Neuer. Dietrich Schulze-Marmeling

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Neuer - Dietrich Schulze-Marmeling


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deutschen Nachwuchsfußball ist Elgert fast schon eine Legende. Bei der WM 2014 in Brasilien stehen mit Neuer, Benedikt Höwedes, Mesut Özil und Julian Draxler gleich vier Spieler im DFB-Aufgebot, die durch seine Schule gegangen sind. Nicht wenige halten Elgert für den besten Nachwuchstrainer Deutschlands. Der 58-Jährige arbeitet seit 1996 mit den Schalker A-Junioren. Verpflichtet hatte ihn der damalige Schalke-Manager Rudi Assauer. 2006, 2012 und 2015 wird die Schalker U19 Deutscher Meister, 2002 und 2005 DFB-Pokalsieger. Als Elgerts Jungs in einem hochklassigen Meisterschaftsfinale 2015 die TSG 1899 Hoffenheim in der Wattenscheider Lohrheide mit 3:1 besiegen, skandieren die Fans der „Knappen“: „Seht her, ihr Profis, so wird es gemacht!“

      Sich mit seinen Meriten aufzuplustern, würde Elgerts Werten widersprechen. Wenn es um die Leistungen und Erfolge der Schalker „Knappenschmiede“ geht, ist er auffallend bemüht, von „uns“ zu sprechen. Elgert ist ein großer Freund des Teamgedankens und Fan des neuseeländischen Rugby-Teams, der berühmten „All Blacks“. „Rugby ist ein knallharter Teamsport. Da wird nicht lange rumgejammert, und der Teamgedanke steht absolut im Vordergrund. ,Nothing is as strong as teamspirit‘, habe ich tatsächlich von den ,All Blacks‘ übernommen.“ Als ihn die Journalisten nach dem Gewinn der Meisterschaft 2015 auf den starken Auftritt von Leroy Sane ansprechen, der bereits bei den Profis in der Champions League gegen Real Madrid getroffen hat, lautet Elgerts Reaktion: „Fußball ist eine Wir-Sportart. Und Leroy hat, wie jeder andere in dieser Mannschaft, seine Aufgabe zu hundert Prozent erfüllt.“

      Sich selbst charakterisiert Elgert als „ganzheitlich denkend, sehr fordernd – aber auch sehr menschlich. Dinge, die sich auch im Hochleistungssport nicht ausschließen sollten.“ Der Trainer ist ein sehr gläubiger Mensch, und der Satz: „Jeder Mensch ist einmalig“, fällt im Gespräch mit ihm nicht nur einmal. Elgert weiß so einiges über die jungen Menschen, ihre Stärken und ihre Schwächen, wie sie funktionieren und wie man sie anpacken muss. Der Mann ist nicht nur ein überragender Fußballfachmann, sondern auch ein exzellenter Pädagoge. Er gehört zu jener nicht besonders weit verbreiteten Art von Menschen, denen junge Menschen zuhören und später mit einer gewissen Dankbarkeit begegnen. Man kann sich ihnen anbiedern, indem man den Berufsjugendlichen mimt. Man kann junge Menschen, deren Verhalten und deren Kultur verdammen und ihnen damit auf die Nerven gehen, dass früher als besser gewesen sei – vor allem man selber. Man kann aber auch Verständnis für junge Menschen zeigen und dabei trotzdem authentisch – also in der Erwachsenenrolle – bleiben. Solchen Persönlichkeiten gelingt es, junge Menschen weiterzuentwickeln und das Optimum aus ihnen herauszuholen. Auch bei sich selbst will Elgert das Optimum erreichen: „Ich möchte für meine Jungs jeden Tag ein noch besserer Coach und Lehrer sein.“ Der 58-jährige sieht dabei für sich noch Luft nach oben. Sein Motto: lebenslanges Lernen.

      Wie eine Reihe von Nachwuchstrainern seiner Generation hat Elgert die „niederländische Fußballschule“ inspiriert: „Es ist kaum zehn Jahre her, dass wir mit Bewunderung nach drüben geschaut haben. Ein kleines Land, das dank seiner Ausbildung viele hervorragende Fußballspieler hervorgebracht hat. Ich habe mir dort einiges abgeschaut und mich lange und intensiv mit der holländischen Fußballphilosophie beschäftigt.“ Dass die Schalker Keeper in der Regel auch ordentliche Fußballer sind, allen voran Manuel Neuer, hat einiges mit dieser Philosophie und dem daraus entwickelten Training zu tun. Elgert: „Unsere Torhüter bekommen viel Feldspieler-Training. Wir lassen sie auch schon mal Innenverteidiger spielen, damit sie verstehen, wie sie als Torhüter diese ancoachen müssen.“

       „Er wollte Spaß haben“

      Um zu erahnen, was den Nachwuchstrainer Elgert ausmacht, kann man in ein Doppelinterview schauen, das die Zeitschrift „11 Freunde“ im August 2014 mit Elgert und seinem ehemaligen Nachwuchsspieler Max Meyer führte. Meyer hatte auch Futsal gespielt, was sich als hilfreich für seine Karriere erwies. Meyer: „Futsal ist wie Fußball auf engstem Raum: vier gegen vier oder fünf gegen fünf, viele Kontakte, schnell spielen. Es schult das taktische Verständnis, verbessert das Dribbling und macht vor allem wahnsinnig Spaß.“ Bevor Meyer zu Schalke kam, kickte er in der Jugend des MSV Duisburg, wo man wenig erfreut über Meyers Futsal-Skills war: „Dort wollte man mir das Dribbeln schon verbieten. Im Training durfte ich nur noch mit zwei oder drei Ballkontakten spielen. Bei Schalke durfte ich vom ersten Tag an einfach frei aufspielen.“ Und Elgert erwidert auf die Frage der „11 Freunde“, ob er nie wirklich versucht habe, Meyer die vielen Dribblings auszutreiben: „Ganz im Gegenteil. Bei Spielern wie ihm muss man das eher noch forcieren. Wenn du einem Spieler seine herausragende Stärke nimmst, wird er nie dorthin kommen, wo er hinkommen kann.“ Man kann sich vorstellen, wie wichtig ein solcher Trainer für einen Spieler wie Manuel Neuer ist, dessen Stärken manche Kollegen nicht sehen können, nicht sehen wollen oder die sie zur Weißglut treiben, nur weil sie von der Norm seiner Zunft abweichen.

      Für Norbert Elgert besteht die fußballerische Ausbildung aus fünf Bausteinen: „1. Technik unter höchstem Raum-, Gegner- und Zeitdruck. Wenn man mit dem Ball kämpft, kann man sich nicht mit dem Gegner und dem Spiel auseinandersetzen. 2. Taktik, Spielintelligenz/ Spielverständnis und mentale Geschwindigkeit: Der Spieler muss lernen, das Spielfeld ständig zu scannen und schnell richtige Entscheidungen zu treffen. Durch jede noch so kleinste Positionsveränderung von Mitspielern und Gegnern und durch jede Bewegung des Balles verändern sich permanent Spielbild und Spielsituation. Der Spieler muss diese schnell verstehen und die richtige Entscheidung treffen. 3. Athletik: Athletik ist trainierbar. Wenn man nicht fit ist, lenkt das ab. 4. Mentale Stärke und Härte: Unter vermeintlich größtem Druck sein fußballerisches Potenzial abrufen. Dazu gehört auch, sich nicht von Gegenspielern, Zuschauern oder durch Schiedsrichterentscheidungen ablenken zu lassen. 5. Teamgeist. Bereitschaft und Fähigkeit, Teil eines Teams zu sein. Das Wir muss größer sein als das Ich – was nicht bedeutet, dass das Ich unwichtig ist.“ Man erkennt in diesen Bausteinen Manuel Neuer wieder – insbesondere, was Spielintelligenz und mentale Stärke angeht.

      Gefragt, was einer mitbringen muss, um den Weg in den Profifußball zu schaffen, antwortet Elgert: „Mit dem Talent stellst du den Fuß in die Tür. Um hindurchzugehen, benötigt der Spieler mehr. Er braucht eine fundierte ganzheitliche Ausbildung. Er muss Wissbegierde mitbringen, Demut, Durchhaltevermögen und Teamfähigkeit. Er sollte einen guten Charakter haben, eine starke Persönlichkeit und den unbedingten Willen, es zu schaffen.“ Was er gar nicht mag: „Wenn ein Spieler fußballerisch hochbegabt ist, es ihm aber an Einstellung fehlt und er daran nichts ändern will. An Einstellung und Motivation kann man arbeiten. Wenn einer sein Talent vergeudet, ärgert mich das ungemein. Manuel Neuer, Lionel Messi oder Cristiano Ronaldo bewegen sich auf absolutem Spitzenniveau. Aber das reicht ihnen nicht, die wollen immer noch besser werden. Sie wollen jeden Tag immer noch besser werden.“

      Als die Leser der „Westdeutschen Allgemeinen Zeitung“ Elgert Fragen stellen dürfen, will der Übungsleiter einer D-Junioren-Mannschaft wissen, was er seinen Jungs mitgeben solle. Elgert: „Spiele in deiner Freizeit so viel wie möglich. Vernachlässige die Schule nicht – übe fleißig und verbessere dich jeden Tag. Trainiere und spiele mit Freude und Begeisterung. Sei mutig. Habe keine Angst vor Fehlern. Fußball ist und macht Spaß.“

      Das alles trifft für den jungen Manuel Neuer zu. Elgert: „Er hat eine große Leidenschaft für das Spiel. Sein Antrieb war: Er wollte Spaß haben.“

       „Manuel hat eine Bärenruhe“

      Auch in der Gesamtschule „Berger Feld“ leitet Elgert Trainingseinheiten und bekommt Manuel Neuer daher schon vor Erreichen des A-Jugend-Alters zu Gesicht. Elgert: „Ich erinnere mich an ein Schultraining, er war schon als C-Jugendlicher bei mir. Er war damals noch relativ klein, ein guter Torhüter mit jeder Menge Feldspielerqualitäten. Er hätte den Weg in die Bundesliga auch als Feldspieler gehen können.“ Allerdings hat Neuer ein Defizit – zumindest sieht dies so aus. Er wirkt manchmal verträumt, ja geradezu phlegmatisch. Elgert nimmt ihn zur Seite und fragt ihn: „Warum stehst du im Tor?“ Neuer: „Ich soll Bälle halten.“ Elgert: „Dann halte endlich welche. Wie oft habe ich dir verboten, vor dem Training Valium zu nehmen.“ Das mit dem Valium ist natürlich ein Scherz, aber anfangs wussten Neuers Trainer die Ruhe


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