Trotzdem: Was uns zusammenhält. Группа авторов

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Im Zeichen des »Burgfriedens« schienen zeitweilig alle gesellschaftlichen Spaltungen – die konfessionellen, regionalen und sozialen – an Bedeutung zu verlieren. Aber je länger der Krieg dauerte und je deutlicher wurde, dass die politischen, militärischen und wirtschaftlichen Eliten keineswegs nur defensive Ziele verfolgten, desto stärker wuchs innerhalb der Sozialdemokratie der Widerstand gegen die im August 1914 eingeschlagene Parteilinie.

      Im April 1917 sammelten sich die Gegner weiterer Kriegskredite in der Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, der USPD. Ihre Gründer und Unterstützer entstammten zum größten Teil dem linken, orthodox marxistischen Flügel der Vorkriegspartei, der unbeirrt am Dogma des proletarischen Klassenkampfes festhielt. Daraus erklärt sich der oft übersehene, paradoxe Effekt der Parteispaltung von 1917: Sie ermöglichte es der Führung der Mehrheitspartei, ihre Zusammenarbeit mit den Parteien der bürgerlichen Mitte, dem Zentrum und der linksliberalen Fortschrittlichen Volkspartei, zu intensivieren und so den Übergang erst von der konstitutionellen zur parlamentarischen Monarchie im Oktober 1918 und dann, nach dem Sturz der Monarchie im Monat darauf, zur parlamentarischen Demokratie von Weimar vorzubereiten. Die Spaltung der sozialdemokratischen Arbeiterbewegung war mithin beides: eine schwere Vorbelastung und zugleich eine Vorbedingung der ersten deutschen Demokratie, wie sie aus der Revolution von 1918/19 hervorging.

      Weimar: die vorbelastete Republik

      Für die große Mehrheit der Deutschen ging es 1918/19 um mehr Demokratie: um das Frauenwahlrecht, das allgemeine gleiche Wahlrecht auch in den Einzelstaaten, Kreisen, Gemeinden und Kommunen, um die volle Durchsetzung der parlamentarischen Verantwortung der Regierungen.

      Deutschland kannte zudem seit rund einem halben Jahrhundert, wenn auch nur auf Reichsebene, die Tradition des allgemeinen gleichen Wahlrechts für Männer und damit ein kräftiges Stück Demokratie. In den Ruf »Alle Macht den Räten«, eine Umschreibung der Diktatur des Proletariats, stimmte deshalb nur eine Minderheit der Arbeiter ein. Für die große Mehrheit der Deutschen, einschließlich der Sozialdemokraten, ging es 1918/19 um mehr Demokratie: um das Frauenwahlrecht, das allgemeine gleiche Wahlrecht auch in den Einzelstaaten, Kreisen, Gemeinden und Kommunen, um die volle Durchsetzung der parlamentarischen Verantwortung der Regierungen. Es war das Programm, für das sich die Mehrheitssozialdemokraten und die gemäßigten Parteien der bürgerlichen Mitte einsetzten, die nach den Wahlen zur Verfassunggebenden Nationalversammlung am 19. Januar 1919 die erste Koalitionsregierung der Weimarer Republik bildeten.

      Als stärkste Vorbelastung des jungen Staates erwies sich seine Geburt aus der Niederlage. Die anfängliche Popularität der Demokratie erklärte sich aus der Hoffnung der meisten Deutschen, durch den Bruch mit der Monarchie in den Genuss eines milderen Friedens zu gelangen. Der Vertrag von Versailles enttäuschte diese Hoffnung. Die nationalistische Rechte begann bereits 1919, Kräfte zu sammeln für den Kampf gegen die angeblich undeutsche Demokratie, die Staatsform der westlichen Siegermächte, die diese den Deutschen nur infolge marxistischen oder jüdischen Verrats, eines »Dolchstoßes« in den Rücken des »im Felde unbesiegten« Heeres, hätten aufnötigen können. Am extremsten betrieb diese Propaganda die 1920 in München gegründete Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei, die jedoch bis Ende der 1920er-Jahre über den Status einer Splitterpartei nicht hinauskam. Ihr Aufstieg zur Massenpartei begann erst, als die Zeit der guten Konjunktur im Herbst 1929 zu Ende ging und die Welt in eine lang anhaltende tiefe Depression zu schlittern begann.

      Ende März 1930 scheiterte die letzte parlamentarische Mehrheitsregierung der Weimarer Republik – ein Kabinett der Großen Koalition, das von den Sozialdemokraten bis zur unternehmerfreundlichen Deutschen Volkspartei reichte – an einem Streit um die Sanierung der Arbeitslosenversicherung. Der Bruch der Großen Koalition bedeutete die Selbstentmachtung des Reichstags. Zum eigentlichen Gesetzgeber wurden seit dem Sommer 1930 Präsidialkabinette, die mithilfe von Notverordnungen des Reichspräsidenten regierten.

      Mithilfe eines extremen Nationalismus versuchte Hitler, alle gesellschaftlichen Spaltungen vergessen zu machen. Der pluralistischen Demokratie stellte er die von einem starken Führer gelenkte Volksgemeinschaft entgegen: ein Versprechen, das vor allem in den Mittelschichten Zustimmung fand, die sich von den Klassenkampfparolen der Linken wie von der Macht des Großkapitals bedroht fühlten.

      Aus den Reichstagswahlen vom 14. September 1930 gingen Adolf Hitlers Nationalsozialisten als die zweitstärkste Partei hervor. Ihr »Führer« verstand es höchst wirkungsvoll, an die verbreiteten Ressentiments gegenüber der gescheiterten parlamentarischen Demokratie und gleichzeitig an den seit Bismarcks Zeiten verbrieften Teilhabeanspruch des Volkes in Gestalt des allgemeinen Wahlrechts zu appellieren, das von den Präsidialkabinetten weithin um seine Wirkung gebracht wurde. Hitler wurde damit zum Hauptnutznießer der ungleichzeitigen Demokratisierung Deutschlands vor 1918: der frühen Demokratisierung des Reichstagswahlrechts und der späten Parlamentarisierung im Zeichen der Niederlage. Mithilfe eines extremen Nationalismus versuchte er, alle gesellschaftlichen Spaltungen – die konfessionellen wie die sozialen und die regionalen – vergessen zu machen. Der pluralistischen Demokratie stellte er die nationalsozialistische, von einem starken Führer repräsentierte und gelenkte Volksgemeinschaft entgegen: ein Versprechen, das vor allem in den Mittelschichten Zustimmung fand, die sich von den Klassenkampfparolen der Linken wie von der Macht des Großkapitals bedroht fühlten.

      Seine Ernennung zum Reichskanzler verdankte Hitler aber nicht einem überragenden Wahlsieg. Bei der zweiten Reichstagswahl des Jahres 1932, die am 6. November stattfand, hatte seine Partei gegenüber der vorangegangenen Wahl vom 31. Juli sogar über zwei Millionen Stimmen und von 230 Abgeordneten 34 verloren, während die Kommunisten rund 700 000 Stimmen hinzugewannen und auf die magische Zahl von 100 Mandaten kamen. Seitdem wuchs in Deutschland die Angst vor der roten Revolution und dem Bürgerkrieg, und diese Angst spielte eine große Rolle bei den Bemühungen von Teilen der alten Machtelite – darunter konservative Politiker, ostelbische Rittergutsbesitzer und führende Schwerindustrielle –, den greisen Reichspräsidenten von Hindenburg von der Notwendigkeit einer Kanzlerschaft Hitlers zu überzeugen.

      Am 30. Januar 1933 waren sie am Ziel. Mit der Berufung Hitlers zum Chef einer »nationalen Regierung«, in der die konservativen Minister in der Mehrheit waren, endete nicht nur die Weimarer Demokratie. Die Machtübertragung an den Führer der NSDAP bedeutete auch den radikalen Bruch mit dem, was Deutschland schon lange vor 1918 gewesen war: ein Rechts- und Verfassungsstaat. Es begannen die zwölf Jahre einer totalitären Diktatur, an deren Ende im Mai 1945 nichts so ungewiss war wie die Antwort auf die Frage, ob die Deutschen jemals wieder in einem gemeinsamen Staat zusammenleben würden.

      Die gespaltene Nation 1945–1990

      Dass Deutschland in den Jahren nach 1945 in zwei Staaten geteilt wurde, war keine Folge der Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die das Land unter der Führung der Nationalsozialisten im Zweiten Weltkrieg begangen hatte, also auch nicht des schrecklichsten dieser Verbrechen, der Ermordung der europäischen Juden. Deutschland wurde vielmehr geteilt, weil die vier Alliierten – die USA, die Sowjetunion, Großbritannien und Frankreich – sich nicht über die Zukunft Deutschlands einigen konnten.

      Die Spaltung Deutschlands bewirkte die Entstehung von zwei extrem unterschiedlichen Gesellschaftssystemen und politischen Kulturen. Die westlichen Besatzungszonen, die spätere Bundesrepublik Deutschland, erhielten die Chance, aus den Fehlern von Weimar zu lernen und eine neue, funktionstüchtige, wehrhafte, pluralistische Demokratie aufzubauen, die sich auf den breiten antitotalitären Konsens der Schöpfer des Grundgesetzes von 1949 stützen konnte. In der Sowjetischen Besatzungszone, der späteren Deutschen Demokratischen Republik, wurde ein Antifaschismus kommunistischer Prägung zur Staatsdoktrin. Sie diente der Rechtfertigung eines Systems,


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