Guy de Maupassant – Gesammelte Werke. Guy de Maupassant

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Guy de Maupassant – Gesammelte Werke - Guy de Maupassant


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und stum­mer Auf­merk­sam­keit auf et­was, das am Bo­den lag. Der Pries­ter trat nä­her und er­blick­te die Hün­din, die ge­ra­de warf. Sie lag vor ih­rer Hüt­te. Fünf Jun­ge kro­chen be­reits um die Mut­ter her­um, die sie zärt­lich leck­te und ge­ra­de in dem Au­gen­blick, wo der Pfar­rer sei­nen Kopf über die Köp­fe der Kin­der hin­aus­reck­te, noch ein sechs­tes Jun­ges zur Welt brach­te. Da fing der gan­ze Schwarm vor Freu­de an zu schrei­en und in die Hän­de zu klat­schen: »Da kimmt noch eins! Da kimmt noch eins!« Es war dies eine Be­lus­ti­gung für sie, eine ganz na­tür­li­che Be­lus­ti­gung ohne ir­gend­wel­che un­rei­ne Bei­mi­schung. Sie sa­hen die­ser Ge­burt zu, wie sie Äp­fel hät­ten fal­len se­hen. Aber der Mann im schwar­zen Ro­cke er­beb­te vor Ent­rüs­tung und ver­lor völ­lig den Kopf. Er er­hob sei­nen blau­en Re­gen­schirm und schlug da­mit wü­tend auf die Kin­der ein. Da lie­fen sie, was sie lau­fen konn­ten. Dann wand­te sei­ne Wut sich ge­gen die nie­der­ge­kom­me­ne Hün­din. Er schlug bald mit der Rech­ten, bald mit der Lin­ken auf sie los, und als das Tier, das an der Ket­te lag und nicht fort­lau­fen konn­te, sich stöh­nend wehr­te, tram­pel­te er dar­auf her­um und zer­trat es mit sei­nen Fü­ßen – wo­bei noch ein letz­tes Jun­ges zur Welt kam; dann gab er ihm mit dem Ha­cken den Rest. Den blu­ti­gen Kör­per ließ er in­mit­ten der Neu­ge­bo­re­nen lie­gen, die kläg­lich piep­send her­um­taps­ten und be­reits nach den Brüs­ten der Mut­ter such­ten.

      *

      Eine sei­ner Ge­wohn­hei­ten war, lan­ge Aus­flü­ge zu ma­chen; er ging dann mit großen Schrit­ten und wil­der Mie­ne durchs Feld. Ei­nes Abends im Mai nun, als er von ei­nem sol­chen wei­ten Spa­zier­gang zu­rück­kehr­te und das Steilufer ent­lang ging, um das Dorf zu ge­win­nen, über­fiel ihn ein furcht­ba­rer Guß. Kein Haus war in Sicht, über­all nack­te Küs­te, von Wet­ter­strö­men zer­spült.

      Das Meer ging hoch und roll­te sei­ne Schaum­käm­me. Gro­ße fin­stre Wol­ken zo­gen vom Ho­ri­zont her­an und ver­dop­pel­ten den Re­gen. Der Wind pfiff und heul­te und leg­te die jun­gen Saa­ten nie­der, schüt­tel­te den trie­fen­den Abbé und press­te sei­nen durch­näss­ten Rock ge­gen sei­ne Bei­ne, er­füll­te sei­ne Ohren mit Sturm­ge­heul und sein Herz mit trun­ke­ner Er­re­gung.

      Er riss sich den Hut ab und bot sei­ne Stirn dem Ge­wit­ter preis, wäh­rend er sich all­mäh­lich dem Ab­stieg ins Nie­der­land nä­her­te. Doch da pack­te ihn ein Wind­stoß mit sol­cher Ge­walt, dass er nicht mehr wei­ter kam, und da er plötz­lich eine Schaf­hür­de und da­ne­ben den Schutz­kar­ren ei­nes Schä­fers er­blick­te, lief er dar­auf zu, um Un­ter­schlupf zu fin­den.

      Die Hun­de, die der Or­kan peitsch­te, schlu­gen nicht an, als er nah­te, und lie­ßen ihn un­ge­hin­dert an die Hüt­te, eine Art Hun­de­hüt­te auf Rä­dern, wie sie die Schä­fer im Som­mer von Wei­de zu Wei­de mit­schlep­pen.

      Über ei­nem Tritt­brett öff­ne­te sich die nied­ri­ge Tür, so­dass man das Stroh dar­in­nen er­ken­nen konn­te. Der Pries­ter woll­te hin­ein­schlüp­fen – als er plötz­lich im Dun­kel des Rau­mes ein Lie­bespär­chen ge­wahr­te. Da klapp­te er den Wet­ter­schirm in jä­her Ent­schlos­sen­heit zu, leg­te den Rie­gel da­vor, spann­te sich zwi­schen die Arme der Schub­kar­re und leg­te sich weit vorn­über­ge­beugt da­vor. Er zog wie ein Pferd und rann­te, un­ter sei­nem feuch­ten Tuch­rock keu­chend, dem jä­hen Steil­fall des tod­brin­gen­den Ab­hangs ent­ge­gen. Das über­rasch­te Lie­bes­paar glaub­te wohl, ein Vor­über­ge­hen­der mach­te sich einen Scherz, und trom­mel­te mit den Fäus­ten ge­gen die Wän­de des Holz­hau­ses.

      Als er den Kamm des Ab­falls er­reicht hat­te, ließ er das Wan­der­haus fah­ren, und nun schoss es den schrä­gen Hang hin­un­ter, in im­mer schnel­ler­er Fahrt, in ra­sen­dem Lau­fe da­hin­rol­lend, bald hoch­sprin­gend und stol­pernd, wie ein Tier, und mit den Ar­men auf­schla­gend.

      Ein al­ter Bett­ler, der in ei­nem Gra­ben hock­te, sah es über sei­nen Kopf hin­weg sau­sen und hör­te das ent­setz­te Ge­schrei in dem höl­zer­nen Kas­ten.

      Plötz­lich prall­te es auf, ver­lor ein Rad, leg­te sich auf die Sei­te und be­gann wie eine Ku­gel bergab zu rol­len, wie ein ent­wur­zel­tes Haus vom Gip­fel ei­nes Ber­ges her­un­ter­rol­len wür­de. Am an­de­ren Ran­de des un­ters­ten Hohl­we­ges sprang es auf und flog in ho­hem Bo­gen auf den Kies, wo es wie ein Ei zer­platz­te.

      Dort hob man die Lie­ben­den auf. Sie wa­ren zer­schla­gen und zer­malmt, alle Glie­der ge­bro­chen, aber im­mer noch eng ver­schlun­gen. In ih­rer Angst hat­ten sie die Arme um den Na­cken ge­schla­gen, als wäre es aus Lie­be ge­sche­hen…

      Der Pfar­rer er­laub­te nicht, dass ihre Lei­chen in die Kir­che ka­men, auch ver­wei­ger­te er den Se­gen an ih­ren Sär­gen. Und am Sonn­tag bei der Pre­digt sprach er don­nernd vom sechs­ten Ge­bo­te Got­tes des Herrn und droh­te den Lie­ben­den mit rä­chend er­ho­be­nem Arm und ge­heim­nis­vol­ler Mie­ne, in­dem er ih­nen das Bei­spiel der bei­den Un­glück­li­chen vor­hielt, die in ih­rer Sün­de ge­stor­ben wa­ren.

      Als er die Kir­che ver­ließ, nah­men zwei Gen­darmen ihn fest. Ein Zoll­wäch­ter, der im Guck­loch ge­le­gen hat­te, hat­te al­les ge­se­hen. Er wur­de mit Zucht­haus be­straft.

      *

      Und der Bau­er, von dem ich die­se Ge­schich­te habe, setz­te ernst hin­zu:

      – Ich habe ihn noch ge­kannt, Herr, ich selbst. Er war ein stren­ger Mann und von der Lie­be woll­te er über­haupt nichts wis­sen.

      *

      Mei­ne lie­be Co­let­te!

      Ich weiß nicht, ob du dich ei­nes Ver­ses aus Sain­te-Beu­ve ent­sinnst, den wir zu­sam­men ge­le­sen ha­ben, und der sich mei­nem Ge­dächt­nis fest ein­ge­prägt hat; denn er sagt mir Man­ches, die­ser Vers, und oft hat er mein ar­mes Herz be­ru­higt, be­son­ders in der letz­ten Zeit. Er heißt:

       »Im sel­ben Haus ge­bo­ren wer­den, le­ben

       Und ster­ben…«

      Hier bin ich nun ganz al­lein in die­sem Hau­se, in dem ich ge­bo­ren bin, ge­lebt habe und auch zu ster­ben ge­den­ke. Es ist nicht alle Tage hei­ter, aber es ist süß; denn ich bin von Erin­ne­run­gen um­ge­ben.

      Mein Sohn Hen­ry ist Ad­vo­kat; er be­sucht mich jähr­lich zwei Mo­na­te. Jean­ne wohnt mit ih­rem Man­ne am an­de­ren Ende Frank­reichs; sie be­su­che ich je­den Herbst. So bin ich denn hier al­lein, ganz al­lein, aber ver­trau­te Ge­gen­stän­de um­ge­ben mich und er­zäh­len mir un­aus­ge­setzt von den Mei­nen, von den To­ten wie von den fer­nen Le­ben­den.

      Ich lese nicht mehr viel, aber ich den­ke viel, oder bes­ser, ich träu­me! Frei­lich nicht in mei­ner Art von ehe­dem. Du kennst ja un­se­re aben­teu­er­li­chen Gril­len, un­se­re Plä­ne, die wir schmie­de­ten, als wir zwan­zig Jah­re alt wa­ren, all die glück­li­chen Aus­sich­ten, die sich uns er­öff­ne­ten!

      Von al­le­dem ist nichts in Er­fül­lung ge­gan­gen, oder viel­mehr, es ist al­les an­ders ge­kom­men, we­ni­ger süß und poe­tisch, aber doch zu­frie­den­stel­lend, wenn man sein Schick­sal zu neh­men weiß.

      Denn weißt du, warum wir Frau­en so oft un­glück­lich sind? Weil man uns in der Ju­gend zu viel an das Glück glau­ben lehr­te. Wir sind nicht mit dem Ge­dan­ken er­zo­gen wor­den, dass der Mensch zu kämp­fen, zu har­ren


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