Guy de Maupassant – Gesammelte Werke. Guy de Maupassant

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Guy de Maupassant – Gesammelte Werke - Guy de Maupassant


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ein­ge­schlos­sen, der kei­ne De­cke hat­te, rot ta­pe­ziert war und vier Stüh­le glei­cher Far­be ent­hielt, die so eng an­ein­an­der stan­den, dass man sich kaum zwi­schen ih­nen hin­durch­schie­ben konn­te. Die bei­den Freun­de setz­ten sich. Nach rechts und links schlos­sen sich in wei­tem Bo­gen, des­sen En­den auf die Büh­ne stie­ßen, eine lan­ge Rei­he ähn­li­cher Käs­ten an, wo gleich­falls Men­schen sa­ßen, von de­nen man nur Kopf und Brust se­hen konn­te.

      Auf der Büh­ne mach­ten drei jun­ge Män­ner in eng an­lie­gen­den Tri­kots, ein großer, ein mitt­ler­er und ein ganz klei­ner, ab­wech­selnd Tra­pez­kunst­stücke. Zu­nächst trat der große mit kur­z­en, schnel­len Schrit­ten an die Ram­pe vor, lä­chel­te und grüß­te mit ei­ner Kuss­hand. Un­ter dem Tri­kot sah man die Mus­keln sei­ner Arme und Bei­ne ar­bei­ten; er drück­te sei­ne Brust mög­lichst kräf­tig her­aus, um sei­nen et­was zu di­cken Bauch zu ver­ber­gen. Sein Ge­sicht glich dem ei­nes Fri­seur­ge­hil­fen, und ein ta­del­lo­ser Schei­tel teil­te sein Haar ge­nau in der Mit­te des Kop­fes. Mit gra­zi­ösem Sprung fass­te er das Tra­pez und um­kreis­te es dann, mit den Hän­den dar­an hän­gend, wie ein rol­len­des Rad. Bis­wei­len hing er mit aus­ge­streck­ten Ar­men und stei­fem Kör­per un­be­weg­lich wa­ge­recht in der lee­ren Luft, in­dem er sich al­lein durch die Kraft sei­ner Hand­ge­len­ke fest­hielt. Dann sprang er ab, grüß­te noch­mals lä­chelnd un­ter dem lau­ten Bei­fall des Par­ketts und trat wie­der an die Wand zu­rück und zeig­te bei je­dem Schritt dem Pub­li­kum das Spiel sei­ner Mus­keln.

      Du­roy hat­te we­nig In­ter­es­se für die Dar­bie­tung. Er wand­te sei­nen Kopf und be­ob­ach­te­te un­auf­hör­lich die hin­ter ihm vor­beiflu­ten­de Men­ge von Män­nern und Ko­kot­ten.

      Fo­res­tier sag­te: »Sieh dir mal die Leu­te im Par­kett an, nichts als Spieß­bür­ger mit ih­ren Frau­en und Kin­dern, al­les bra­ve, dum­me Ge­sich­ter, die sich das hier an­se­hen wol­len. In den Lo­gen sit­zen die Stamm­gäs­te der Bou­le­vards, ei­ni­ge Künst­ler und Halb­welt­da­men, hin­ter uns fin­dest du die selt­sams­te Mi­schung, die es in Pa­ris ge­ben kann. Was das für Män­ner sind? Beo­b­ach­te sie mal: al­les mög­li­che, alle Be­ru­fe und Klas­sen, aber das Ge­sin­del über­wiegt. Da sind die Kom­mis, Ban­kan­ge­stell­te, Be­am­te, Ver­käu­fer, fer­ner Re­por­ter, Zu­häl­ter, Of­fi­zie­re in Zi­vil, Bumm­ler im Frack, die gra­de im Re­stau­rant ge­ges­sen ha­ben und von der Gro­ßen Oper zu den Ita­li­e­nern ren­nen, und schließ­lich noch eine gan­ze Men­ge ver­däch­ti­ger In­di­vi­du­en, aus de­nen man nicht recht klug wird. Was die Frau­en an­geht, so gibt es hier nur eine Art: die Halb­welt vom Ame­ri­cain. Sie ver­kau­fen sich für ein oder zwei Gold­stücke, wo­bei sie von Frem­den auch fünf neh­men, und win­ken ih­ren stän­di­gen Kun­den zu, wenn sie frei sind. Man kennt sie alle seit zehn Jah­ren, man sieht sie je­den Abend das gan­ze Jahr hin­durch in den­sel­ben Lo­ka­len, mit Aus­nah­me, wenn sie ein­mal eine heil­sa­me Kur im Frau­en­ge­fäng­nis von St. La­za­re oder im Lour­ci­ne durch­ma­chen.«

      Du­roy hör­te nicht mehr zu. Eins von die­sen Mäd­chen lehn­te sich über die Loge und sah ihn an. Es war eine üp­pi­ge Brü­net­te mit weiß­ge­schmink­tem Ge­sicht und schwar­zen Au­gen, die mit dem Farb­stift un­ter­stri­chen wa­ren, und rie­si­gen, an­ge­mal­ten Au­gen­brau­en. Über ih­rer all­zu star­ken Brust spann­te sich die dunkle Sei­de ih­res Klei­des, und ihre ge­schmink­ten, blut­ro­ten Lip­pen ga­ben ihr et­was Tie­ri­sches, Sinn­li­ches, Wil­des, das aber trotz­dem an­zie­hend wirk­te.

      Sie wink­te mit ei­ner Kopf­be­we­gung ei­ner ih­rer Freun­din­nen zu, die ge­ra­de vor­bei­kam, ei­ner eben­falls kor­pu­len­ten, rot­haa­ri­gen Ko­kot­te, und sprach zu ihr so laut, dass man es hö­ren konn­te:

      »Sieh mal her, das ist ein hüb­scher Jun­ge. Wenn er mich für zwei­hun­dert Fran­cs ha­ben woll­te, ich wür­de nicht nein sa­gen.«

      Fo­res­tier dreh­te sich um und schlug Du­roy lä­chelnd auf die Schen­kel: »Das gilt dir, du hast Er­folg, mein Lie­ber, ich gra­tu­lie­re!«

      Der frü­he­re Un­ter­of­fi­zier wur­de rot und me­cha­nisch tas­te­te er nach den zwei Gold­stücken in sei­ner Wes­ten­ta­sche. Der Vor­hang fiel und das Or­che­s­ter be­gann einen Wal­zer zu spie­len.

      Du­roy frag­te: »Wol­len wir nicht auch ein­mal durch den Wan­del­gang ge­hen?«

      »Wie du willst.«

      Sie ver­lie­ßen ihre Loge und wa­ren so­fort von dem Strom der Men­ge um­ge­ben. Ge­drückt, ge­presst, hin und her ge­sto­ßen, gin­gen sie wei­ter und ein Wald von Hü­ten wog­te vor ih­ren Au­gen. Zwi­schen El­len­bo­gen, Brüs­ten und Rücken der Män­ner dräng­ten sich be­händ paar­wei­se die Ko­kot­ten hin­durch, die sich hier so recht in ih­rem Ele­ment, wie Fi­sche im Was­ser, zu füh­len schie­nen.

      Du­roy war ent­zückt. Er ließ sich trei­ben und wur­de von der sti­cki­gen Luft, die durch Ta­bak, Men­schen­aus­düns­tun­gen und Dir­nen­par­füms ver­pes­tet war, be­rauscht. Aber Fo­res­tier schwitz­te, keuch­te und hus­te­te.

      »Ge­hen wir in den Gar­ten«, sag­te er.

      Sie wand­ten sich nach links und ka­men in eine Art Win­ter­gar­ten, wo zwei ge­schmack­lo­se Fon­tä­nen ein biss­chen küh­le Luft schaff­ten. Un­ter den paar Ta­xus­bäu­men und Thu­jas sa­ßen Män­ner und Frau­en an Zink­ti­schen und tran­ken.

      »Noch ein Bier?« frag­te Fo­res­tier.

      »Ja, gern.«

      Sie setz­ten sich und be­ob­ach­te­ten das Pub­li­kum. Von Zeit zu Zeit blieb ein her­umspa­zie­ren­des Mäd­chen ste­hen und frag­te mit or­di­närem Lä­cheln:

      »La­den Sie mich nicht ein?« — Und wenn Fo­res­tier er­wi­der­te : »Ja, zu ei­nem Glas Was­ser aus dem Spring­brun­nen«, so ent­fern­te sie sich mit ei­nem är­ger­li­chen Schimpf­wort.

      Aber die di­cke Brü­net­te tauch­te wie­der auf. Sie kam in über­mü­ti­ger Hal­tung, Arm in Arm mit der di­cken Rot­haa­ri­gen. Sie bil­de­ten wirk­lich ein hüb­sches, gut aus­ge­such­tes Frau­en­paar.

      So­bald sie Du­roy er­blick­te, lä­chel­te sie, als hät­ten sich ihre Au­gen schon ver­trau­te und ver­schwie­ge­ne Din­ge ge­sagt. Sie nahm einen Stuhl und setz­te sich ru­hig ihm ge­gen­über und ließ ihre Freun­din auch Platz neh­men. Dann rief sie mit lau­ter Stim­me:

      »Kell­ner, zwei Gre­na­di­ne!«

      Er­staunt sag­te Fo­res­tier:

      »Du ge­nierst dich wirk­lich nicht!«

      »Ich bin in dei­nen Freund ver­liebt«, ant­wor­te­te sie. »Er ist wirk­lich ein schö­ner Kerl. Ich glau­be, ich könn­te sei­net­we­gen Dumm­hei­ten be­ge­hen.«

      Du­roy wuss­te vor Ver­le­gen­heit nicht, was er sa­gen soll­te. Er dreh­te an sei­nem wohl­ge­pfleg­ten Schnurr­bart und lä­chel­te nichts­sa­gend vor sich hin. Der Kell­ner brach­te die Li­mo­na­den und die bei­den Freun­din­nen tran­ken sie in ei­nem Zuge aus. Dann stan­den sie auf und die Brü­net­te nick­te Du­roy wohl­wol­lend zu und gab ihm mit ih­rem Fä­cher einen leich­ten Schlag auf den Arm: »Dan­ke, mein Schatz. Du bist nicht sehr ge­schwät­zig.«

      Dann gin­gen sie fort, sich in den Hüf­ten wie­gend.

      Fo­res­tier be­gann zu la­chen:

      »Sag


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