des Vertrages seine Rechte veräußert. Die traditionellen persönlichen und politischen Freiheiten waren ein Produkt des Konkurrenzkapitalismus. Dieses Zeitalter ist nun vorbei, und der Kapitalismus ist in die Phase des Interventionismus, des Monopolkapitalismus und Kollektivismus eingetreten. Da Gewerbe- und Vertragsfreiheit verschwunden sind, verloren auch ihre Folgegarantien, Rede- und Versammlungsfreiheit, Pressefreiheit und Freiheit gewerkschaftlicher Organisation, ihre Bedeutung.4

      Es ist ein interessantes Paradox, daß diese antidemokratische Analyse, darauf abgestellt, die Bedeutung der Grundrechte auf ein Minimum zu beschränken, sie zugleich gewaltig hervorhob, indem sie diese in Bollwerke der Verteidigung des Privateigentums gegen staatliche Eingriffe verwandelte und ihnen eine verfassungsmäßige Funktion zuschrieb, die der deutschen Tradition völlig fremd war.5 Zahllose Bücher, Pamphlete und Reden denunzierten die parlamentarischen Institutionen als ineffizient, undemokratisch und korrupt. Die bürokratische Ideologie war der unmittelbare Nutznießer. Die Rechtsprechung wurde zur obersten politischen Funktion erhoben, und trotz all der Angriffe auf die pluralistischen, polykratischen und föderativen Ursachen der Zerrüttung wurde jede Kritik am unabhängigen politischen Status der Armee peinlich vermieden. Die Grundrechte wurden als mit der demokratischen Weltanschauung unvereinbar erklärt, während zugleich den Grundrechten auf Eigentum und Gleichheit eine so umfassende und tiefe Bedeutung zugemessen wurde, wie diese sie nie zuvor besessen hatten.

      Das logische Resultat dieses vorsätzlichen Manövers war der Ruf nach einem starken Staat, der in dem Wahlspruch gipfelte: »Alle Macht dem Präsidenten«. Der Präsident, so wurde unterstellt, ist eine wahrhaft demokratische Institution: Er ist vom Volk gewählt. In seinen Händen, als dem einzig wahren pouvoir neutre et intermédiaire, sollten legislative und exekutive Gewalt konzentriert sein. Die Neutralität des Präsidenten sei nicht bloß Farblosigkeit, sondern eine wahrhaft objektive Stellung über den kleinlichen Streitigkeiten der zahlreichen Interessen, öffentlichen Organe und Länder.6

      So sah die Grundhaltung aus, die sich hier offenbarte, der Dezisionismus Carl Schmitts7, die Forderung zu handeln statt abzuwägen, zu entscheiden statt zu berechnen. Der Dezisionismus basiert auf einer eigentümlichen, doch überaus attraktiven Lehre vom Wesen der Politik, die große Ähnlichkeit mit dem revolutionären Syndikalismus von Georges Sorel hat. Das Politische, so erklärte Schmitt, ist ein Freund-Feind-Verhältnis. Der Feind ist letzten Endes jener, der physisch vernichtet werden muß. In diesem Sinne kann jede menschliche Beziehung eine politische werden, denn jeder Gegner kann zu einem physisch zu vernichtenden Feind werden. Das Gebot des Neuen Testaments, daß man sogar seine Feinde lieben soll, bezieht sich nur auf den privaten Feind, inimicus, nicht auf den öffentlichen Feind, hostis.8 Dies ist eine Doktrin, die sich gegen jeden Aspekt und jeden Akt liberaler Demokratie und gegen unseren gesamten traditionellen Begriff der Herrschaft des Gesetzes wendet.

      Dagegen gerichtete Theorien waren entweder ohne Einfluß oder aber spielten der antidemokratischen These in


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