Guy de Maupassant – Gesammelte Werke. Guy de Maupassant

Читать онлайн книгу.

Guy de Maupassant – Gesammelte Werke - Guy de Maupassant


Скачать книгу
sein, als die Üb­ri­gen, aber kränk­lich und ner­vös. Die­sen Win­ter wer­de ich se­hen, dass er mir vor­ge­stellt wird.

      Ich weiß nichts mehr zu schrei­ben, lie­be Tan­te, und schlie­ße die­sen Brief in Eile, da die Post bald ab­ge­ht. Ich küs­se dir Hän­de und Wan­gen.

      Dei­ne treue Nich­te

      Ber­t­ha von X…

      P. S. Zur Recht­fer­ti­gung der fran­zö­si­schen Höf­lich­keit muss ich hin­zu­set­zen, dass un­se­re Lands­leu­te auf Rei­sen im Ver­gleich zu den schau­der­haf­ten Eng­län­dern wah­re Mus­ter von Höf­lich­keit sind. Denn Die schei­nen in der Kut­scher­stu­be er­zo­gen zu sein und ge­ben sich alle Mühe, sich selbst nie und ih­ren Nach­barn stets zur Last zu fal­len.

      *

      Les Fres­nes, Sonn­abend.

      Mei­ne lie­be Klei­ne!

      Vie­les, was du mir da schriebst, hat Hand und Fuß, was frei­lich nicht ver­hin­dert, dass du un­recht hast. Frü­her war ich ganz wie du voll In­grimm über die Un­höf­lich­keit der Män­ner ge­gen mich; spä­ter, als ich äl­ter wur­de, und mei­nen ko­ket­ten Sinn ver­lor, und die Din­ge be­trach­ten lern­te, wie sie sind, wur­de mir klar, dass die Män­ner viel­leicht nicht höf­lich, die Frau­en da­ge­gen im­mer von aus­ge­such­ter Rück­sichts­lo­sig­keit sind.

      Wir glau­ben, uns sei al­les er­laubt, mei­ne Lie­be, und wir glau­ben zu­gleich, dass man uns al­les schul­dig sei, und wir be­ge­hen am hel­len lich­ten Tage tau­send Un­ar­ten, die je­nes An­stands­ge­füh­les, von dem du sprichst, völ­lig baar sind.

      Jetzt fin­de ich im Ge­gen­teil, dass die Män­ner ge­gen uns – im Ver­gleich zu un­se­rem Be­neh­men ge­gen sie – noch sehr rück­sichts­voll sind. Zu­letzt, mein Täub­chen, sind die Män­ner im­mer das, und müs­sen es sein, was wir aus ih­nen ma­chen. In ei­ner Ge­sell­schaft, in der die Frau­en alle vor­neh­me Da­men wä­ren, müss­ten die Män­ner alle zu Edel­leu­ten wer­den. Mach nur die Au­gen auf und den­ke nach.

      Sieh dir zwei Da­men an, die sich auf der Stra­ße be­geg­nen. Wel­ches Be­neh­men! Wel­che ab­schät­zi­gen Bli­cke, wel­che Ver­ach­tung in den Au­gen! Wel­ches Sich-Ab­mes­sen von Oben bis Un­ten, um zu ver­ur­tei­len. Und wenn der Bür­ger­steig zu schmal ist, glaubst du, eine von ih­nen wi­che aus und bäte um Ent­schul­di­gung? Nie­mals! Wenn aber zwei Män­ner sich in ei­nem zu en­gen Gäss­chen an­rem­peln, lüf­ten bei­de den Hut und ma­chen sich Platz. Wir aber drän­gen uns Leib an Leib, Nase an Nase an ein­an­der vor­über und bli­cken uns un­ver­schämt an.

      Sieh dir zwei Da­men an, die sich ken­nen und sich auf der Trep­pe vor der Tür ei­ner Freun­din be­geg­nen, die die eine be­su­chen will und die an­de­re ver­lässt. Sie fan­gen an zu schwat­zen und ver­sper­ren die gan­ze Brei­te der Trep­pe. Wenn nun je­mand, Mann oder Frau, hin­ter ih­nen her­kommt, glaubst du, sie mach­ten nur einen hal­b­en Fuß breit Platz? Nie­mals, nie­mals!

      Letz­ten Win­ter war­te­te ich zwei­und­zwan­zig Mi­nu­ten, die Uhr in der Hand, an der Tür ei­nes Sa­lons. Und hin­ter mir war­te­ten zwei Her­ren, und kei­ner von bei­den mach­te Mie­ne, wü­tend zu wer­den, wie ich. Sie wa­ren eben seit lan­ge an uns­re un­be­wuss­ten Rück­sichts­lo­sig­kei­ten ge­wöhnt.

      Neu­lich, ehe ich Pa­ris ver­ließ, ging ich – ge­ra­de mit dei­nem Gat­ten – in ein Re­stau­rant der Champs Élysées, um mich zu er­fri­schen. Alle Ti­sche wa­ren voll. Der Kell­ner bat uns zu war­ten.

      Ich sah eine äl­te­re Dame von vor­neh­mem Aus­se­hen, die ihre Rech­nung be­reits be­gli­chen hat­te und zum Auf­bruch be­reit schi­en. Als sie mich sah, blick­te sie mich von Oben bis Un­ten an und rühr­te sich nicht vom Fleck. Sie blieb län­ger als eine Vier­tel­stun­de un­be­weg­lich sit­zen, zog ihre Hand­schu­he an, mus­ter­te alle Ti­sche und sah sich die Leu­te, die wie ich war­te­ten, mit Ge­müts­ru­he an. Zwei jun­ge Her­ren, die ihre Mahl­zeit eben be­en­de­ten, er­blick­ten mich und rie­fen schleu­nigst den Kell­ner, um ihre Rech­nung zu be­glei­chen. Sie bo­ten mir so­fort ih­ren Platz an und woll­ten nicht ein­mal so lan­ge sit­zen blei­ben, bis die Rech­nung be­zahlt war. Und da­bei, mei­ne Lie­be, bin ich nicht mehr jung und hübsch, wie du, son­dern alt und grau.

      Uns, siehst du, soll­te die Höf­lich­keit bei­ge­bracht wer­den, und die­se Ar­beit wäre so schwer, dass Her­ku­les sie nicht voll­bräch­te. –

      Du sprichst von Étre­tat und den Leu­ten, die an die­sem schö­nen Stran­de klat­schen. Für mich ist die Ge­gend längst tot, aber frü­her habe ich mich dort präch­tig amü­siert. Wir wa­ren da­mals nur we­ni­ge, Leu­te aus der Ge­sell­schaft, aus der wirk­li­chen Ge­sell­schaft, und Künst­ler in brü­der­li­cher Ei­nig­keit. Da­mals wur­de nicht ge­klatscht.

      Wir hat­ten zu un­se­rer Zeit frei­lich noch nicht das ab­ge­schmack­te Ka­si­no, wo man sich auf­spielt, tu­schelt, stumpf­sin­nig tanzt und sich über­mä­ßig lang­weilt. Wir hat­ten eine an­de­re Wei­se, uns­re Aben­de fröh­lich zu ver­brin­gen. Rate mal, was uns­re Her­ren sich aus­dach­ten: wir tanz­ten je­den Abend in ei­nem Bau­ern­ho­fe der Ge­gend.

      Wir bra­chen im Trupp auf und nah­men einen Lei­er­kas­ten mit; ge­wöhn­lich dreh­te ihn der Ma­ler Le Poit­te­vin, eine Baum­woll­müt­ze auf dem Kop­fe. Zwei Her­ren gin­gen mit La­ter­nen vor­aus. Wir folg­ten hin­ter­drein und lach­ten und schwatz­ten wie toll.

      Der Päch­ter wur­de ge­weckt, Knech­te und Mäg­de her­aus­ge­trom­melt. Oft wur­de so­gar – o Schau­der! – Zwie­bel­sup­pe ge­kocht, und nach­her tanz­ten wir un­ter dem Birn­baum nach den Klän­gen der Dreh­or­gel. Die Häh­ne kräh­ten auf­ge­stört in der Tie­fe der Ge­bäu­de und die Pfer­de wie­her­ten un­ru­hig auf der Streu. Der fri­sche Nacht­wind strei­chel­te uns die Wan­gen und weh­te uns feuch­ten Laub­ge­ruch und Heu­duft ent­ge­gen.

      O wie weit, wie weit liegt das jetzt hin­ter mir! Drei­ßig Jah­re sind es jetzt! –

      Ich möch­te nicht, mei­ne Liebs­te, dass du zur Er­öff­nung der Jagd her­kommst. Wa­rum un­sern Freun­den den Spaß ver­der­ben und ih­nen den Zwang auf­er­le­gen, sich an die­sen Ta­gen des der­ben, länd­li­chen Ver­gnü­gens ele­gant an­zu­zie­hen? So verdirbt man die Män­ner, Klei­ne!

      Herz­li­chen Gruß und Kuss. Dei­ne alte Tan­te

      Ge­ne­viè­ve von Z…

      *

      – Ja, die Wei­ber!

      – Nun, was ist denn mit den Wei­bern?

      – Je nun, es gibt kei­ne ge­schick­teren Tau­send­künst­ler, als sie. Sie le­gen uns bei al­lem und je­dem her­ein, mit und ohne Grund, oft aus blo­ßer Freu­de am Rän­ke­spin­nen. Sie über­lis­ten uns mit un­glaub­li­cher Nai­ve­tät, mit er­staun­li­cher Keck­heit und un­nach­ahm­li­cher Fein­heit. Sie be­trü­gen uns vom Mor­gen bis in die Nacht, alle ohne Aus­nah­me; die an­stän­digs­ten, die recht­schaf­fens­ten, die sinn­be­gab­tes­ten – alle sind Rän­ke­schmie­de.

      Frei­lich, das muss man sich sa­gen, nicht sel­ten wer­den sie dazu ge­zwun­gen. Der Mann hat ohne Zwei­fel oft ei­gen­sin­ni­ge Lau­nen, Lau­nen wie ein Blö­der, und ty­ran­ni­sche Ge­lüs­te. Ein Mann trifft in sei­nem Hau­se je­den Au­gen­blick die lä­cher­lichs­ten An­ord­nun­gen.


Скачать книгу