Der verlorene Sohn - Der Fürst des Elends (Kriminalroman). Karl May

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Der verlorene Sohn - Der Fürst des Elends (Kriminalroman) - Karl May


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      Sie öffnete und stieß einen Ruf des Erstaunens aus. Sechs kostbare Bracelets glänzten ihr entgegen, mit Perlen, Rubinen und Smaragden ausgelegt. Sie verschlang den Schmuck förmlich mit den Augen. So kostbare, fremdartige Arbeit hatte sie noch nicht gesehen.

      »Mein Gott, welchen Werth müssen sie haben!« sagte sie.

      »Nur sechzigtausend Gulden,« antwortete er einfach. »Weiter!«

      Er öffnete nun Buch um Buch, das heißt, Kasten um Kasten. Aus jedem funkelte, flimmerte und brillirte es ihr entgegen, daß ihr die Augen zu schmerzen schienen. Berloques, Ringe, Ketten, Arm- und Halsbänder, Broschen, Boutons, Arm- und Fußspangen, alle, alle Arten von bekannten und fremdartigen Schmuckgegenständen waren da zu sehen, theils einfach massiv in Gold oder Silber oder, was meist der Fall war, mit den werthvollsten Steinen und Perlen ausgelegt. In riesigen Folianten befanden sich massiv goldene Gefäße oder Theile von Gegenständen, welche nur zusammengesetzt zu werden brauchen, um Leuchter und dergleichen zu bilden.

      Ella kam aus einer Art von Entzückung gar nicht heraus.

      »Das ist allerdings wahr,« sagte sie. »Diese Bibliothek ist tausendmal mehr werth als Ihr Palais mit all' seiner Einrichtung!«

      »O, dieses kleine Bändchen ist mehr werth, als die ganze Bibliothek,« sagte er, indem er ein Kästchen hervornahm, welches sie noch nicht in der Hand gehabt hatte. »Lesen Sie!«

      Er hielt ihr den Rücken des scheinbaren Buches entgegen. Auf demselben war in französischen Worten zu lesen: ›Les rois des pierres,‹ zu deutsch: ›Die Könige der Steine‹. Er öffnete. In dem Kästchen befanden sich zwei unscheinbare, breitgedrückte Lederbeutel, so daß sie die Form des Buches angenommen hatten. Sie enthielten Steine von der Größe einer Erbse bis zu derjenigen einer großen Hasel- oder Lampertnuß, welche ganz und gar nicht das Aussehen hatten, als ob sie von irgend welchem Werthe seien.

      »Was ist das?« fragte sie.

      »Diamanten meist, auch Rubine, Saphire und Smaragde,« antwortete er in einem Tone, als ob es sich nur um Kieselstücke handle.

      Sie fühlte etwas wie Fieber durch ihre Adern und Nerven gehen. Also, das waren die Schätze, nach denen sie trachtete! Sie machte den Deckel zu und gab ihm das Kästchen mit den ›Königen der Steine‹ zurück, sonst hätte sie sich verrathen; er hätte ihre Aufregung bemerken müssen. Aber ohne daß sie es ahnte, beobachtete er sie scharf. Er sah das Zittern ihrer Hände; er sah, daß ihre Lippen zuckten, obgleich sie die Zähne zusammenpreßte; er sah auch den gierigen Glanz ihrer Augen, und nun wußte er gewiß, daß er recht vermuthet habe und daß er siegen werde.

      »Was nun habe ich von diesen Schätzen?« fragte er. »Da stecken sie! Was für Nutzen bringen sie mir?«

      Sie vermochte nicht zu antworten; sie kehrten in das Cabinet zurück, wo Adolf bald den Thee servirte. Während sie diesen Letzteren einnahmen, war die Unterhaltung eine sehr wortkarge. Da drückte der Fürst auf die Glocke. Der Diener erschien.

      »Ein Glas frisches Wasser!« befahl der Fürst.

      Das war das verabredete Zeichen. Nach kurzer Zeit kehrte Adolf mit dem Wasser zurück und meldete:

      »Verzeihung, gnädiger Herr! Der Hausmeister – –«

      »Was ist?« fuhr der Fürst auf, als ob er über diese Meldung, die ihm eine Störung in Aussicht stellte, ungehalten sei.

      »Der Hausmeister wünscht Durchlaucht zu sprechen.«

      »Morgen! Ihr wißt ja, daß ich jetzt nicht zu sprechen bin!«

      »Er sagt, es sei sehr dringend, es handle sich um die Rechnungsvorlage, welche morgen mit dem Frühesten –«

      »Ah, so! Unangenehm, höchst unangenehm! Aber es ist wirklich dringend.«

      Nichts konnte der Baronin erwünschter kommen, als diese Unterbrechung. Sie hatte zu ihrer großen Freude bemerkt, daß der Fürst den Schlüssel des Juwelenschrankes nicht abgezogen hatte, sie sagte:

      »Bitte, Durchlaucht, lassen Sie sich durch meine Gegenwart nicht bestimmen, etwas Nothwendiges und Dringendes zu vernachlässigen!«

      »Auch wenn ich mich für zehn Minuten oder gar noch länger von Ihnen beurlauben müßte?«

      Er wollte ihr hinreichend Zeit geben, ihr Vorhaben auszuführen.

      »Auch dann!« antwortete sie.

      »Zehn Minuten wenigstens wird es währen. Sie sind zu gütig, meine Gnädige; aber da liegen Zeitungen und Illustrationen, mit denen Sie die kurze Einsamkeit auszufüllen vermögen. Adolf, sage dem Hausmeister, daß ich sofort komme. Er mag mich unten in seinem Zimmer erwarten, wo er ja die Bücher hat. Du aber gehst hinter in den Stall, um zu sehen, ob der Kutscher die Pferde für später bereit hält.«

      Um die Baronin ganz sicher zu machen, gab er dem Diener einen scheinbaren Auftrag, der ihn eigentlich für einige Zeit entfernt hätte. Sie sollte überzeugt sein, daß sie allein und unbeobachtet sei.

      »Zu Befehl, Durchlaucht!« sagte Adolf und entfernte sich.

      Er wußte natürlich, daß der Auftrag, den er erhalten hatte, nur eine Finte sei. Draußen zog er die Stiefel aus, versteckte sie und begab sich nach dem Toilettenzimmer. Dieses hatte zwei Thüren; die eine führte in das Cabinet, in welchem sich der Fürst mit seinem Besuche befand; durch diese Thür waren ja die Beiden in die Toilette getreten; die andere ging nach dem Corridore. Durch diese Letztere trat der Diener leise und unhörbar auf den Strümpfen ein, kroch unter den Tisch und ordnete die bis auf den Boden herabreichende Decke desselben so, daß er den Schrank und Alles, was bei demselben vorgenommen wurde, genau beobachten konnte.

      Der Fürst trank sein Glas langsam aus, um dem Diener Zeit zu geben, seinen Lauscherposten einzunehmen, und entfernte sich dann. Die Baronin war allein.

      Sie erhob sich von ihrem Sessel und lauschte. Sie war allein. Sie legte die Hand auf ihre stürmisch klopfende Brust und fragte sich:

      »Soll ich, oder soll ich nicht? Hier die Angst um das Gelingen, die Furcht vor dem Ertapptwerden, und dort Schätze, die mir niemals wieder geboten werden! Ah! Er war kalt und zurückhaltend; er hat kein Herz! Die Steine müssen mir gehören!«

      Sie öffnete die Thür des Vorzimmers und blickte hinaus. Es befand sich kein Mensch dort. Ueberall die tiefste Stille.

      »Pah! Es ist nicht gefährlich! Es muß gelingen! Der Schlüssel steckt; ich habe mir die Stelle gemerkt, an welcher sich das Buch befindet; der Fürst ist fort und der Diener nach dem Stalle. Ehe dieser zurückkommt, muß es geschehen sein! Bis zur Nacht wird Niemand auf den Gedanken kommen, nach den Steinen zu sehen. Und dann werden ja die Einbrecher den Schrank ausleeren. Sie haben auch die Steine! Kein Mensch wird die Baronin von Helfenstein in Verdacht haben können! Vorwärts also!«

      Sie warf noch einen zweiten Blick in das Vorzimmer und huschte dann hinaus in den Toilettenraum. Sie schloß den Schrank auf und ergriff das Buch. Die »Könige der Steine,« die in den Beuteln waren, verschwanden im Nu in ihrer Tasche. Sie stellte den scheinbaren Einband wieder an seinen Platz zurück, verschloß den Schrank und saß einige Augenblicke später in ruhiger Haltung wieder auf ihrem Sessel, eine Zeitung in der Hand.

      Aber sie war nicht so ruhig, wie es den äußeren Anschein hatte. Ihre Pulse flogen; es flimmerte ihr vor den Augen, so daß die Buchstaben verschwammen, und die Taille wollte ihr zu eng werden.

      »Fort! Nur fort!« hauchte sie.

      Und doch bekam sofort die Ueberlegung die Oberhand.

      »Nein,« dachte sie, »ich muß bleiben! Ein zu schnelles Aufbrechen würde sicherlich Verdacht erregen. Wenn ich dafür sorge, daß der Fürst nicht Zeit erhält, in den Schrank zu blicken, bin ich geborgen. Später mag es werden, wie es will!«

      Nach einiger Zeit kehrte Befour zurück; er fand sie, scheinbar in die Zeitung vertieft.

      »Welch Langeweile werden Sie gehabt haben, gnädige Frau!« sagte er im Tone des Bedauerns und der


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