Guy de Maupassant – Gesammelte Werke. Guy de Maupassant

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Guy de Maupassant – Gesammelte Werke - Guy de Maupassant


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      Es lief ihm eis­kalt über den Rücken, als er das hör­te. Eine dump­fe, in­grim­mi­ge, ohn­mäch­ti­ge Wut über­kam ihn. Trotz­dem hielt er an sich und wies ihr Op­fer mit sanf­ter Stim­me zu­rück. Er such­te sie zu be­schwich­ti­gen, sie zur Ver­nunft zu brin­gen und ihr ihre Tor­heit aus­zu­re­den. Sie hör­te mit ver­ächt­lich auf­ge­wor­fe­ner Lip­pe zu und blick­te ihm mit ih­ren schwar­zen Au­gen ins Ge­sicht, ohne et­was zu ant­wor­ten. Als er ge­en­digt hat­te, sag­te sie nur: »Du bist also so fei­ge, ein Weib zu ver­füh­ren und es dann bei der ers­ten bes­ten Lau­ne zu ver­las­sen!«

      Re­nol­di wur­de bleich und fing wie­der mit Ver­nunft­grün­den an. Er stell­te ihr die un­aus­bleib­li­chen Fol­gen die­ser Hand­lungs­wei­se bis zu ih­rem Tode vor Au­gen; er mach­te ihr klar, dass sie ihr Le­bens­glück zer­stör­te, dass die Welt für sie ver­schlos­sen wä­re… Aber sie ant­wor­te­te be­harr­lich: »Was tut das, wenn man sich liebt?«

      Da braus­te er schließ­lich auf. »Nun wohl, ich will nicht! Nein! Ver­stehst du, ich will nicht, ich ver­bie­te es dir!« Und sein Herz quoll von dem lan­ge ge­nähr­ten Wi­der­wil­len über. »Ei zum Him­mel, es ist jetzt lan­ge ge­nug, dass du mich ge­gen mei­nen Wil­len liebst. Es fehl­te noch, dich mit­zu­neh­men. Ich dan­ke schön!«

      Sie ant­wor­te­te nichts, aber über ihr lei­chen­fah­les Ge­sicht zog ein lang­sa­mes und schmerz­li­ches Zu­cken, als ob alle Mus­keln und Ner­ven sich krümm­ten. Sie ging, ohne Le­be­wohl zu sa­gen.

      In der­sel­ben Nacht ver­gif­te­te sie sich. Eine Wo­che lang hielt man sie für ver­lo­ren. Und in der Stadt steck­te man die Köp­fe zu­sam­men, be­klag­te sie und ent­schul­dig­te ih­ren Fehl­tritt mit der Macht ih­rer Lei­den­schaft; denn alle bis auf Äu­ßers­te ge­stei­ger­ten Ge­füh­le, die den Men­schen zum He­ro­is­mus hin­rei­ßen, wer­den im­mer ver­zie­hen, wenn sie an sich auch ver­werf­lich sind. Ein Weib, das in den Tod geht, ist so­zu­sa­gen kei­ne Ehe­bre­che­rin mehr. Und so ent­stand denn all­ge­mach eine all­ge­mei­ne Er­bit­te­rung ge­gen den Leut­nant Re­nol­di, der sich wei­ger­te, sie wie­der zu se­hen, und ein ein­mü­ti­ges Ge­fühl der Miss­bil­li­gung.

      Man er­zähl­te sich, dass er sie ver­las­sen, ver­ra­ten und ge­schla­gen hät­te. Selbst sein Oberst emp­fand Mit­leid mit der Selbst­mör­de­rin und ließ ein paar Wor­te des Ta­dels in eine Un­ter­re­dung mit sei­nem Un­ter­ge­be­nen ein­flie­ßen. Paul d’Hen­ri­cel kam zu sei­nem Freun­de und sag­te: »Aber zum Hen­ker, mein Lie­ber, man lässt ein Weib doch nicht in den Tod ge­hen. Das ist nicht an­stän­dig…«

      Re­nol­di war er­bit­tert und hieß sei­nen Freund schwei­gen. Der aber ließ das Wort In­fa­mie fal­len; es kam zum Duell und Re­nol­di wur­de zur all­ge­mei­nen Zufrie­den­heit ver­wun­det. Er muss­te lan­ge das Bett hü­ten.

      Als sie es er­fuhr, lieb­te sie ihn noch mehr, denn sie glaub­te, er hät­te sich ih­ret­we­gen ge­schla­gen. Da sie ihr Zim­mer in­des nicht ver­las­sen durf­te, sah sie ihn vor dem Auf­bruch des Re­gi­ments nicht wie­der.

      Er war schon drei Mo­na­te in Lil­le, als er ei­nes Mor­gens den Be­such ei­ner jun­gen Frau be­kam. Es war die Schwes­ter sei­ner frü­he­ren Ge­lieb­ten.

      Frau Poinçot hat­te lan­ge schwer ge­lit­ten und war von ei­ner Verzweif­lung be­fal­len, ge­gen die sie nicht an­kämp­fen konn­te. Jetzt war sie dem Tode nahe. Sie war hoff­nungs­los auf­ge­ge­ben und woll­te ihn nur noch eine Mi­nu­te se­hen, ehe sie die Au­gen schloss.

      Tren­nung und Zeit hat­ten den Ver­druss und Zorn des jun­gen Man­nes ge­lin­dert; er war ge­rührt und wein­te. Noch am sel­ben Tage reis­te er nach Le Ha­vre.

      Sie schi­en in den letz­ten Zü­gen zu lie­gen. Man ließ ihn al­lein am Bet­te der Ster­ben­den, die er ohne sei­ne Schuld ge­tö­tet hat­te. Eine furcht­ba­re Reue schüt­tel­te ihn. Schluch­zend küss­te er sie mit sanf­ten, glü­hen­den Lip­pen, wie nie zu­vor, und stam­mel­te: »Nein, du sollst nicht ster­ben. Du sollst wie­der ge­ne­sen. Wir wer­den wie­der zu­sam­men sein. Im­mer…«

      »Ist’s wahr?« lis­pel­te sie. »Liebst du mich noch?« Und in sei­ner Verzweif­lung schwur und ver­sprach er, sie zu er­war­ten, wenn sie ge­ne­sen sein wür­de. Er emp­fand das tiefs­te Mit­leid mit ihr und küss­te die ab­ge­ma­ger­ten Hän­de der ar­men Frau, de­ren Herz un­re­gel­mä­ßig schlug.

      Am nächs­ten Tage war er wie­der in sei­ner Gar­ni­son. Sechs Wo­chen spä­ter kam sie nach. Sie war nicht wie­der­zu­er­ken­nen, so war sie ge­al­tert, und ver­lieb­ter denn je.

      In sei­ner Rat­lo­sig­keit nahm er sie wie­der zu sich und sie leb­ten zu­sam­men, als wä­ren sie durch das Ge­setz ver­eint. Aber der­sel­be Oberst, den es da­mals em­pört hat­te, dass er sie ver­las­sen, ent­rüs­te­te sich jetzt über die­se wil­de Ehe; so et­was wäre mit dem Vor­bil­de, das ein Of­fi­zier im Re­gi­ment ge­ben soll­te, un­ver­ein­bar. Erst er­teil­te er sei­nem Un­ter­ge­be­nen einen Ver­weis, dann wur­de er wü­tend, und Re­nol­di reich­te sei­nen Ab­schied ein.

      Sie leb­ten nun in ei­ner Vil­la am Mit­tel­meer, dem klas­si­schen Meer der Ver­lieb­ten.

      Drei Jah­re gin­gen so hin; Re­nol­di war ge­beugt, be­siegt, er­le­gen, an die­se hart­nä­cki­ge Zärt­lich­keit ge­wöhnt. Sie hat­te jetzt wei­ßes Haar.

      Er hielt sich für einen ver­lo­re­nen, ver­nich­te­ten Men­schen. Alle Aus­sich­ten schie­nen ihm da­hin, die Kar­rie­re ver­pfuscht, alle Freu­de be­nom­men, alle Be­frie­di­gung ver­sagt.

      Ei­nes Mor­gens be­kam er eine Kar­te mit der Auf­schrift: »Jo­sef Poinçot, Rhe­der, Le Ha­vre.« – Der Mann! Der Mann, der nichts ge­sagt hat­te, weil er wohl auch ein­sah, dass ge­gen den ver­zwei­fel­ten Ei­gen­sinn der Wei­ber­lie­be nichts zu ma­chen sei. Was woll­te er?

      Er war­te­te im Gar­ten und wei­ger­te sich, in die Vil­la zu kom­men. Er grüß­te höf­lich, woll­te sich aber nicht ein­mal auf eine Gar­ten­bank set­zen und be­gann deut­lich und lang­sam zu spre­chen:

      – Mein Herr, ich bin nicht hier­her ge­kom­men, um Ih­nen Vor­wür­fe zu ma­chen. Ich weiß zu gut, wie die Din­ge ge­kom­men sind. Ich bin… wir sin­d… ei­ner Art von Ver­häng­nis un­ter­le­gen. Ich hät­te Sie hier in ih­rem Wohn­sitz nicht be­läs­tigt, wenn die Ver­hält­nis­se es nicht er­heisch­ten. Ich habe zwei Töch­ter, mein Herr. Die eine liebt einen jun­gen Mann, der ihre Lie­be er­wi­dert. Aber sei­ne Fa­mi­lie wi­der­setzt sich der Hei­rat. Es ist we­gen der Lage, in der sich die… die Mut­ter der Kin­der be­fin­det… Ich hege we­der Zorn noch Rach­sucht ge­gen sie, aber ich bete mei­ne Kin­der an, mein Herr. Ich kom­me also, um mei­ne… mei­ne Frau von Ih­nen zu­rück­zu­for­dern; ich hof­fe, sie wird heu­te dar­ein wil­li­gen, in mein… ihr Haus zu­rück­zu­keh­ren. Was mich be­trifft, so wer­de ich den Schein zu er­hal­ten wis­sen, dass ich ihr we­gen mei­ner Töch­ter ver­zie­hen habe.

      Re­nol­di glaub­te sich in den Him­mel ver­setzt. Ein Freu­den­tau­mel durch­fuhr ihn; es war ihm wie ei­nem Ver­ur­teil­ten, der be­gna­digt wird.

      – Aber na­tür­lich, mein Herr, stot­ter­te er. Ich selbst… glau­ben Sie mir… ohne Zwei­fel… es ist ge­recht­fer­tigt, nur zu ge­recht­fer­tig­t…

      Am liebs­ten hät­te er die Hän­de des Man­nes er­grif­fen, ihn in sei­ne Arme ge­schlos­sen und auf bei­de Ba­cken ge­küsst.

      –


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