Guy de Maupassant – Gesammelte Werke. Guy de Maupassant

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Guy de Maupassant – Gesammelte Werke - Guy de Maupassant


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tö­te­te nun nach­ein­an­der die An­klä­ger sei­nes Oheims und riss ih­nen die Au­gen aus, um den an­de­ren die Leh­re zu ge­ben, dass sie nichts be­haup­ten soll­ten, was sie nicht mit ei­ge­nen Au­gen ge­se­hen hät­ten.

      Er tö­te­te alle Ver­wand­ten und den gan­zen An­hang der feind­li­chen Fa­mi­lie. Er brach­te in sei­nem Le­ben vier­zehn Gen­darmen um, zün­de­te die Häu­ser sei­ner Wi­der­sa­cher an und war bis zu sei­nem Tode der ge­fürch­te­tes­te Räu­ber, des­sen man sich ent­sin­nen kann. – – –

      Die Son­ne ver­schwand hin­ter dem Mon­te Cin­to, und die mäch­ti­gen Schat­ten des Gra­nit­stockes leg­ten sich auf den Gra­nit des Ta­les. Wir be­schleu­nig­ten un­sern Schritt, um noch vor An­bruch der Nacht nach dem klei­nen Dor­fe Al­ber­tac­ce zu kom­men, das wie ein großer Stein­klum­pen an den Rän­dern der wil­den Schlucht kleb­te. Und ich sag­te im Ge­dan­ken an den Ban­di­ten:

      – Was für eine schreck­li­che Sit­te ist doch Eure Ven­det­ta!

      – Was wol­len Sie? ent­geg­ne­te mein Beglei­ter. Man tut nur sei­ne Pf­licht!

      *

      Sie war ru­hig ge­stor­ben, ohne To­des­kampf, wie ein Weib, das ein un­sträf­li­ches Le­ben hin­ter sich hat, und nun lag sie mit ge­schlos­se­nen Au­gen und fried­li­chen Zü­gen auf ih­rem Bet­te, als ob sie schlie­fe; ihr lan­ges wei­ßes Haar war sorg­fäl­tig fri­siert, als ob sie es erst zehn Mi­nu­ten vor ih­rem Tode ge­ord­net hät­te. Ihr mar­mor­nes To­ten­ant­litz drück­te sol­che Samm­lung und Ruhe, eine sol­che Er­ge­bung aus, dass man sich wohl vor­stel­len konn­te, wel­che schö­ne See­le in die­sem Kör­per ge­wohnt, wel­ches sturm­lo­se Le­ben die­se hei­te­re Grei­sin ge­führt, wel­ches fried­li­che Ende ohne Qua­len und Ge­wis­sens­bis­se die­se un­sträf­li­che Frau ge­fun­den hat­te.

      An ih­rem Bet­te knie­ten in ver­zwei­fel­tem Schluch­zen ihr Sohn, ein Be­am­ter von un­beug­sa­men Grund­sät­zen, und ihre Toch­ter Mar­gue­ri­te, die als Non­ne Schwes­ter Eu­la­lia hieß. Sie hat­te sie in stren­ger Moral er­zo­gen, im Glau­ben ohne Wan­kel­mut un­ter­wie­sen und mit un­wan­del­ba­rem Pf­licht­ge­fühl be­seelt. Der Sohn war Be­am­ter ge­wor­den; er hielt das Ge­setz hoch und schlug die Läs­si­gen und Saum­se­li­gen mit un­er­bitt­li­cher Stren­ge. Und die Toch­ter war im Dran­ge der Tu­gend, mit der sie die­ses from­me Haus er­füllt hat­te, und weil sie die Men­schen ver­schmäh­te, Got­tes Braut ge­wor­den.

      Ihren Va­ter hat­ten sie nicht ge­kannt; sie wuss­ten nur, dass er ihre Mut­ter un­glück­lich ge­macht hat­te; Ein­zel­hei­ten hat­ten sie nie er­fah­ren.

      Die Non­ne drück­te in ir­rem Schmerz einen Kuss auf die her­ab­hän­gen­de El­fen­bein­hand der To­ten, eine wah­re Chris­tus­hand. Die an­de­re Hand, die auf der an­de­ren Sei­te des hin­ge­streck­ten Kör­pers ruh­te, hat­te sich noch vom To­des­kampf her mit ir­ren­dem Tas­ten in das Bett­tuch ge­krampft, und das Lei­nen lag noch in klei­nen wei­ßen, wel­li­gen Fal­ten, wie in Erin­ne­rung an die­se letz­ten Be­we­gun­gen, die der ewi­gen Un­be­weg­lich­keit vor­aus­ge­hen.

      Es klopf­te lei­se an die Tür und die bei­den ver­wein­ten Ge­sich­ter blick­ten auf. Es war der Pries­ter, der vom Es­sen kam und eben ein­trat. Er war rot und pus­te­te von der be­gin­nen­den Ver­dau­ung, denn er hat­te viel Co­gnac in den Kaf­fee ge­gos­sen, um die Mü­dig­keit der letz­ten ver­wach­ten Näch­te und der be­vor­ste­hen­den Nacht zu be­kämp­fen.

      Er blick­te trau­rig drein, mit je­ner be­rufs­mä­ßi­gen Trau­rig­keit, hin­ter der die Freu­de über den ein­träg­li­chen To­des­fall grinst. Er mach­te das Zei­chen des Kreu­zes und kam in be­rufs­mä­ßi­ger Gan­gart nä­her. »Mei­ne lie­ben Kin­der«, hub er an, »lasst mich Euch hel­fen, die­se trau­ri­gen Stun­den zu ver­brin­gen.« Aber Schwes­ter Eu­la­lia rich­te­te sich plötz­lich auf und sag­te: »Dan­ke, mein Va­ter, aber es ist un­ser bei­der Wunsch, al­lein bei der To­ten zu blei­ben. Es sind dies die letz­ten Au­gen­bli­cke, wo wir sie se­hen, und da wol­len wir wie­der alle drei zu­sam­men sein, wie einst, als wir… als wir klein wa­ren und un­se­re ar­me… arme Mut­ter…« Wei­ter kam sie nicht; der Schmerz und die her­vor­bre­chen­den Trä­nen er­stick­ten ihre Stim­me.

      Der Pries­ter ver­neig­te sich; im Grun­de freu­te er sich auf sein Bett. »Wie Ihr wollt, mei­ne lie­ben Kin­der«, sag­te er sal­bungs­voll, knie­te nie­der, be­kreu­zig­te sich, ver­rich­te­te sein Ge­bet, stand wie­der auf und ver­ließ das Zim­mer mit sanf­ten Schrit­ten. »Sie war eine Hei­li­ge!« mur­mel­te er.

      Nun wa­ren sie wie­der al­lein, die Tote und ihre Kin­der. Eine Wand­uhr, die man nicht sah, un­ter­brach das Schwei­gen mit re­gel­mä­ßi­gem Ti­cken, und durch das of­fe­ne Fens­ter quoll der wei­che Duft des Heus und der Wäl­der mit dem sehn­süch­ti­gen Schim­mer des Mon­des her­ein. Al­les war still; nur zit­tern­de Un­ken­ru­fe ver­nahm man, und zu­wei­len das nächt­li­che Sur­ren ei­nes In­sekts, das wie eine Ku­gel her­ein­ge­flo­gen kam und brum­mend an die Wand stieß. Unend­li­cher Frie­den, himm­li­sche Schwer­mut und schwei­gen­de Hei­ter­keit wa­ren um die­se Tote, sie schie­nen von ihr aus­zu­ge­hen und sich be­sänf­ti­gend auf die Na­tur rings­um zu le­gen.

      Da schluchz­te der Be­am­te, der noch im­mer auf den Kni­en lag und das Haupt in die Lei­nen­tü­cher des Bet­tes ver­gra­ben hat­te, plötz­lich mit hei­se­rer, herz­bre­chen­der Stim­me durch De­cken und Tü­cher hin­durch: »O Mut­ter! Mut­ter! Mut­ter!« Und die Schwes­ter warf sich wild auf den Fuß­bo­den nie­der und schlug mit ra­sen­der Stirn ge­gen den Bett­pfos­ten. Sie wand sich krampf­haft am Bo­den und zit­ter­te, wie bei ei­nem epi­lep­ti­schen An­fall. »Je­sus! Je­sus! O Mut­ter! Je­sus!« hauch­te sie.

      Dann keuch­ten und rö­chel­ten bei­de, wie von ei­nem Schmer­zen­sor­kan ge­peitscht. Nur all­mäh­lich ließ der An­fall nach und mach­te ei­nem sanf­ten Wei­nen Platz, wie wind­stil­le Re­gen­güs­se nach Ge­wit­ter­böen auf to­ben­dem Mee­re.

      Erst lan­ge nach­her er­ho­ben sie sich wie­der und be­gan­nen die teu­re Lei­che zu be­trach­ten. Und die Erin­ne­rung, die ges­tern noch so süße, heu­te so quä­len­de Erin­ne­rung, be­fiel ih­ren Geist mit al­len ih­ren ver­ges­se­nen Ein­zel­hei­ten, al­len ih­ren in­ti­men und trau­ten Klei­nig­kei­ten; und die ge­lieb­te Tote leb­te ih­nen wie­der auf. Sie er­in­ner­ten sich der man­nig­fachs­ten Le­bens­la­gen, der Wor­te, des Lä­chelns, des Stimm­falls der Frau, die nun nie mehr mit ih­nen re­den soll­te. Sie ver­ge­gen­wär­tig­ten sie sich in ih­rer glück­li­chen Ruhe, sie ent­san­nen sich al­ler Wor­te, die sie zu ge­brau­chen pfleg­te, und ei­ner ge­wis­sen klei­nen Hand­be­we­gung, die sie bis­wei­len mach­te, wenn sie ein wich­ti­ges Ge­spräch führ­te.

      Und sie lieb­ten sie, wie sie sie nie ge­liebt hat­ten, und er­ma­ßen an ih­rer Verzweif­lung, wie teu­er sie ih­nen ge­we­sen war, wie al­lein und ver­las­sen sie jetzt wa­ren.

      Sie war ihr Halt, ihr Leit­stern ge­we­sen; ihre gan­ze Ju­gend, die gan­ze fröh­li­che Hälf­te ih­res Da­seins war mit ihr da­hin; das Band, das sie an’s Le­ben ge­knüpft, ihre Mut­ter, der Leib, der sie ge­bo­ren, das Glied, das sie an die Ket­te der Vor­fah­ren ge­bun­den, war zer­ris­sen. Von nun an wür­den sie al­lein und ver­ein­samt sein und nicht mehr zu­rück­bli­cken kön­nen.

      –


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