Der verlorene Sohn - Der Fürst des Elends (Kriminalroman). Karl May

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Der verlorene Sohn - Der Fürst des Elends (Kriminalroman) - Karl May


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würde mir das erwünschter sein. Meine Erscheinung ist nicht eine solche, daß – –«

      Sie stockte. Er wußte, was sie sagen wollte. Um keinen Verdacht zu erwecken, erhob er sich von seinem Sitze, auf den er sich niedergelassen hatte und verließ das Zimmer, um seine Anordnungen zu treffen. Man hatte sein Kommen bemerkt. Draußen auf dem Corridore trat ihm ein Kellner entgegen.

      »Ein Abendbrod mit drei Gängen und Tokayer,« befahl er. »Aber weibliche Bedienung! Die Dame, welche bei mir ist, soll denken, daß ich privat wohne und von meiner eigenen Köchin servirt erhalte!«

      Nach diesen Worten kehrte er in das Zimmer zurück. Der Kellner hatte ihm einen befremdlichen Blick zugeworfen, begab sich aber in das Parterre zurück, um den Befehl auszuführen. Gerade jetzt trat der Fürst ein. Er sah den Kellner und fragte:

      »Garçon, können Sie mir sagen, ob in diesem Hause ein Arzt wohnt?«

      »Ein Arzt? Hier wohnt keiner, mein Herr.«

      »Oder haben Sie einen Herrn bemerkt, welcher mit einer Dame eintrat, die einen Korb trug?«

      »Allerdings, mein Herr.«

      »Wo befindet sich derselbe?«

      »Droben im Zimmer Nummer Drei.«

      »Also in Ihren Räumlichkeiten?«

      »Ja. Er hat für sich und die Dame ein Souper bestellt.«

      Da griff der Fürst in die Tasche, zog ein Goldstück hervor, gab es dem sich fast bis zur Erde verneigenden Kellner und fragte.

      »Ist Ihnen dieser Herr bekannt?«

      »Er trinkt oft ein Glas Wein in demselben Zimmer. Seinen Namen kenne ich nicht?«

      »Ist es möglich, zu hören, was er mit der Dame spricht?«

      »Gewiß, mein Herr. Wünschen Sie ihn vielleicht gar zu überraschen?«

      »Unter Umständen, ja?«

      »So kommen Sie! Aber bitte, leise!«

      Er führte ihn aufwärts nach dem Zimmer Nummer Zwei, öffnete dasselbe und flüsterte dann:

      »Treten Sie ein, und schließen Sie von innen zu. Er könnte nachsehen wollen, ob Jemand sich hier befindet. Die Nebenthür führt in sein Cabinet. Sie ist nur von dieser Seite zu öffnen. Sie können also bei ihm eintreten, sobald es Ihnen beliebt.«

      Er ging, und der Fürst schloß sich wirklich ein. Dann begab er sich leisen Schrittes an die Verbindungsthür. Diese war nicht mittels Schlüssel, sondern nur durch einen Riegel verschlossen, konnte also sehr leicht geöffnet werden.

      Mittlerweile hatte der Baron am Tische Platz genommen und das Mädchen veranlaßt, sich auf das Sopha zu setzen, welches gleichfalls an demselben stand. Sie fühlte sich beunruhigt von der nicht gerade häuslichen Ausstattung des Cabinetes.

      »Wissen Sie, mein Herr, daß ich mich in Ihrer Hand befinde?« fragte sie ihn.

      »Was wollen Sie damit sagen, Fräulein?«

      »Daß Sie sehr, sehr gütig gegen mich sind, daß ich Ihnen aber auch ein sehr großes Vertrauen schenke!«

      »Daran thun Sie sehr recht! Man darf eine entgegengebrachte Freundlichkeit nicht mit Mißtrauen, also mit Undank belohnen. Ah, da kommt zunächst der Wein!«

      Eine Kellnerin brachte eine Flasche mit zwei Gläsern und begann, das Service aufzulegen. Als sie sich entfernt hatte, entpfropfte der Baron die Flasche und schenkte ein.

      »So, mein Fräulein,« sagte er. »Dieses Gläschen wird Ihnen auf die Kälte, welche Sie erlitten haben, wohlthun. Trinken Sie! Trinken Sie nur aus!«

      Sie hatte das Tuch, in welches sie gehüllt gewesen war, abgelegt, so daß er ihre Gestalt nun zu beurtheilen vermochte.

      Ihr Kleid war zwar sauber, aber alt und abgetragen; es machte einen ärmlichen Eindruck. Ihr lichtes Haar lag in einem schlichten Scheitel eng an den Schläfen; aber gerade so trat die zarte, feine Rundung ihres Profiles um so deutlicher hervor. Ihre blauen Augen waren krank; das mußte man erkennen; der Blick war matt und glanzlos, aber unendlich rührend und Mitgefühl erweckend. Ihr nicht zu voller Mund besaß eine schöne Zeichnung, doch hatte er an beiden Winkeln jenes Fältchen, welches der Ernst des Lebens einzugraben pflegte. Der Hals zeigte, soweit er sichtbar war, die schimmernde Weise des Alabasters, und die Taille des Kleides legte sich eng um zwei Schultern und eine Büste, welche zwar nicht allzu voll, aber auch nicht hager genannt werden konnte. Die Hände waren fein und schmal; aber sie zeigten jene Relieflinien, welche eine Folge von Arbeit und körperlicher Entbehrung sind.

      Dieses arme, bedauernswerthe Wesen machte den Eindruck, als ob es sich unter glücklicheren Verhältnissen zu einer blühenden Schönheit hätte entfalten können.

      Die unverschuldete und mit Ergebung getragene Armuth besitzt eine Würde, eine Heiligkeit, an welcher sich der Mann von Bildung und Gefühl niemals zu versündigen vermag. Der Baron aber fühlte sich mit seiner Eroberung sehr zufrieden. Es war einmal eine Abwechslung, gerade so, wie der routinirte Secttrinker auch einmal ein Gläschen Rum oder Arac zu genießen beliebt.

      Sie hatte von dem Weine genippt.

      »Wie gut das ist,« sagte sie. »Es ist, als ob ein neues Leben durch den Körper gehe. Sie haben das Richtige getroffen. Man merkt, daß Sie ein Arzt sind.«

      »Darum müssen Sie meinen Verordnungen strenge Folge leisten. Trinken Sie aus!«

      Er wußte, daß Sie mit einem einzigen Glase einen Rausch bekommen müsse. Diesen Rausch aber mußte sie sich antrinken, um ihm keinen Widerstand zu leisten. Sie war aber vorsichtig und antwortete:

      »Erlauben Sie mir, diese Delicatesse recht langsam und behaglich zu genießen! Gott, wenn Vater an meiner Stelle sitzen und von diesem Weine trinken könnte!«

      »Er wird nachher eine ganze Flasche von demselben erhalten.«

      »Wie gut Sie sind! Und zu welcher Dankbarkeit Sie mich verpflichten, Herr Doctor!«

      Da trat die Kellnerin herein, um den ersten Gang aufzutragen. Das Essen begann. Man merkte, daß die Arme lange Zeit, vielleicht bereits seit mehreren Tagen nichts genossen hatte; aber sie aß mit einer wahrhaft rührenden Langsamkeit und Genügsamkeit. Sie verzehrte nur einen sehr kleinen Theil Dessen, was ihr vorgelegt wurde.

      Nach dem letzten Gange zog sich die Kellnerin zurück. Sie kannte die Verhältnisse nicht und warf beim Hinausgehen einen stolzen, verächtlichen Blick auf das irre geleitete Mädchen.

      »Wie bin ich satt, so satt, wie fast seit Monaten nicht!« sagte die Tochter des Wachtmeisters. »Aber Ihre Frau Gemahlin kommt noch immer nicht!«

      »Sie wird uns nicht mehr lange warten lassen,« antwortete er. »Machen wir es uns bis dahin möglichst bequem.«

      Er erhob sich von seinem Stuhle und ließ sich ohne Umstände auf dem Sopha neben ihr nieder. Ueber ihr Gesicht zuckte es wie ein tiefer Schreck bei dieser unerwarteten Annäherung.

      »Nein, nein; so nicht!« sagte sie. »Ihre Frau Gemahlin darf uns doch nicht so erblicken. Erlauben Sie, daß ich mich auf den Stuhl setze.«

      Sie wollte aufstehen; er aber ergriff ihre Hand, so daß sie ihre Absicht nicht auszuführen vermochte.

      »Bleiben Sie; bleiben Sie getrost!« sagte er. »Meine Frau wird uns nicht überraschen. Ahnen Sie denn wirklich noch immer nicht, daß ich gar nicht verheirathet bin?«

      Sie erbleichte und entriß ihm ihre Hand.

      »Nicht – nicht verheirathet?« fragte sie. »Sie haben mir also die Unwahrheit gesagt? Sie habe mich belogen!«

      »Und ahnen Sie noch immer nicht,« fuhr er lachend fort, »daß ich hier gar nicht wohne? Wir haben in der Restauration gespeist!«

      Da stand sie auf und sagte in ernstem, vibrirendem Tone:

      »Mein Herr, es ist unwürdig von Ihnen, mit dem Unglücke


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