Guy de Maupassant – Gesammelte Werke. Guy de Maupassant
Читать онлайн книгу.ertönte es von innen, und der Wagen setzte sich in Bewegung.
Es ging langsam, sehr langsam, in gemächlichem Schritt vorwärts. Die Räder versanken im Schnee; der ganze Kasten ächzte und krachte. Die Pferde rutschten, schnaubten und dampften. Die lange Peitsche des Kutschers knallte ohne Unterlass. Sie flog bald hier bald dorthin, ihre Schnur rollte sich zusammen wie eine Schlange, um dann plötzlich auf der Kruppe eines Pferdes wieder niederzusausen, das nun mit einem merkbaren Ruck aufs neue anzog.
Unmerklich brach der lichte Tag an. Die leichten Flocken, welche ein Reisender, ein echtes Rouener Kind, mit einem Watteregen verglichen hatte, fielen nicht mehr. Zwischen dunklen trüben Wolken zeigte sich eine matte Helle, welche die Schneefläche nur umso deutlicher hervortreten ließ, von der sich bald eine Reihe reifbedeckter Bäume, bald ein einzelnes schneebeladenes Strohdach abhob.
Beim trüben Dämmerlicht des anbrechenden morgens begann man sich im Wagen gegenseitig neugierig zu betrachten.
Ganz im Hintergrunde auf den letzten Plätzen schlummerten einander gegenüber Herr und Frau Loiseau, Weingroßhändler aus der Strasse Grand-Pont. Als sein Prinzipal seiner Zeit Bankerott machte, hatte Loiseau das Geschäft übernommen und sein Glück dabei gefunden. Er verkaufte seinen sehr schlechten Wein sehr billig an die kleinen Kneipwirte auf dem Lande und galt bei seinen Freunden und Bekannten für einen schlauen Fuchs; er war ein echter Normanne, aus List und Gutmütigkeit zusammengesetzt.
Nebenbei war Loiseau berühmt durch seine vielseitigen guten und schlechten Witze. Man hörte in der Tat nie von ihm reden, ohne dass nicht dazu gesagt wurde: »Er ist wirklich unbezahlbar dieser Loiseau.«
Sein Äusseres machte den Eindruck eines Ballons, auf dem oben auf ein rötliches, von zwei ins Graue spielenden Koteletten umrahmtes, Gesicht sass. Seine Frau, groß und stark von Wuchs, sehr energisch, mit hoher Stimme und schneller Entscheidungsgabe, war das lebendige Lager und Kassenbuch des Geschäfts, welches sie durch ihre unermüdliche Tätigkeit belebte.
Neben ihnen sass in würdiger Haltung ein Mann, der schon um eine Klasse höher galt, Herr Carré-Lamadon; ein angesehener Wollhändler, der drei Spinnereien besass. Er war Offizier der Ehrenlegion und Mitglied des Generalrats. Er war während der ganzen Zeit des Kaiserreichs Führer einer wohlwollenden Opposition gewesen, lediglich um sich wegen seiner anständigen Kampfesweise seine Nachgiebigkeit, wie er selbst sagte, umso teurer bezahlen zu lassen. Madame Carré-Lamadon, bedeutend jünger als ihr Gatte, war der Liebling der Offiziere aus guter Familie, die zu Rouen in Garnison standen. Sie sass ihrem Manne gegenüber ganz in ihr Pelzwerk gehüllt, sehr niedlich, sehr hübsch, sehr zart, und schaute betrübt in dem ungemütlichen Kasten umher.
Ihre Nachbarn, der Graf und die Gräfin Hubert de Bréville gehörten einem der vornehmsten und ältesten Geschlechter der Normandie an. Der Graf, ein alter Edelmann von stattlichem Äussern, suchte durch allerhand Toilettekünste seine natürliche Ähnlichkeit mit Heinrich den IV. noch mehr hervorzuheben. Einer Sage nach, auf welche die Familie sich sehr viel einbildete, hatte dieser König mit einer Bréville ein Kind gehabt, deren Mann dann Graf und Gouverneur der Provinz geworden war.
Graf Hubert vertrat im Generalrat, wo er mit Herrn Carré-Lamadon zusammensass, die orleanistische Partei seines Departements. Die Geschichte seiner Vermählung mit der Tochter eines kleinen Rheders zu Nantes war stets etwas dunkel geblieben. Aber da die Gräfin sehr gute Manieren besass, ein brillantes Haus machte und man sogar behauptete, einer der Söhne Louis Philippes habe ihr längere Zeit zu Füssen gelegen, so stand sie beim ganzen Adel in hohem Ansehen und ihr Salon galt als der vornehmste des Landes: als der einzige, wo man noch die alte Galanterie bewahrte und zu dem man sehr schwer Zutritt erhielt.
Die Brévilles hatten, wie man sich erzählte, fünfmalhunderttausend Livres Rente.
Diese sechs Personen nahmen, wie gesagt, den Fonds des Wagens ein; sie repräsentierten die wohlhabende bessere Gesellschaft, in der Religion und Grundsätze herrschen.
Fast sämtliche weibliche Reisende hatten zufällig die eine Bank inne. Die Gräfin hatte neben sich noch zwei Ordensschwestern, die an langen Rosenkränzen ihr »Pater noster« und ihr »Aves« herunterbeteten. Die ältere von beiden hatte ein blatternarbiges Gesicht, als wenn sie aus nächster Nähe eine volle Kartätschenladung bekommen hätte. Die jüngere, hübschere, machte einen schwächlichen kränklichen Eindruck. Ihre Brust war eingefallen und auf ihren hektischen Wangen schimmerte ein verräterisches Rot.
Ein Mann und eine Frau, die den beiden Schwestern gegenüber sassen, zogen bald die Blicke aller Reisenden auf sich.
Der Mann war der wohlbekannte Demokrat Cornudet, der Schrecken aller anständigen Leute. Seit zwanzig Jahren trieb er sich mit seinem großen roten Bart in allen demokratischen Kneipen und Zirkeln herum. Mit seinen Freunden und Brüdern hatte er ein hübsches Vermögen durchgebracht, das ihm sein Vater, ein ehemaliger Zuckerbäcker, hinterliess. Jetzt wartete er sehnsüchtig auf die Republik, die ihm endlich den verdienten Lohn für seine revolutionäre Agitation bringen sollte. Am 4. September hatte er, durch einen schlechten Witz getäuscht, sich bereits zum Präfekt ernannt geglaubt. Als er aber seine Stellung antreten wollte, verweigerten ihm die Copisten auf dem Büro, die allein noch am Platze geblieben waren, ihre Anerkennung, und so sah er sich zum Rückzug gezwungen. Von Herzen gutmütig und gefällig hatte er sich mit anerkennenswertem Eifer um die Verteidigung der Stadt bemüht. Er hatte ringsum auf allen Wiesen tiefe Löcher eingraben und mittels der jungen Bäume aus den benachbarten Wäldern überall Verhaue herstellen lassen. Auf allen Strassen legte er Wolfsgraben an, und als dann der Feind sich näherte, zog er, befriedigt von seiner Tätigkeit sich so schnell wie möglich in die Stadt zurück. Er gedachte, sich jetzt in Havre, wo es an ausreichenden Verschanzungen fehlen sollte, noch weiter nützlich zu machen.
Die Frau war eine sogenannte Allerweltsdame und ihrer hervorragenden Leibesfülle wegen berühmt, die ihr den Beinamen Fett-Kloss eingetragen hatte. Sie war klein, durchaus rund, speckig, und ihre aufgedunsenen, an den Gliedern eingekerbten Finger machten den Eindruck von aneinander hängenden Würstchen. Mit ihrer glänzenden straff gespannten Haut und einer mächtigen wogenden Brust blieb sie doch immer noch begehrenswert und appetitlich,