Guy de Maupassant – Gesammelte Werke. Guy de Maupassant
Читать онлайн книгу.Kurzweil zu treiben und sich mit öffentlichen Dirnen zu amüsieren,« hatte der General geschrieben; und der Graf Farlsberg, zornig über diesen Verweis, beschloss, sich an den Einwohnern zu rächen.
Um einen passenden Vorwand zu finden, ließ er den Pfarrer rufen und befahl ihm, beim Begräbnis des Freiherrn von Eyrich, die Glocke läuten zu lassen.
Wider Erwarten fügte sich der Pfarrer ganz unterwürfig und war zu allem bereit. Und als Mamsell Fifi’s entseelter Körper unter dem Geleit von Soldaten mit geladenem Gewehr Schloss Uville verliess, um zum Kirchhof gebracht zu werden, ließ die Glocke zum ersten Male ihr feierliches Totengeläute ertönen. Fast heiter hallten ihre Töne, als ob eine freundliche Hand sie gestreichelt hätte.
Abends erklang sie wieder und am anderen Morgen ebenso; keinen Tag setzte sie jetzt mehr aus. So oft man nur wollte, ertönte sie. Sogar nachts manchmal setzte sie sich ganz von selbst in Bewegung und tat langsam zwei oder drei Schläge in der Finsternis. Es war als ob sie, erwacht ohne zu wissen wodurch, von einer seltsamen Freude ergriffen wäre. Die Dorfbewohner glaubten einstimmig, sie sei verhext, und niemand ausser dem Pfarrer und dem Messner, wagte sich nach dem Glockenturme zu nähern.
Da droben aber lebte ein armes Mädchen in Not und Angst, welches die beiden Männer heimlich dort versorgten.
Sie blieb dort bis zum Abzug der deutschen Truppen. Dann lieh sich eines Abends der Pfarrer den Korbwagen des Bäckers und brachte selber seinen Schützling bis an die Tore von Rouen. Dort angekommen nahm er mit einer väterlichen Umarmung von ihr Abschied. Sie stieg vom Wagen und schritt hastig dem öffentlichen Hause zu, dessen Inhaberin sie längst für tot gehalten hatte.
Ein vorurteilsfreier Patriot, der sie anfangs wegen ihrer schönen Tat und später um ihrer selbst willen liebgewonnen hatte, nahm sie einige Zeit darauf von dort heraus und heiratete sie. Sie wurde eine Dame und genoss ihr Ansehen so gut wie viele andere.
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Fett-Kloss
Mehrere Tage hintereinander waren die Überreste der geschlagenen Armee durch die Stadt gezogen. Eine Truppe konnte man das schon nicht mehr nennen, sondern höchstens eine zügellose Horde. Den Bart lang und schmutzig, die Uniform zerfetzt, ohne Fahnen, ohne Ordnung zogen die Leute in lässiger Haltung dahin. Alle schienen von der Überanstrengung ermattet, keines Gedankens, keiner Entschliessung fähig, nur noch aus Gewohnheit weiter zu marschieren; sobald Halt gemacht wurde, sanken sie vor Ermüdung um. Sie bestanden in der Hauptsache aus Mobilgarden, friedlichen Leuten, harmlosen Spiessbürgern, die unter der Last des Gewehres zusammenknickten, kleinen muntren Schwätzern, zum Bramarbasieren und jeder Art von Begeisterung gern geneigt, ebenso bereit zum Angriff wie zur Flucht. Darunter bemerkte man dann hin und wieder einige Rothosen, die Trümmer einer in der Hauptschlacht aufgeriebenen Division, die dunklen Uniformen der Artilleristen, in Reih und Glied mit der Infanterie; und ganz zuweilen den blanken Helm eines Dragoners der mit schweren Tritt nur mühsam dem Tempo der leichten Truppen folgte.
Mehrere Franktireurs-Legionen mit pomphaften Bezeichnungen, wie »Rächer der Schmach« – »Bürger des Grabes« – »Genossen des Todes« folgten jetzt; es waren die reinen Banditengesichter.
Ihre Führer, ehemalige Tuch- oder Getreidehändler, Kerzen- und Seifen-Krämer, die der Zufall zu Kriegern gestempelt hatte und die ihres Geldes oder ihrer langen Schnurrbärte wegen zu Offizieren gewählt wurden, plauderten, waffenstrotzend mit Tressen und Borten überladen, mit weithinschallender Stimme, erörterten ihre Feldzugspläne und taten, als ob sie mit ihrem großen Maule ganz allein das unglückliche Vaterland retten könnten. Vor ihren eigenen Leuten, richtigem Galgengesindel, ebenso aufgelegt zum Kampf, wie zum Rauben und Plündern, schienen sie jedoch einen gewissen Respekt zu haben.
Die Preussen würden, wie es hiess, demnächst in Rouen einziehen.
Die Nationalgarde, die seit zwei Monaten mit großer Vorsicht die umliegenden Wälder durchstreifte und dabei zuweilen ihre eigenen Posten niederschoss, die sich sofort gefechtsbereit machte, wenn nur ein Kaninchen durchs Gebüsch huschte, war heimgekehrt. Ihre Waffen, ihre Uniformen, ihr ganzer Aufputz mit dem sie sonst auf drei Meilen in der Runde die Strassengräben verzierte, waren plötzlich verschwunden.
Die letzten französischen Soldaten überschritten endlich die Seine um über Saint-Sever und Bourg-Achard sich nach Pont-Audemer zu wenden. Ihnen folgte der verzweifelte General, der mit diesen gelockerten Verbänden nichts mehr anfangen konnte und selbst von dem Zusammenbruche eines Volkes mit fortgerissen wurde, das, gewohnt zu siegen, trotz seiner sprichwörtlichen Tapferkeit schmählich geschlagen war. Er ging zu Fuss zwischen zwei Ordonnanz-Offizieren.
Dann verbreitete sich tiefe Ruhe, eine furchtsame, schweigende Erwartung in der Stadt. Ängstlich harrten die besorgten Bürger auf die Ankunft der Sieger; sie zitterten bei dem Gedanken, dass man ihren Bratspiess oder ihr großes Küchenmesser für eine Waffe ansehen könnte.
Alles Leben schien zu stocken, die Läden waren geschlossen, stumm lagen die Strassen da. Hin und wieder schlich ein Bürger, bedrückt von der schwülen Stille hastig längs der Häuser.
Diese Erwartung war so beängstigend, dass man die Ankunft des Feindes fast herbeisehnte.
Am Nachmittage des Tages, der dem Abmarsch der Franzosen folgte, tauchten plötzlich einige Ulanen auf und ritten im schnellsten Tempo durch die Strassen der Stadt. Dann stieg etwas später eine dunkle Masse vom St. Katharinenberge herunter, während auf den Strassen von Darnetal und Boisguillaume zwei weitere Abteilungen in die Stadt eindrangen. Die Avantgarden dreier Korps vereinigten sich gleichzeitig auf dem Platz vor dem Rathause. Auf allen angrenzenden Strassen kamen die deutschen Truppen heran, und das Pflaster erdröhnte unter dem festen gleichmässigen Tritt der Bataillone.
Längs der Häuser, die verlassen und wie ausgestorben dalagen, ertönten in tiefen Kehllauten fremdartige Kommandorufe. Hinter den geschlossenen Läden betrachteten ängstliche Augen die Sieger, die nun durch »Kriegsrecht« Herren der Stadt, Herren von Eigentum und Leben geworden waren. Die Einwohner hatten in ihren dunklen Zimmern einen ähnlichen peinlichen Eindruck, wie ihn ein Erdbeben, eine furchtbare Erschütterung des Hauses hervorruft, der gegenüber alle Vorsichtsmassregeln und alle menschlichen Kräfte wirkungslos sind. Dasselbe Gefühl ergreift uns stets,