Guy de Maupassant – Gesammelte Werke. Guy de Maupassant

Читать онлайн книгу.

Guy de Maupassant – Gesammelte Werke - Guy de Maupassant


Скачать книгу
an­de­re drück­te ihm die Hand: »Auf Wie­der­se­hen, mein Lie­ber!« und stieg dann, einen Spa­zier­stock un­ter dem Arm, pfei­fend die Trep­pe hin­ab.

      »Wer ist das?« frag­te Du­roy.

      »Jaques Ri­val — du weißt doch? — der be­rühm­te Chro­nist und Duel­lant. Er hat eben sei­ne Kor­rek­tur durch­ge­le­sen. Ga­rin, Mon­tel und er gel­ten au­gen­blick­lich als die geist­volls­ten und wirk­sams­ten Feuil­le­to­nis­ten in ganz Pa­ris. Für zwei Ar­ti­kel, die er wö­chent­lich schreibt, ver­dient er bei uns jähr­lich drei­ßig­tau­send Fran­cs.

      Beim Wei­ter­ge­hen be­geg­ne­ten sie ei­nem klei­nen di­cken Herrn mit lan­gen Haa­ren und un­sau­be­rem Äu­ße­ren, der schwerat­mend die Trep­pe hin­auf­kam.

      Fo­res­tier grüß­te sehr tief:

      »Nor­bert de Va­ren­ne,« sag­te er, »der Dich­ter der ›Er­lo­sche­nen Son­ne‹, auch ein hoch­be­zahl­ter Mann. Jede Er­zäh­lung, die er her­aus­gibt, kos­tet drei­hun­dert Fran­cs und die al­ler­längs­ten ha­ben noch nicht zwei­hun­dert Zei­len …

      Aber komm jetzt ins Café Na­po­li­tain, ich st­er­be vor Durst!«

      Kaum hat­ten sie sich an den Tisch ge­setzt, als Fo­res­tier rief: »Zwei Bier!« und dann sein Glas mit ei­nem Zuge her­un­ter­stürz­te, wäh­rend Du­roy das Bier mit lang­sa­men Schlu­cken trank und sorg­sam aus­kos­te­te, wie eine wun­der­vol­le und sel­te­ne Kost­bar­keit. Sein Ge­fähr­te schwieg, er schi­en nach­zu­den­ken und frag­te dann plötz­lich:

      »Wa­rum willst du es nicht mit dem Jour­na­lis­mus ver­su­chen?«

      Der an­de­re blick­te ihn über­rascht an, dann sag­te er:

      »Aber… das ist … ich habe doch noch nie et­was ge­schrie­ben.«

      »Ach was, man ver­sucht es, man fängt an. Ich könn­te dich zum Bei­spiel ge­brau­chen, um Er­kun­di­gun­gen ein­zu­zie­hen und um Be­su­che zu ma­chen. Du be­kämst zu An­fang zwei­hun­dert­fünf­zig Fran­cs und die Drosch­ken be­zahlt. Soll ich mit dem Chef spre­chen?«

      »Aber na­tür­lich möch­te ich das, sehr ger­ne.«

      »Also dann sei so gut und kom­me mor­gen zu mir zum Es­sen. Es wer­den nur fünf oder sechs Per­so­nen sein: der Chef, Herr Wal­ter, sei­ne Frau, Jaques Ri­val und Nor­bert de Va­ren­ne, die du ja so­eben ge­se­hen hast, und schließ­lich noch eine Freun­din mei­ner Frau. Also ab­ge­macht?«

      Du­roy zö­ger­te, er­rö­te­te und wur­de ver­wirrt. End­lich mur­mel­te er:

      »Es ist nur … ich habe kei­nen pas­sen­den An­zug …«

      Fo­res­tier war starr.

      »Was? Du hast kei­nen Frack? Teu­fel noch mal! Das ist doch et­was Unent­behr­li­ches! In Pa­ris kann man ein Bett viel­leicht ent­beh­ren, einen Frack nie. Dann griff er plötz­lich in sei­ne Wes­ten­ta­sche, zog eine Hand­voll Geld her­vor und leg­te zwei Zwan­zig­fran­cs­stücke vor sei­nen al­ten Freund hin, wo­bei er in ei­nem herz­li­chen und ver­trau­ten Ton sag­te:

      »Du gibst sie mir wie­der, wenn du kannst. Lei­he oder kau­fe dir die nö­ti­gen Klei­dungs­stücke, in­dem du eine An­zah­lung gibst. Je­den­falls er­war­te ich dich mor­gen um halb acht in. mei­ner Woh­nung, 17 Rue Fon­taine, zu Tisch.«

      Du­roy war ver­wirrt, aber er nahm das Geld und stam­mel­te:

      »Du bist wirk­lich zu lie­bens­wür­dig, ich dan­ke dir herz­lich … Ver­lass dich dar­auf, ich wer­de es nie ver­ges­sen.«

      »Gut, gut!« fiel ihm der an­de­re ins Wort. »Nicht wahr, wir trin­ken noch ein Bier?« Und er rief: »Kell­ner, noch zwei Bock!«

      Dann, als sie aus­ge­trun­ken hat­ten, frag­te der Jour­na­list:

      »Willst du noch ein Stünd­chen bum­meln?«

      »Aber ge­wiss!«

      Und sie bra­chen auf und gin­gen in der Rich­tung nach Ma­de­lei­ne.

      »Was sol­len wir tun?« frag­te Fo­res­tier. »Man sagt, in Pa­ris hat man stets was zu tun, wenn man bum­melt. Das ist nicht wahr. Wenn ich abends bum­meln will, weiß ich nie, wo­hin ich ge­hen soll. Eine Fahrt ins Bois macht nur Spaß, wenn noch ein Weib da­bei ist, und da hat man nicht im­mer eins bei der Hand. Die Cafés mit Mu­sik mö­gen mei­nen Dro­gis­ten mit sei­ner Frau zer­streu­en, mich nicht. Was also tun? Nichts! Man müss­te hier einen Som­mer­gar­ten ha­ben, wie den Park Mon­ceau, der nachts ge­öff­net wäre, wo man aus­ge­zeich­ne­te Mu­sik hör­te und un­ter den Bäu­men Er­fri­schun­gen neh­men könn­te. Das wäre kein ei­gent­li­ches Ver­gnü­gungs­lo­kal, aber ein Ort, wo man sich be­hag­lich auf­hal­ten könn­te. Man müss­te hohe Ein­tritts­prei­se neh­men, um hüb­sche Da­men her­bei­zu­lo­cken. Man soll­te da auf kies­be­streu­ten Fuß­we­gen her­umspa­zie­ren kön­nen, die elek­trisch be­leuch­tet wä­ren, und sich set­zen kön­nen, wenn man Lust hät­te, um von fern und nah Mu­sik an­zu­hö­ren. So et­was gab es frü­her bei Muzard, aber das war zu sehr Bal­lo­kal, zu viel Tanz­mu­sik und zu­we­nig Platz, zu­we­nig Schat­ten und Dun­kel­heit. Es müss­te ein sehr schö­ner, sehr großer Gar­ten sein. Das wäre herr­lich! … Also, wo willst du hin?«

      Du­roy war noch im­mer ver­le­gen und wuss­te nicht, was er vor­schla­gen soll­te. End­lich ent­schloss er sich:

      »Ich ken­ne die Fo­lies Ber­gè­re noch gar nicht, da möch­te ich ganz gern ein­mal hin.«

      »Don­ner­wet­ter!« rief Fo­res­tier, »die Fo­lies Ber­gè­re? Da wer­den wir ja ko­chen wie im Back­ofen. Aber mei­net­we­gen, es ist dort im­mer lus­tig.«

      Sie gin­gen wie­der zu­rück, um die Rue du Fau­bourg-Mont­mar­tre zu er­rei­chen.

      Die er­leuch­te­te Fassa­de des Thea­ters warf grel­len Schein auf die vier Stra­ßen, die sich an die­ser Stel­le kreuz­ten. Eine Rei­he von Drosch­ken war­te­te auf den Schluss der Vor­stel­lung.

      Fo­res­tier ging hin­ein, Du­roy hielt ihn zu­rück:

      »Wir ha­ben ja noch kei­ne Bil­letts.«

      Worauf der an­de­re sehr selbst­be­wusst er­wi­der­te:

      »Wenn ich da­bei bin, braucht man nicht zu be­zah­len.«

      Als er sich den drei Kon­trol­leu­ren nä­her­te, grüß­ten sie ihn, und dem mit­tels­ten reich­te er die Hand. Der Jour­na­list frag­te: »Ha­ben Sie noch eine gute Loge frei?«

      »Aber ge­wiss, Herr Fo­res­tier.«

      Er nahm den Zet­tel, der ihm ge­reicht wur­de, öff­ne­te die ge­pols­ter­te, kup­fer­be­schla­ge­ne Tür, und sie be­fan­den sich im Thea­ter­raum.

      Ta­bak­dunst ver­schlei­er­te wie ein leich­ter Ne­bel den Hin­ter­grund, die Büh­ne und die ent­fern­ten Tei­le des Thea­ters. Die­ser Ne­bel, der un­un­ter­bro­chen in fei­nen bläu­li­chen Strei­fen aus sämt­li­chen Zi­gar­ren und Zi­ga­ret­ten der Be­su­cher em­por­stieg, ball­te sich an der De­cke und bil­de­te un­ter der mäch­ti­gen Wöl­bung einen Wol­ken­him­mel von Rauch um den Kron­leuch­ter und über der dicht mit Zuschau­ern be­setz­ten Ga­le­rie.

      In der ge­räu­mi­gen Vor­hal­le am Ein­gang, die zu den Wan­del­gän­gen führ­te, schweif­ten auf­ge­putz­te Mäd­chen in­mit­ten ei­ner Men­ge dun­kel­ge­klei­de­ter


Скачать книгу