Verdammt magisch. Regina Mars

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Verdammt magisch - Regina Mars


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wie tausend Tonnen Ziegel.

      Katalysator.

      Ein Wimmern drängte seine Kehle hoch und er musste sich auf die Unterlippe beißen, um es unten zu halten. Fast hätte er geschluchzt. Er! Einmal hatten drei Kerle ihn hinter Briggis Bar zusammengetreten und er hatte keinen Ton von sich gegeben.

      Alle starrten ihn an. Der ganze Platz. Viertausend glotzende Augen. Das Lachen wurde immer lauter, eigentlich wieherten alle, bis auf die Direktoren, die wütend schauten, na, reserviert-wütend und Lauchi, der ihn stumm ansah und Brenna und Tore, in deren Gesichtern er dasselbe Entsetzen las, das er fühlte. Das blöde lila Leuchten um ihn war verblasst, aber er spürte es noch. Ekelhaft und unwirklich.

      Katalysator.

      Scheiße. Er würde echt heulen, wenn er nicht aufpasste.

      »In deine Ecke«, sagte die Direktorin, äußerst gefasst. Ihr faltiges Gesicht ragte über ihm auf. Wind zerrte an ihrem langen, grauen Haar. »Sofort.«

      Norman machte einen Schritt vorwärts und stolperte. Er konnte sich gerade noch fangen. Wie ein geprügelter Hund humpelte er zu der Versagertruppe der Katalysatoren am falschen Ende der Tribüne. Drei Luschen und die komische Alte warteten auf ihn. Die Alte versuchte, ihn zu umarmen, als er bei ihr ankam. Er knurrte sie an, als wäre er ein Wolf.

      »Lassen Sie mich in Ruhe«, zischte er.

      Sie lächelte selig. Fältchen erschienen um ihre Augen. Die war wirklich uralt. Bestimmt Mitte dreißig und rosig-rund wie ein Pfirsich.

      »Was gibt’s da zu grinsen?«, fragte er. Mit halbem Ohr hörte er, dass das Gelächter verklang. Dass die Zeremonie weiterging. Irgendjemand anders wurde aufgerufen. Die Alte griente, als wäre sie sturzbetrunken.

      »Es ist immer einer dabei, der sich gegen die Bestimmung wehrt«, flötete sie. »Ein bockiges Schäfchen. Hab keine Angst, Schäfchen. Ich bin eine gute Hirtin und ich werde dir den Weg weisen.«

      Norman sah sie ungläubig an.

      »Sind Sie besoffen?«, fragte er. Die Alte lachte glockenhell.

      »Nur glückstrunken bin ich. Es ist stets ein besonderer Tag, wenn die Herde sich vergrößert.«

      »Ich bin kein Schaf«, murrte er. »Ich bin ein Wolf. Der Wolf von Wørringen.«

      Aber er kriegte es nicht hin, sich ernsthaft zu streiten. Alles war hin. Alles. Die Träume von den Motoren der Macht. Der Plan, irgendwann Seite an Seite mit Gunnar Krafft zu kämpfen.

      Gunnar hatte ihn ausgelacht. Der … Arsch. Nein, nicht einmal jetzt schaffte Norman es, ihm böse zu sein.

      Die Demütigung lag in seinem Magen wie ein Haufen Wackersteine. Mit hängenden Schultern stellte er sich zu den Katalysatoren. Er musste wie eine breite Eiche zwischen jungen Birken aussehen. Er passte nicht hierher. Natürlich nicht. Er hätte da drüben stehen müssen, auf der anderen Seite, mit Tore und Brenna. Hä? Wichen die seinem Blick aus? Norman versuchte, Brennas Aufmerksamkeit zu erhaschen, aber die sah starr zu Boden. Was? Aber …

      »Heimfried von Mømpelgard!«, rief die Direktorin und Lauchi wurde blass. Er saß da unten, stockstarr im Polstersessel, und krallte sich mit den Fingern in der Lehne fest. Ups. Sah aus, als würde er gleich nochmal spucken.

      Stille. Leises Flüstern aus dem Publikum.

      »Heimfried von Mømpelgard!«, wiederholte die Direktorin, lauter.

      Eine steile Falte erschien zwischen ihren Augenbrauen. Lauchi rührte sich nicht. Wieder erklang verhaltenes Gelächter aus der Menge. Als Norman sah, wie der blonde Hänfling versuchte, im Polster des Sessels zu verschwinden, fühlte er etwas, das er lange nicht gefühlt hatte: Mitleid. Ausgelacht zu werden war gar kein schönes Gefühl. Er schluckte.

      »Heimfried von Mømpelgard!« Nun war die Direktorin gereizt. Eindeutig. »Sind Sie anwesend? Dann begeben Sie sich bitte auf die Tribüne!«

      »M-muss ich?«, ertönte Lauchis zartes Stimmchen.

      Wildes Gelächter brach los. Alter, was war los mit dem Kerl? Der war achtzehn und benahm sich wie ein Vierjähriger!

      Die eigene Erbärmlichkeit schien selbst Lauchi zu peinlich zu sein, denn er erhob sich, zitternd wie ein Halm im Sturm. Unendlich langsam stakste er die Treppenstufen hinauf und wurde mit jedem Schritt blasser. Als er vor dem Direktorenpaar stand, war er kalkweiß.

      Norman wurde klar, dass sie zusammen in einer Klasse sein würden. Der … Katalysatorenklasse. Er war nichts Besseres als dieser bebende Hänfling, der aussah, als würde er sich in Kürze einnässen. Nein, sie waren sogar genau gleich. Katalysatoren. Norman konnte ihn nur anstarren. Das konnte nicht wahr sein.

      Lauchi legte die Hände in die einer alten Katalysatorin und Norman war sicher, dass nur das ihn davon abhielt, umzukippen. Gleich würde der Magieschub kommen und wie sollte ein Schwächling wie Lauchi sowas aushalten?

      Norman schloss die Augen. Er konnte nicht anders. Er wusste, dass Mitleid niemandem etwas nutzte, am wenigsten dem Bemitleideten selbst. Aber das konnte er einfach nicht mit ansehen.

      Kleine Fünkchen erschienen, so fest kniff er die Lider zusammen.

      Er hörte ein Raunen. Erstauntes Flüstern in der Menge. Bestimmt hatte Lauchi sich eingepisst. Der Arme … Nein, kein Mitleid!

      »Motor!«, rief die Direktorin und Norman riss die Augen auf. Gerade rechtzeitig, um Heimfried zu Boden sinken zu sehen. Ohnmächtig. Umgeben von einem feinen, goldgelben Netz, das langsam verblasste.

      5. Zwei Abweichungen

      Lauchi war ein Motor. Und Norman nicht. Wie konnte das sein? Fassungslos starrte Norman auf den Schwächling. Das Netz verschwand und der Kleine stöhnte. Die Katalysatorin half ihm auf die Beine und geleitete ihn zu den anderen Motoren, die ihn anglotzten, als hätte sich ein Stück Weichkäse in ihre Reihen verirrt. Ungefähr so nützlich wie Käse würde Lauchi auch in einer Kampfsituation sein. Was zum Hades?

      Oft erkannte man schon vor der Erweckung, wer Motor und wer Katalysator sein würde. Gebaut wie ein Ochse und mutig wie ein Held? Motor. Gebaut wie ein Rehkitz und vorsichtig wie ein Mäuschen? Katalysator. Das war die natürliche Ordnung der Dinge.

      Klar gab es Leute, bei denen man nicht genau sagen konnte, wo sie landen würden. Leute, die irgendwo dazwischen waren. Dünn, aber stark. Breit, aber sanft. Oder klein, aber angriffsbereit wie ein tollwütiges Wiesel. Norman hatte eine ungewöhnliche Begabung, trotzdem zu erkennen, wo sie hingehörten. Das bewies der Münzenberg in seiner Hosentasche.

      Nur …

      Nur hätte er das Haus seiner Mutter darauf verwettet, dass Lauchi ein Katalysator war. Das Haus seiner Mutter und all ihre Mädchen und den geheimen Weinvorrat im Keller dazu. Er konnte gar nichts anderes sein. Schmächtig, ängstlich und schwach. Selbst für einen Katalysator wäre Lauchi ein erbärmliches Exemplar gewesen.

      Warum war der ein Motor? Und Norman nicht?

      Ein Kloß steckte in seiner Kehle fest und er wusste nicht, ob er kotzen oder heulen wollte vor Wut. Das war nicht fair! Das war nicht … nicht richtig. Er hatte sein Leben lang davon geträumt und nun bekam Lauchi das, was ihm zustand? Und schaute noch, als würde er gleich losflennen, obwohl ihm das Beste passiert war, was einem überhaupt passieren konnte?

      Norman nahm den Rest der Zeremonie wahr, als würde er sie von weit, weit weg beobachten. Die langweilige Abschlussrede. Die Abschlussshow mit zehn Motoren und zehn Katalysatoren, koordiniert wie ein Ballett und doch nichts gegen die Show von Gunnar.

      Gunnar. Er traute sich kaum, ihn anzusehen. Irgendwann riskierte er einen Blick, ganz schnell, aus dem Augenwinkel. Der Magier der tausend Klingen lungerte in einem Polstersessel herum und betrachtete das Spektakel. Immerhin lachte er nicht mehr über Norman.

      Als Norman an Gunnars Gelächter dachte, stürzte sein Magen wieder ab. Mist. Er würde … Er würde nie neben Gunnar auf der Stadtmauer stehen und Løbago vor


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