Guy de Maupassant – Gesammelte Werke. Guy de Maupassant

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Guy de Maupassant – Gesammelte Werke - Guy de Maupassant


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Re­fle­xen sich auf­zu­rol­len schi­en. Im Wa­gen konn­te man schon nichts mehr un­ter­schei­den; aber plötz­lich ent­stand eine Be­we­gung zwi­schen Fett-Kloss und Cor­nu­det. Loi­seau glaub­te in der Däm­me­rung zu be­mer­ken, dass der Mann mit dem großen Bar­te sich et­was plötz­lich zur Sei­te beug­te, als habe er ohne viel Geräusch einen gut­sit­zen­den Schlag er­hal­ten.

      Vorn auf der Stras­se zeig­ten sich ein­zel­ne Lich­ter; es war Tôtes. Wenn man zu den elf Stun­den Fahrt noch die drei Stun­den Rast rech­ne­te, die man den Pfer­den zu ih­rem Fut­ter ge­gönnt hat­te, so wa­ren die Rei­sen­den vier­zehn Stun­den un­ter­wegs ge­we­sen. End­lich fuhr man durch das Stadt­tor und hielt vor dem Hôtel de Com­mer­ce an.

      Die Türe wur­de auf­ge­ris­sen und ein wohl­be­kann­tes Geräusch ließ alle Rei­sen­den er­zit­tern; eine Sä­bel­schei­de klirr­te auf dem Bo­den. Man hör­te ei­ni­ge deut­sche Wor­te ru­fen.

      Ob­schon am Hal­te­punkt an­ge­kom­men, stieg kei­ner von den Rei­sen­den aus; als ob sie er­war­tet hät­ten, da draus­sen so­fort nie­der­ge­sä­belt zu wer­den. Da er­schi­en der Kut­scher und leuch­te­te mit ei­ner La­ter­ne bis in den hin­ters­ten Eck des Wa­gens. Ihr Schein fiel auf zwei Rei­hen furcht­star­ren­der Ge­sich­ter mit of­fe­nem Mun­de und ängst­lich drein­schau­en­der Au­gen.

      Beim vol­len Licht der La­ter­ne sah man ne­ben dem Kut­scher einen deut­schen Of­fi­zier, einen hoch­ge­wach­se­nen auf­fal­lend schlan­ken blon­den jun­gen Mann, der in sei­ner Uni­form wie in ein Kor­set ein­ge­zwängt war. Auf dem Kop­fe trug er eine fla­che run­de Müt­ze wie ein Lauf­bur­sche in den eng­li­schen Hôtels. Sein lan­ger ker­zen­gra­der Schnurr­bart wur­de zum Schluss zu im­mer dün­ner, bis er fast nur noch aus ei­nem blon­den Haar be­stand, des­sen Ende man nicht mehr un­ter­schei­den konn­te. Er schi­en auf sei­ner Ober­lip­pe auf­ge­klebt zu sein und droh­te bei je­der Be­we­gung der Ba­cken­mus­kel her­un­ter zu fal­len.

      »Bit­te aus­zu­stei­gen, mei­ne Her­ren und Da­men,« for­der­te der Of­fi­zier in schlech­tem El­säs­ser Fran­zö­sisch brüsk die Rei­sen­den auf.

      Die bei­den Or­den­schwes­tern folg­ten zu­erst mit je­ner sanf­ten Er­ge­ben­heit, die gott­ge­weih­te Jung­frau­en in al­len Le­bens­la­gen zei­gen. Dann ka­men der Graf und die Grä­fin, ge­folgt von dem Fa­bri­kan­ten und sei­ner Frau, hier­auf Loi­seau mit sei­ner bes­se­ren Hälf­te. »Gu­ten Abend, mein Herr,« sag­te der Wein­händ­ler, mehr der Klug­heit als der Höf­lich­keit fol­gend zu dem Of­fi­zier, wäh­rend er den Fuss auf den Bo­den setz­te. Je­ner, an­mas­send wie alle, in de­ren Hän­den die Ge­walt liegt, sah ihn an, ohne ihn ei­ner Ant­wort zu wür­di­gen.

      Fett-Kloss und Cor­nu­det, ob­wohl der Tür zu­nächst, stie­gen doch als die letz­ten aus; sie tru­gen An­ge­sichts des Fein­des eine erns­te hoch­fah­ren­de Mie­ne zur Schau. Die wohl­be­leib­te Don­na such­te sich zu be­herr­schen und ru­hig zu blei­ben. Der De­mo­krat strich in thea­tra­li­scher Wei­se mit et­was zit­tern­der Hand sei­nen ro­ten Schnurr­bart. Sie such­ten ihre Wür­de zu wah­ren, weil sie sich be­wusst wa­ren, dass bei sol­chen Begnü­gun­gen je­der ein­zel­ne das gan­ze Va­ter­land ver­tritt. Zu­dem är­ger­te sie das höf­li­che Be­neh­men ih­rer Rei­se­ge­fähr­ten. Fett-Kloss such­te da­her stol­zer auf­zu­tre­ten als die vor­neh­men ehr­ba­ren Da­men, wäh­rend in Cor­nu­dets Hal­tung sich der gan­ze Wi­der­stands-Geist aus­präg­te, der mit der Auf­wüh­lung der Stras­sen vor Rou­en be­gon­nen hat­te.

      Man trat in den ge­räu­mi­gen Flur des Hôtels und der Of­fi­zier ließ sich den Er­laub­nis­schein des kom­man­die­ren­den Ge­ne­rals zei­gen, auf dem der Name, der Stand und die Per­so­nal­be­schrei­bung je­des ein­zel­nen ge­nau ver­zeich­net war. Nach­dem er alle An­we­sen­den ge­nau ge­mus­tert und ihr Äus­se­res mit der Be­schrei­bung ver­gli­chen hat­te sag­te er kurz: »Es ist gut,« wor­auf er ver­schwand.

      Man at­me­te er­leich­tert auf. Da der Hun­ger sich aufs neue gel­tend mach­te, so wur­de noch ein Abendes­sen be­stellt. Eine hal­be Stun­de muss­te man je­doch noch war­ten und die Rei­sen­den mus­ter­ten in­zwi­schen die für sie be­stimm­ten Zim­mer. Sie la­gen alle ne­ben­ein­an­der auf ei­nem lan­gen Gan­ge an des­sen Ende sich eine Gla­stü­re mit ei­ner all­ge­mein be­kann­ten Zif­fer be­fand.

      Als man sich end­lich zu Ti­sche setz­te, er­schi­en der Wirt sel­ber, ein al­ter Pfer­de­händ­ler, ein di­cker kurz­at­mi­ger Mann, aus des­sen Keh­le fort­ge­setzt ein ras­seln­der zi­schen­der ver­schleim­ter Ton er­klang. Sein Name war Fol­len­vie.

      »Ist Fräu­lein Elie­sabeth Rous­set hier?« frag­te er.

      »Das bin ich,« wand­te sich Fett-Kloss er­schreckt um.

      »Der preus­si­sche Of­fi­zier möch­te Sie so­gleich spre­chen, Fräu­lein.«

      »Mich?«

      »Ja­wohl, wenn Sie wirk­lich Fräu­lein Rous­set sind.«

      Ei­nen Au­gen­blick dach­te sie un­schlüs­sig nach, dann er­klär­te sie ent­schie­den:

      »Mög­lich, dass er mich spre­chen will, aber ich wer­de nicht kom­men.«

      Es ent­stand eine Be­we­gung an der Ta­fel; man sprach über die­sen Be­fehl und such­te sei­ne Ur­sa­che zu er­grün­den. Der Graf nä­her­te sich ihr.

      »Sie tuen Un­recht Ma­da­me. Ihre Wei­ge­rung könn­te fa­ta­le Schwie­rig­kei­ten her­vor­ru­fen, nicht nur für Sie, son­dern für uns alle. Man muss dem Stär­ke­ren im­mer nach­ge­ben. Die­ser Schritt kann kei­nes­wegs ge­fähr­lich sein. Es han­delt sich je­den­falls um eine For­ma­li­tät, die ver­ges­sen wur­de.«

      Alle üb­ri­gen ver­ei­nig­ten sich mit ihm, um sie zu bit­ten und sie zu drän­gen; schliess­lich ge­lang es ih­rer ge­mein­schaft­li­chen Über­re­dung, sie zu über­zeu­gen. Alle fürch­te­ten die Ver­wick­lun­gen, die aus ih­rer Hart­nä­ckig­keit ent­sprin­gen könn­ten.

      »Wenn ich es tue, so ge­schieht es si­cher­lich nur um Ihret­wil­len,« sag­te sie end­lich.

      »Und wir dan­ken Ih­nen da­für,« ent­geg­ne­te die Grä­fin ihr die Hand rei­chend.

      Sie ging hin­aus und man war­te­te mit dem Es­sen auf sie. Ein je­der be­dau­er­te im Her­zen, nicht selbst statt die­ses zorn­mü­ti­gen hef­ti­gen Mäd­chens her­aus­ge­ru­fen zu sein und über­leg­te sich al­ler­lei Lie­bens­wür­dig­kei­ten für den Fall, dass die Rei­he an ihn käme.

      Nach zehn Mi­nu­ten kam sie wie­der, keu­chend, ganz aus­ser sich, rot zum Er­sti­cken. »Ah, die­se Ka­nail­le! die­se Ka­nail­le!« stam­mel­te sie.

      Man über­stürz­te sich mit Fra­gen; aber sie sag­te nichts. Als der Graf in sie drang, sag­te sie mit großer Wür­de: »Nein, das kann Sie nicht küm­mern; ich kann es nicht sa­gen.«

      Nun ver­sam­mel­te man sich um die große Sup­pen­schüs­sel, aus der ein kräf­ti­ger Duft von Kohl em­por­stieg. Trotz der Eile, mit der es an­ge­rich­tet war, war das Es­sen vor­züg­lich. Der Ci­der, den das Ehe­paar Loi­seau und die Schwes­tern aus Spar­sam­keits-Rück­sich­ten be­stellt hat­ten, mun­de­te vor­treff­lich. Die üb­ri­gen hat­ten Wein, Cor­nu­det da­ge­gen Bier be­stellt. Letz­te­rer hat­te eine ei­ge­ne Art die Fla­sche zu ent­kor­ken, ein­zu­schen­ken und die schäu­men­de Flüs­sig­keit zu be­trach­ten, in­dem


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