Guy de Maupassant – Gesammelte Werke. Guy de Maupassant

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Guy de Maupassant – Gesammelte Werke - Guy de Maupassant


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dazu auch noch die Sin­ne.

      Herr Du­four, den ein hef­ti­ger Schluck­ser plag­te, hat­te sei­ne Wes­te und den Ober­knopf sei­nes Bein­klei­des ge­öff­net, wäh­rend sei­ne Frau, die bei­na­he zu er­sti­cken droh­te, all­mäh­lich lei­se ihre Tail­le los­hef­tel­te. Der jun­ge Mensch we­del­te sich mit der Ser­vi­et­te fri­sche Luft zu und schenk­te sich im­mer wie­der zu trin­ken ein. Die Groß­mut­ter, die sich zwar auch et­was an­ge­hei­tert fühl­te, blieb in­des­sen ernst und zu­rück­hal­tend. Das jun­ge Mäd­chen ließ sich äus­ser­lich nichts mer­ken; sein Auge nur leuch­te­te zu­wei­len schwär­me­risch auf und sei­ne brü­net­te Haut zeig­te hin und wie­der auf den Wan­gen ein flüch­ti­ges Rot.

      Der Kaf­fee gab ih­nen den Rest. Man sprach von Sin­gen, und je­der gab sein Lied zum Bes­ten, dem die an­de­ren leb­haft Bei­fall klatsch­ten. Als­dann er­hob man sich mit ei­ni­ger Mühe und wäh­rend der weib­li­che Teil der Ge­sell­schaft et­was Atem schöpf­te, ver­such­te sich der männ­li­che Teil, bei­der­seits stark an­ge­trun­ken in gym­nas­ti­schen Übun­gen. Schwer­fäl­lig, schlaff und mit ge­röte­ter Stirn fass­ten sie sich lin­kisch um die Hüf­ten und such­ten sich ver­geb­lich in die Höhe zu he­ben; da­bei droh­ten ihre Hem­den fort­wäh­rend aus den Ho­sen her­vor­zu­rut­schen und wie Fähn­lein vor ih­ren Bäu­chen zu flat­tern.

      Die bei­den Ru­de­rer hat­ten in­des­sen ihre Yol­len ins Was­ser ge­scho­ben und schlu­gen nun mit vollen­de­ter Höf­lich­keit den Da­men eine klei­ne Kahn­par­tie vor.

      »Lie­ber Du­four, er­laubst Du? ich bit­te Dich dar­um« rief sei­ne Frau. Er sah sie mit halb­trun­ke­ner ver­ständ­nis­lo­ser Mie­ne an. Da nä­her­te sich ihm der eine Ru­de­rer, zwei An­gel­schnü­re in der Hand hal­tend. Die Hoff­nung auf einen Fisch­fang, die­ses Ide­al ei­nes je­den Spiess­bür­gers, mach­te das Auge des wa­cke­ren Man­nes wie­der leuch­ten, und er gab sei­ne Ein­wil­li­gung zu al­lem, was man woll­te. Un­ter der Brücke setz­te er sich im Schat­ten hin, und ließ die Bei­ne über­’m Was­ser bau­meln, wäh­rend der jun­ge Flachs­kopf an sei­ner Sei­te bald se­lig ent­schla­fen war.

      Der eine Ru­de­rer brach­te das Op­fer, Ma­da­me Du­four in sei­nen Kahn auf­zu­neh­men.

      »Zum klei­nen Holz auf der eng­li­schen In­sel« rief er beim For­tru­dern dem an­de­ren zu.

      Der zwei­te Kahn ent­fern­te sich viel lang­sa­mer. Der Boot­füh­rer blick­te sei­ne Ge­fähr­tin so ei­gen­tüm­lich an, dass sie gar kei­ne rech­ten Ge­dan­ken mehr fas­sen konn­te, und sich von ei­nem ei­gen­tüm­lich ein­schlä­fern­den Ge­fühl be­schli­chen fühl­te.

      Das jun­ge Mäd­chen sass am Steu­er­ru­der und über­liess sich ganz dem sanf­ten Be­ha­gen ei­ner Was­ser­fahrt. Sie fühl­te ein sol­ches Wi­der­stre­ben zu den­ken, eine sol­che Schwe­re in den Glie­dern, eine sol­che Hilf­lo­sig­keit so­zu­sa­gen, als wäre sie in der Tat ernst­lich be­rauscht. Sie war sehr rot ge­wor­den und ihr Atem ging kurz. Die leich­ten Geis­ter des Wei­nes, de­ren Wir­kung die sen­gen­de Hit­ze um sie her­um noch ver­mehr­te, spie­gel­ten ihr vor, dass alle Bäu­me am Ufer sich vor ihr ver­neig­ten. Ein un­de­fi­nier­ba­res Be­dürf­nis nach Ge­nuss brach­te ihr Blut noch mehr in Wal­lung als die bren­nen­de Hit­ze des Ta­ges; und dazu ver­wirr­te sie noch die­ses Tete-a-Tete auf dem Was­ser in ei­ner bei der Hit­ze ganz men­schen­lee­ren Ge­gend mit dem jun­gen Man­ne, den ihre Schön­heit ent­schie­den an­zog, der sie mit den Au­gen ver­schlang und des­sen Be­gehr­lich­keit so er­kenn­bar war, wie das Licht der Son­ne.

      Der Um­stand, dass sie kei­ne Wor­te für ein Ge­spräch fand, ver­mehr­te noch ihre Ver­le­gen­heit, und ängst­lich ließ sie den Blick über­’s Ufer schwei­fen. Sch­liess­lich frag der jun­ge Mann, ob er ih­ren Na­men wis­sen dür­fe.

      »Hen­ri­et­te« sag­te sie kurz.

      »Schau­en Sie«, rief er »ich heis­se Hen­ri.«

      Beim Klan­ge ih­rer Stim­men wur­den sie bei­de wie­der ru­hi­ger und sie fin­gen an, ihr Au­gen­merk auf den Fluss zu rich­ten. Der an­de­re Kahn hielt an und schi­en auf sie zu war­ten. Sein Füh­rer rief dem jun­gen Man­ne zu.

      »Wir wol­len uns im Hol­ze wie­der tref­fen; wir hier fah­ren erst noch zu Ro­bin­son, weil Ma­da­me Durst hat.«

      Er leg­te sich so­dann in die Rie­men und flog so schnell mit sei­nem Boot da­von, dass er bald ih­rem Ge­sichts­krei­se ent­schwun­den war.

      Un­ter­des­sen ver­nah­men die zwei von fer­ne her ein un­be­stimm­tes dump­fes Don­nern, wel­ches jetzt nä­her und nä­her kam. Der Fluss selbst schi­en zu er­zit­tern, als ob das dump­fe Geräusch aus sei­ner Tie­fe em­por­stie­ge.

      »Was hört man denn da nur im­mer?« frag­te sie. Es war der Fall des Weh­res, wel­ches an der Spit­ze der In­sel den Fluss durch­schnitt. Er be­gann eine lan­ge Be­schrei­bung die­ser An­la­ge, als plötz­lich durch das Brau­sen des Was­ser­fal­les der Ge­sang ei­nes Vo­gels noch ganz von wei­tem an ihr Ohr schlug. »Hor­chen Sie!« sag­te er: »Die Nach­ti­gal­len schla­gen bei Tage; das ist ein Zei­chen, dass die Weib­chen brü­ten.«

      Eine Nach­ti­gall also! Noch nie­mals hat­te sie eine Nach­ti­gall ge­hört, und der Ge­dan­ke, ei­ner sol­chen zu lau­schen, er­weck­te in ih­rem Her­zen die Vor­stel­lung von al­ler­hand poe­ti­schen Lie­bes­ide­en. Eine Nach­ti­gall! Das heisst so viel, wie der un­sicht­ba­re Zeu­ge je­ner Lie­bes-Sze­nen, den einst Ju­li­et­te auf ih­rem Bal­kon an­rief; jene Mu­sik, mit der der Him­mel die Küs­se der Men­schen be­glei­tet; je­ner nie ver­sa­gen­de Quell all der schmach­ten­den Ro­man­zen, in de­nen für die ar­men klei­nen Her­zen lie­bes­dürs­ten­der Mäd­chen sich ein himm­li­sches Zau­ber­bild wi­der­spie­gelt.

      Sie hör­te also wirk­lich eine Nach­ti­gall!

      »Sei­en wir ganz still«; sag­te ihr Beglei­ter, »wir kön­nen beim Ge­hölz lan­den und uns ganz in ih­rer Nähe hin­set­zen.«

      Das schlan­ke Boot glitt ge­räusch­los übers Was­ser. Auf der In­sel, de­ren Ufer so nied­rig wa­ren, dass man vom Kahn aus tief ins Ge­büsch hin­ein­schau­en konn­te, stie­gen jetzt vor den Au­gen der bei­den die ho­hen Bäu­me ma­je­stä­tisch em­por. Man mach­te Halt und leg­te das Boot fest; dann ging Hen­ri­et­te, auf Hen­ri’s Arm ge­stützt, mit die­sem tiefer in das Ge­zwei­ge der In­sel hin­ein. »Bücken sie sich« sag­te er, und Hen­ri­et­te bück­te sich. Sic dran­gen durch fast un­ent­wirr­ba­res Ge­wirr von Sch­ling­pflan­zen, Zwei­gen und Schilf­rohr in ein lau­schi­ges Plätz­chen, wel­ches nie­mand fin­den konn­te, der hier nicht ge­nau Be­scheid wuss­te. Der jun­ge Mann nann­te es la­chend sein »Ge­heim-Ka­bi­net.«

      Gera­de über ih­nen, tief im Ge­zwei­ge ei­nes schat­ti­gen Bau­mes ver­bor­gen, sang der Vo­gel un­auf­hör­lich sein Lied­chen. Bald schmet­ter­te er sei­ne Tril­ler und Läu­fer, bald er­füll­te er die Luft mit tie­fen zit­tern­den Tö­nen, wel­che sich lang­sam in der Fer­ne zu ver­lie­ren schie­nen. Es war, als roll­ten sie dem Flus­se ent­lang und brei­te­ten sich jen­seits über das Ge­län­de aus, wel­ches im tie­fen Schwei­gen un­ter der bren­nen­den Son­nenglut dalag.

      Sie hiel­ten sich bei­de ganz still, aus Furcht, das Tier­chen zu ver­trei­ben, wäh­rend sie dicht an­ein­an­der ge­schmiegt da­sas­sen. Lang­sam schob Hen­ri sei­nen Arm um die Tail­le des jun­gen Mäd­chens und such­te es mit ei­ner zärt­li­chen Be­we­gung an sich zu zie­hen.


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