Guy de Maupassant – Gesammelte Werke. Guy de Maupassant

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Guy de Maupassant – Gesammelte Werke - Guy de Maupassant


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Zorn er­stickt, dass sie an­fangs nicht spre­chen konn­te.

      »Sie wer­den die­ser Ka­nail­le, die­sem Schmutz­fin­ken, die­sem Lum­pen von Preus­sen sa­gen, dass ich nie­mals wol­len wer­de. Ver­ste­hen Sie wohl, nie, nie, nie­mals!«

      Der di­cke Wirt ging hin­aus. Nun wur­de Fett-Kloss von al­len Sei­ten um­ringt, mit Fra­gen be­stürmt, und ener­gisch auf­ge­for­dert end­lich das Ge­heim­nis zu lüf­ten, das über ih­rer ers­ten Be­spre­chung mit dem Of­fi­zier schweb­te. An­fangs sträub­te sie sich noch, aber der Är­ger riss sie schliess­lich mit fort. »Was er will? … Was er möch­te? … Er will mit mir schla­fen,« schrie sie auf. Nie­mand nahm an den Wor­ten An­sto­ss, so groß war die Er­re­gung über den Of­fi­zier. Cor­nu­det stiess sei­nen Schop­pen so hef­tig zu­rück, dass er vom Tisch fiel und klir­rend zer­sprang. Das war ein Ge­schimpf über die­sen elen­den Schmut­zi­an, ein zor­ni­ges Ge­mur­mel, eine ein­stim­mi­ge Auf­for­de­rung zur Stand­haf­tig­keit, als ob von je­dem Ein­zel­nen ein Teil die­ses Op­fers ver­langt wor­den wäre. Der Graf er­klär­te mit Ab­scheu, dass die­se Leu­te da schlim­mer haus­ten, wie die Bar­ba­ren, Die Frau­en na­ment­lich be­zeug­ten Fett-Kloss eine war­me wohl­tu­en­de Teil­nah­me. Die Or­dens­schwes­tern, die nur zu den Mahl­zei­ten un­ten er­schie­nen, hat­ten den Kopf ge­senkt und sag­ten nichts.

      Als der ers­te Zorn ver­raucht war, setz­te man sich nichts­de­sto­we­ni­ger zu Ti­sche; aber alle wa­ren ein­sil­big und nach­denk­lich.

      Die Da­men zo­gen sich früh­zei­tig zu­rück. Die Herrn, die nun sämt­lich rauch­ten, ar­ran­gier­ten eine Par­tie Ecar­té, zu der auch Herr Fol­len­vie auf­ge­for­dert war. Man ge­dach­te bei die­ser Ge­le­gen­heit ihn ge­schickt über die Mit­tel aus­zu­fra­gen, wie man den Ei­gen­sinn des Of­fi­ziers bre­chen könn­te. Aber er war nur auf sein Spiel be­dacht und gab zer­streu­te Ant­wor­ten. »An’s Spiel, mei­ne Herrn; an’s Spiel!« wie­der­hol­te er stets. Sei­ne Auf­merk­sam­keit war so ge­fes­selt, dass er so­gar das Auss­pu­cken ver­gass, ob­gleich sich wah­re Or­gel­tö­ne in sei­ner Brust ent­wi­ckel­ten. Sei­ne keu­chen­de Keh­le gab die gan­ze Ska­la des Asth­ma’s, von den höchs­ten bis zu den nied­rigs­ten No­ten wie­der.

      So­gar als sei­ne Frau, die vor Mü­dig­keit um­fiel, ihn ho­len woll­te, wei­ger­te er sich mit her­auf­zu­ge­hen. Da ging sie al­lein, denn sie pfleg­te früh als die ers­te mit der Son­ne auf­zu­ste­hen, wäh­rend ihr Mann ein Nacht­vo­gel war, der bis zur spä­tes­ten Stun­de gern mit Be­kann­ten auf­zu­blei­ben pfleg­te. »Leg’ mir mein Fe­der­bett an den Ofen,« rief er ihr nach und wand­te sich dann wie­der den Kar­ten zu. Als man end­lich ein­sah, dass aus ihm nichts her­aus­zu­krie­gen war, er­klär­te man, es sei Zeit zum Schla­fen­ge­hen; und je­der such­te sein Bett auf.

      Am an­de­ren Mor­gen war al­les bei Zei­ten auf; man heg­te eine un­be­stimm­te Hoff­nung, ein noch grös­se­res Ver­lan­gen nach der Abrei­se, einen Schre­cken vor ei­nem zwei­ten lang­wei­li­gen Tage in die­ser klei­nen Her­ber­ge.

      Aber ach! die Pfer­de blie­ben im Stal­le, der Kut­scher war nir­gends zu se­hen. Müs­sig um­stand al­les den Wa­gen.

      Das Früh­stück ver­lief sehr trau­rig. Ge­gen Fett-Kloss war eine ge­wis­se Er­käl­tung ein­ge­tre­ten; denn in der Nacht, die so man­chen Rat­schluss birgt, hat­te man sei­ne An­sicht et­was ge­mäs­sigt. Man war jetzt fast är­ger­lich ge­gen die­ses Mäd­chen, weil sie es nicht ver­stan­den hat­te, heim­lich dem Preus­sen zu Wil­len zu sein. Welch an­ge­neh­me Über­ra­schung wäre das am Mor­gen für ihre Rei­se­ge­fähr­ten ge­we­sen. Was konn­te es ein­fa­che­res ge­ben? Wer hät­te üb­ri­gens et­was da­von er­fah­ren? Wa­rum konn­te sie nicht den Schein wah­ren, und dem Of­fi­zier sa­gen, dass sie nur der Not wei­chend sich ihm er­ge­be? Üb­ri­gens für sie war das doch über­haupt nur ne­ben­säch­lich.

      Aber noch sprach nie­mand sei­ne Ge­dan­ken of­fen aus.

      Am Nach­mit­tage, als man sich zum Ster­ben lang­weil­te, schlug der Graf einen Spa­zier­gang in der Um­ge­gend vor. Je­der hüll­te sich sorg­fäl­tig ein und die klei­ne Ge­sell­schaft trat ih­ren Weg an, aus­ser Cor­nu­det; der den Platz am Feu­er vor­zog, und den bei­den Schwes­tern, die ihre Zeit in der Kir­che oder der Pfarr­woh­nung zu­brach­ten.

      Die Käl­te, die von Tag zu Tag in­ten­si­ver wur­de, pri­ckel­te ih­nen emp­find­lich in Nase und Au­gen; je­der Schritt wur­de ih­ren kal­ten Füs­sen zur Pla­ge. Als sie nun draus­sen das wei­te Feld vor sich sa­hen, er­schi­en ih­nen die un­be­grenz­te wei­ße Flä­che so öde und trau­rig, dass man so­fort wie­der den Rück­weg ein­schlug.

      Die vier Da­men gin­gen vor­aus, wäh­rend die drei Her­ren in ei­ni­ger Ent­fer­nung folg­ten.

      Loi­seau, der die Lage er­fasst hat­te, frag­te plötz­lich, ob »die­ses Mäd­chen da« sie noch lan­ge in die­ser Pat­sche sit­zen las­sen woll­te. Der Graf, stets rit­ter­lich, er­klär­te, man kön­ne von ei­nem Wei­be ein sol­ches Op­fer nicht ver­lan­gen, es müs­se von ihr selbst aus­ge­hen. Herr Carré-La­ma­don mein­te, dass wenn die Fran­zo­sen, wie ver­lau­te­te, einen Of­fen­siv-Rück­sto­ss von Diep­pe aus ma­chen wür­den, so kön­ne das Tref­fen ent­schie­den nur bei Tôtes statt­fin­den. Die­se An­sicht mach­te die an­de­ren be­denk­lich. »Ob man sich nicht zu Fuss da­von ma­chen woll­te?« mein­te Loi­seau wie­der. Der Graf zuck­te die Ach­seln. »Woran den­ken Sie bei dem Schnee? Mit un­se­ren Frau­en? Und dann wür­de man so­fort die Ver­fol­gung auf­neh­men, uns ein­ho­len, und als Ge­fan­ge­ne der Gna­de und Un­gna­de der Sol­da­tes­ka über­lie­fern.« Das war rich­tig und man schwieg.

      Die Da­men spra­chen von Toi­let­te; aber ein ge­wis­ser Zwang schi­en auf ih­nen zu las­ten.

      Plötz­lich an der Stras­se­n­e­cke er­schi­en der Of­fi­zier. Sein ho­her schlan­ker Wuchs hob sich bei dem lich­ten Schnee noch deut­li­cher ab; er ging mit ge­bo­ge­nen Kni­en mit je­ner ei­gen­tüm­li­chen Hal­tung der Sol­da­ten, die ihre sorg­fäl­tig ge­wichs­ten Stie­fel nicht be­schmut­zen wol­len.

      Er grüss­te flüch­tig die Da­men und sah hoch­mü­tig auf die Herrn, wel­che üb­ri­gens noch Selbst­ge­fühl ge­nug be­sas­sen, den Hut nicht zu lüf­ten, wenn­gleich Loi­seau schon mit der Hand nach dem Kop­fe fuhr.

      Fett-Kloss war bis über die Ohren rot ge­wor­den; den drei Frau­en war es ein pein­li­ches Ge­fühl, von dem Of­fi­zier so in Ge­sell­schaft die­ser Pro­sti­tu­ier­ten ge­trof­fen zu wer­den, ge­gen die er sich so un­rit­ter­lich be­nom­men hat­te.

      Das Ge­spräch dreh­te sich jetzt na­tür­lich um ihn, um sei­ne Hal­tung, sein Ge­sicht. Ma­da­me Carré-La­ma­don, die ja viel mit Of­fi­zie­ren ver­kehr­te und sie als Ken­ne­rin be­ur­teil­te, fand ihn durch­aus nicht übel. Sie be­dau­er­te so­gar, dass er kein Fran­zo­se sei. Er wür­de je­den­falls einen hüb­schen Husa­ren ab­ge­ge­ben ha­ben, in der alle Da­men sich ver­narrt hät­ten.

      Zu Hau­se an­ge­kom­men wuss­te man wie­der nicht, was be­gin­nen. Schar­fe Wor­te fie­len so­gar we­gen ganz ne­ben­säch­li­cher Din­ge. Das Di­ner ver­lief rasch und fast schweig­sam. Je­der ging bald zu Bett, in der Hoff­nung die Zeit mit Schla­fen tot­zu­schla­gen.

      Am an­de­ren Mor­gen er­schi­en al­les mit ab­ge­spann­ten Mie­nen und in ver­driess­li­cher Stim­mung. Die Da­men spra­chen kaum noch mit Fett-Kloss.

      Eine Glo­cke läu­te­te; in


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