Anja, Petra und die Pferde. Lise Gast

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Anja, Petra und die Pferde - Lise Gast


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neben sich herführend, fragte noch: „Alles klar?“ und ging zum Eingang in dem Zaun, hakte den Griff aus und trat zur Seite, Peuke vorläufig noch festhaltend. Sogleich kam Winnetou angeschossen, seinen kleinen Reiter auf dem Rücken, und lief schräg durch die Öffnung, Richtung Heimat. Nikolo folgte, Petra auf sich; die hatte die Knie eng angeklemmt und beide Hände in der Mähne. Anja sah ihr lachendes Gesicht an sich vorbeisausen, den Mund halb offen, in den Augen blitzte es.

      Da gab es auch für Peuke kein Halten mehr. Stine gab seinen Busch frei, und schon ging er im Galopp los. Anja dachte zuerst, sie flöge im allerersten Moment schon von seinem Rücken, weil er die Kurve so eng nahm. Blindlings griff sie nach vorn und krallte sich in die starren Mähnenhaare und kam wieder ins Gleichgewicht. Neben ihr jagte Mo auf Lettchen. Es ging über eine Wiese, dann einen kleinen Hang schräg empor, hinauf auf die schmale Straße, die sie vorhin gefahren waren.

      „Er wird schon wissen, wohin es geht“, dachte Anja verweht, während sie nur darauf bedacht war, im Sitz zu bleiben. „Wer ist denn da abgeschmiert?“ Neben ihr galoppierte ein lediges Pony – es war aber, wie sich später herausstellte, eins der Zweijährigen. „Hoffentlich ist der Stall offen, damit ich nicht an die Tür fliege, wenn Peuke stoppt!“

      Sie sah Petra auf Nikolo vor sich, gleich darauf ging es nach links, da bremste Peuke tatsächlich. Er bremste aber nicht mit einem Ruck, sondern verlangsamte seine Galoppsprünge allmählich; Anja hatte sich bereits auf ihn eingestellt und blieb oben. Jetzt kam links eine offene Stalltür, Anja duckte sich tief – „nur nicht mit dem Kopf an die obere Türleiste knallen“ – und war drin. Hier allerdings hielt Peuke auf der Stelle, und da gab es kein Obenbleiben mehr. Anja flog bltzschnell über seinen Kopf hinweg und landete in einem Haufen Grünfutter, das in der Ecke des Stalles abgelegt worden war. Aufatmend wälzte sie sich herum, wischte sich über das Gesicht und richtete sich auf.

      „Na? Glücklich gelandet?“ fragte Petra, während sie sich von Nikolo schwang, und betrachtete Anja vergnügt. „Alles noch dran? Dann komm, wir haben versprochen, Stine zu helfen, wenn sie den Zaun umsetzt. Du kannst hier nicht hocken bleiben und darüber rätseln, wie es kam, daß du eine Luftreise gemacht hast.“ Sie hatte Anjas Hand ergriffen und zerrte sie empor. Anja folgte, leicht benommen. Die beiden kleinen Jungen waren abgesessen und verteilten das Grünfutter in die verschiedenen Raufen. Petra und Anja halfen. Und dann liefen sie zu viert wieder hinaus auf die Weide.

      Zaunumsetzen ist bei schönem Wetter ein Vergnügen, bei Kälte, Regen oder großer Hitze weniger. Jetzt aber war es herrlich. Einer wickelt den Draht auf, die anderen ziehen die metallenen Pfosten aus der Erde und schleppen sie dahin, wo der Zaun neu aufgebaut wird. Je mehr Hände, desto schnelleres Ende. Stine holte die Batterie, die für die kleinen Jungen zu schwer war, und nun wurden die Pfosten neu gesteckt – alle zwölf Schritte einer – und der Draht daran entlanggezogen.

      Jo, der schon glücklicher Besitzer einer Armbanduhr war, kontrollierte die Zeit.

      „So schnell ging es noch nie!“ triumphierte er, und Stine sagte: „Wir sind ja auch zwei Leute mehr als sonst. Wenn ihr beiden nicht wärt –“ Anja und Petra lachten geschmeichelt.

      „Achtung, weg vom Zaun. Ich probiere.“ Stine schaltete ein, nahm dann einen Grashalm und hielt ihn an den Draht.

      „Er tut es“, sagte sie.

      „Und warum fassen Sie den Draht nicht richtig an?“ fragte Petra begierig.

      „Du kannst es ja versuchen.“ Stine lachte. Petra griff zu – und hopste gleich darauf laut schreiend auf einem Bein herum.

      „Der tut es wahrhaftig!“ rief sie. „Ich hab’ einen Schlag bekommen, nicht von schlechten Eltern –“

      „Man erschrickt“, sagte Stine, „passieren tut aber nichts.“ Und nun marschierten sie alle miteinander zurück.

      „Morgen früh kommen sie wieder hinaus“, sagte Stine, „das machen die Jungen allein. Um diese Jahreszeit reiten sie sie stets vor der Schule hinaus, das ist ein guter Tagesanfang.“

      O ja, davon waren Anja und Petra überzeugt. Jo, Mo und To hatten es gut in ihrem Zuhause, ohne Zweifel.

      „Auch, wenn sie im Winter die schweren Wassereimer schleppen oder gefrorenen Mist aufladen und fortkarren müssen?“

      „Auch dann! Es gibt ein chinesisches Sprichwort, das heißt: Dreierlei Arbeit schändet nicht, die für den Vater, die für den Sohn und die fürs Pferd.“

      „Stimmt. Und fürs Pferd tut ihr alles, gelt? Wie ist das aber mit der für den Vater?“ fragte Stine und lachte. „Immer bereit, wenn er bittet? Na, schön wär’s. Daß man fürs Pferd gern zufaßt –“

      „Das haben wir immer getan. Wir sind –“ und nun erzählten sie von den Ferien, die sie bei Dagmar erlebt hatten, mit aller Arbeit und Sorge um Pferde und Hunde, und Stine fragte nach Dagmars Nachnamen, und da stellte sich heraus, daß sie sie kannte.

      „Ist Ströppchen noch bei ihr – ja? Und Lotte? Die hab’ ich auch geritten, und noch ein drittes Pferd hatten sie –“

      „Pußta, die ist auch noch da! Die kenn’ ich persönlich!“ rief Petra. „Die hat mich gleich beim ersten Mal abgesetzt.“

      „Mich auch“, fiel Stine ein und lachte. Und dann mußten sie noch zum Abendbrot bleiben und Holles Most probieren. Es war ein herrlicher Nachmittag, nur viel zu schnell vorbei. Auf einmal war es dunkel – im September sind die Tage ja schon kurz –, und als Anja auf die Uhr sah, wurde sie fast ohnmächtig vor Schreck. Nun mußten sie wieder einmal zu Hause anrufen, daß sie später kämen, sie hätten eine Panne gehabt. Bei Anja meldete sich allerdings niemand.

      „Die Panne war, daß Stine so nett ist und man bei ihr die Zeit vergißt, das reimt sich, also ist es wahr“, sagte Petra.

      „– und so verzögerte es sich etwas, aber passiert ist nichts, nur keine Angst.“

      Sie sahen einander an, als Petra aufgelegt hatte. Zum wievielten Mal hatten sie so etwas durchgeben müssen?

      „Warum wird’s auch so zeitig finster“, murmelte Anja kleinlaut. Petra aber gab ihr einen Stoß.

      „Das holen wir wieder ein. Los, jetzt wird geradelt wie vorhin geritten: im Galopp, im sausenden –“

      Was blieb ihnen auch übrig? Nur, leider, die Zeit überholen kann man nicht.

      Wenn man zu spät kommt ...

      Das Küchenfenster war dunkel, also saßen die Eltern vermutlich im Wohnzimmer. Anja ließ das Fahrrad stehen und sprang die Stufen zur Haustür hinauf. Sie wollte gerade läuten – da sah sie im Licht der Straßenlaterne einen Zettel neben dem Klingelknopf hängen. Nanu –

      Sie riß ihn ab, versuchte zu lesen, was drauf stand, und ging dann damit noch ein Stück zurück, um besseres Licht zu haben. Vaters Schrift, groß und deutlich:

      „Schlüssel bei Frau Schubert. Komme gegen neun. Vater.“ Nicht: „Gruß – Vater“, wie er sonst in solchen Fällen zu schreiben pflegte, wenn er einmal eine Botschaft hinterließ. Anja stand da und überlegte.

      Es war acht. So spät sollte sie nicht nach Hause kommen, aber vielleicht war Vater schon um sechs weggegangen? Wo aber war Mutter? Mutter verließ doch abends nicht ihre beiden kleinen Jungen!

      Anja ließ den Zettel sinken und ging damit langsam zum gegenüberliegenden Haus. Vielleicht wußte Frau Schubert Bescheid. Dort war Licht. Sie läutete.

      Eigentlich wußte sie schon die ganze Zeit, daß etwas Schlimmes sie erwartete; es saß in ihr, sie wollte es nur nicht wahrhaben. Daß es aber etwas so Schreckliches sein würde, das hatte sie nicht vermutet.

      „Ja, komm rein, du armes Kind. Komm, dein Vater war hier. Ich soll dir alles erzählen. Komm –“

      „Was denn alles?“ fragte Anja bang.

      „Nun, daß deine Mutter – sie mußte ins Krankenhaus. Es war ganz schrecklich eilig, hoffentlich hat es noch gelangt.


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