Guy de Maupassant – Gesammelte Werke. Guy de Maupassant

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Guy de Maupassant – Gesammelte Werke - Guy de Maupassant


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Dampf­schiff fuhr wei­ter.

      Das jun­ge Mäd­chen war auf der Lan­dungs­brücke ste­hen ge­blie­ben und sah mit ent­täusch­ter Mie­ne, wie ich wei­ter­fuhr. Mein Beglei­ter aber rieb sich ver­gnügt die Hän­de und flüs­ter­te mir ins Ohr:

      »Ich habe Ih­nen wirk­lich einen treff­li­chen Dienst er­wie­sen. Las­sen Sie es nur gut sein.«

      *

      Schloss Uville in der Nor­man­die hat­te seit drei Mo­na­ten preus­si­sche Ein­quar­tie­rung. In dem Ka­mi­ne ei­nes ele­gan­ten Zim­mers brann­te ein lus­ti­ges Feu­er. Vor dem­sel­ben lehn­te, in ei­nem Ses­sel be­hag­lich aus­ge­streckt, der De­ta­che­ments-Kom­man­deur Ma­jor Graf Farls­berg und stu­dier­te die neues­ten Zei­tun­gen und Brief­schaf­ten, die ihm sein Bü­roschrei­ber kurz zu­vor ge­bracht hat­te. Sei­ne be­sporn­ten Stie­fel ruh­ten auf dem präch­ti­gen Mar­mor, mit dem der Herd ein­ge­fasst war und in des­sen glat­ter Flä­che sie all­mäh­lich zwei tie­fe Ril­len ein­ge­kratzt hat­ten.

      Ne­ben ihm auf ei­nem ein­ge­leg­ten Tisch­chen dampf­te eine Tas­se Kaf­fee. Das zier­li­che Mö­bel­stück trug jetzt die Spu­ren von ver­schüt­te­tem Ko­gnak, Brand­fle­cken von rück­sichts­los zur Sei­te ge­leg­ten Zi­gar­ren­stum­meln und Krit­zer von dem Fe­der­mes­ser des feind­li­chen Of­fi­ziers, der ge­le­gent­lich auch mit dem ge­spitz­ten Blei­stift ir­gend ein Wort oder eine Zahl, die ihm ge­ra­de ein­fie­len, dar­auf ein­zu­gra­ben pfleg­te.

      Nach­dem der Graf mit sei­ner Le­sung zu Ende war, er­hob er sich und warf ei­ni­ge Stücke grü­nes Holz auf das Feu­er. Die Her­ren Preus­sen lich­te­ten näm­lich zur Be­schaf­fung von Brenn­ma­te­ri­al all­mäh­lich den herr­li­chen Holz­be­stand des Par­kes.

      Der Re­gen floss in Strö­men, ein echt nor­män­ni­scher Re­gen, sprit­zend, peit­schend, al­les durch­ein­an­der; wie von ra­sen­der Hand im Zick­zack aus­ge­schüt­tet, bil­de­te eine Art schräg­ge­streif­ten Vor­hang. Nur in der Um­ge­bung von Rou­en, die­ser Kloa­ke Frank­reichs konn­te ein sol­cher Re­gen fal­len.

      Lan­ge be­trach­te­te der Of­fi­zier die durch­weich­ten Ra­sen­flä­chen und wei­ter un­ten die hoch­an­ge­schwol­le­ne ihre Ufer über­flu­ten­de An­del­le, wäh­rend er den neues­ten Rhein-Wal­zer auf den Schei­ben trom­mel­te. Ein Geräusch an der Türe ver­an­lass­te ihn, sich um­zu­wen­den. Es war der Haupt­mann Baron Hel­fen­stein nach dem Kom­man­deur, der rangäl­tes­te Of­fi­zier, der so­eben ein­trat.

      Der Ma­jor war ein breit­schult­ri­ger Rie­se, mit ei­nem fä­cher­ar­ti­gen über der Brust her­ab­wal­ten­den Bar­te. Sei­ne hohe Ge­stalt mit der fei­er­li­chen Hal­tung er­weck­te un­will­kür­lich die Vor­stel­lung von ei­nem krie­ge­ri­schen Pfau, der den brei­ten Schweif un­ter dem Kinn ent­fal­tet hat. Er hat­te blaue Au­gen und einen ru­hi­gen Blick. Quer über die rech­te Wan­ge lief eine Sä­bel­nar­be, ein An­den­ken aus dem ös­ter­rei­chi­schen Feld­zu­ge. Es heisst, er sei ein eben so wack­rer Mensch wie tapf­rer Of­fi­zier.

      Der Haupt­mann war ein kurz un­ter­setz­ter röt­lich auf­ge­dun­se­ner stark ge­schnür­ter Mann, des­sen flam­men­der kurz ge­schnit­te­ner Bart bei ei­ner ge­wis­sen Be­leuch­tung den Ein­druck er­weck­te, als sei das Ge­sicht mit Phos­phor ein­ge­rie­ben. Er hat­te bei ir­gend ei­ner leicht­sin­ni­gen Ge­le­gen­heit, dar­an er selbst sich nicht mehr ge­nau er­in­nern konn­te, zwei Zäh­ne ver­lo­ren. In­fol­ge des­sen stiess er die Wor­te et­was un­deut­lich her­vor, so­dass man ihn zu­wei­len kaum ver­ste­hen konn­te. Auf sei­nem Haup­te sah es ziem­lich kahl aus; er trug eine große Plat­te wie ein Mönch, die von ei­nem Kranz gold­lo­cki­ger glän­zen­der Här­chen ein­ge­fasst war.

      Der Kom­man­deur schüt­tel­te ihm die Hand, und trank auf einen Zug sei­ne Kaf­fee­tas­se (die sechs­te seit dem Mor­gen) aus, wäh­rend er den Rap­port über die neues­ten dienst­li­chen Vor­komm­nis­se ent­ge­gen­nahm. Dann tra­ten bei­de wie­der an das Fens­ter, um ih­rem Un­mu­te über die Wit­te­rung Luft zu ma­chen. Der Ma­jor, ein ru­hi­ger Mann, der zu Hau­se Weib und Kind hat­te, wuss­te sich leicht in al­les zu fin­den; aber der Haupt­mann war ein ech­ter Le­be­mann, der dem Ba­chus wie der Ve­nus gleich eif­rig diente und je­der Schür­ze nach­jag­te, war aus­ser sich, dass er nun schon drei Mo­na­te auf die­sem ver­lo­re­nen Pos­ten der Ent­halt­sam­keit pfle­gen muss­te.

      Es klopf­te, und auf das »He­rein« des Ma­jors er­schi­en ein Mann in der Türe, ei­ner ih­rer au­to­ma­ti­schen Sol­da­ten­fi­gu­ren, um durch sei­ne blos­se An­we­sen­heit zu mel­den, dass das Früh­stück be­reit sei.

      Im Spei­se­zim­mer fan­den sie die drei Su­bal­tern-Of­fi­zie­re: Den Pre­mier­lieu­ten­ant Otto von Groß­ling und die zwei Se­kon­de­lieu­ten­ants Fritz Schön­burg und Wil­helm Frei­herr von Ey­rich. Letz­te­rer war ein klei­ner Blond­kopf, derb und roh mit sei­nen ei­ge­nen Leu­ten, hart ge­gen die Be­sieg­ten und ex­plo­siv von Cha­rak­ter wie ein ge­la­de­nes Ge­wehr. Seit ih­rem Ein­marsch in Frank­reich nann­ten sei­ne Ka­me­ra­den ihn nur »Mam­sell Fifi« we­gen sei­nes ge­schnie­gel­ten We­sens, sei­ner zier­li­chen wie von ei­nem Kor­sett ge­hal­te­nen Tail­le und sei­nem zar­ten Ge­sicht­chen, auf dem sich kaum der ers­te An­flug von Schnurr­bart zeig­te. Aus­ser­dem hat­te er die Ge­wohn­heit an­ge­nom­men, sei­ne sou­ve­rä­ne Ver­ach­tung al­ler Per­so­nen und Din­ge durch den fran­zö­si­schen Aus­druck »Fi, fi donc« zu be­zeu­gen, den er mit ei­nem leich­ten Zi­schen her­vors­tiess.

      Der Spei­se­saal im Schlos­se Uville war ein lang­ge­streck­ter ma­je­stä­ti­scher Raum, des­sen präch­ti­ge von Ku­geln durch­lö­cher­te alte Spie­gel­schei­ben, eben­so wie die von Sä­bel­hie­ben zer­fetz­ten hier und dort her­ab­hän­gen­den herr­li­chen fland­ri­schen Sti­cke­rei­en Zeug­nis da­von ab­leg­ten, wo­mit sich Ma­da­me Fifi in ih­ren Mus­se­stun­den be­schäf­tig­te.

      An den Wän­den hin­gen vier Fa­mi­li­en­por­träts, von de­nen die drei ers­ten ei­sen­ge­pan­zer­ten Krie­ger, einen Kar­di­nal und einen ho­hen Staats­be­am­ten dar­stell­ten. Man hat­te je­dem der­sel­ben eine lan­ge Ton­pfei­fe in den Mund ge­steckt, wäh­rend man das stol­ze Ant­litz der vor­neh­men Dame mit der ho­hen Brust in ih­rem durch die Zeit ver­blass­ten Rah­men durch einen mäch­ti­gen Schnurr­bart mit­tels Koh­le ver­un­ziert hat­te.

      Das Früh­stück der Of­fi­zie­re ver­lief in die­sem ver­wüs­te­ten von den Hän­den der Sie­ger ent­stell­ten Räu­me, des­sen ei­che­nes Par­ket jetzt dem Bo­den ei­ner Knei­pe glich, bei dem strö­men­den Platz­re­gen ziem­lich ein­sil­big.

      Als nach dem Es­sen die Pfei­fe in Brand ge­setzt wa­ren und das ei­gent­li­che Trin­ken be­gann, un­ter­hiel­ten sie sich, wie alle Tage, über ihre ent­setz­li­che Lan­ge­wei­le. Die Ko­gnak- und Li­queur­fla­schen wan­der­ten von Hand zu Hand. Be­quem in ihre Ses­sel zu­rück­ge­lehnt nah­men die Her­ren im­mer wie­der einen Schluck, wäh­rend aus ei­nem Mund­win­kel das ge­bo­ge­ne Pfei­fen­rohr hing mit dem Por­zel­lan­kopf dar­an, des­sen Be­ma­lung ei­nem Hot­ten­tot­ten Freu­de ge­macht hät­te.

      Mit läs­si­ger Hand­be­we­gung füll­ten sie die kaum ge­leer­ten Glä­ser stets aufs Neue. Nur Mam­sell Fifi zer­brach alle Au­gen­bli­cke das ih­ri­ge, wor­auf ein Sol­dat so­fort ein fri­sches


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