Lill. Der Roman eines Sportmädchens. Rudolf Stratz

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Lill. Der Roman eines Sportmädchens - Rudolf Stratz


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nochmals ein neues Spiel: Lills Schatten, die Mab, zitterte vor Aufregung. Das war, wenn es gut ging, die Entscheidung.

      „Lill und Orff führen sechs zu fünf!“ keuchte sie. „Noch ein einziges Spiel und sie haben das Turnier gewonnen.“

      „Na — den Ball da nimmt die Lill nicht!“ sagte die Herold hoffnungsvoll. Der Ball nahte in einem hohen Bogen über das Netz. Orff war hinten ganz in der anderen Ecke.

      „Hopla, Lill!“ keuchte er. Lill nahm alle Kraft zusammen. Sie schnellte, den Kopf im Nacken, wirbelnd in die Höhe. Sie renkte den Arm mit dem Schläger fast aus dem Schultergelenk. Sie fasste den Ball oben in der Luft und setzte ihn steil abwärts über das Netz dem heranstürmenden Gegner glatt vor die Füsse. Ein Brausen. Zwei Sätze gewonnen. Endgültiger Sieg für Orff und Partnerin.

      Lill stand lachend und aufgeregt, einen weissen Flauschmantel umgehängt, mit zerzaustem Haar, nasser Stirn und heissen Backen, und schüttelte rings Hände. Der einzige, der sie nicht beglückwünschte, war Robby Orff selber. Der sagte nur freundschaftlich und vertraulich, halblaut:

      ,,Sie sollten wirklich ’mal Tennis spielen lernen, Fräulein Bödiger! Es ist ein so gesunder Sport!“

      Lill antwortete nicht erst. Sie ging verächtlich fort.

      „Das ist ’n Kerl!“ sagte sie zu ihren Freundinnen. „Den möchť ich ausgestopft zu Weihnachten! Ich hätt’ ihm eben am liebsten die Zunge ’rausgesteckt! Aber man muss so Leute nicht verwöhnen!“

      „Das heisst: boxen möchť ich mit ihm nicht!“ Sie schmiss sich lang auf einen Strohstuhl und streckte erschöpft die Beine von sich, so weit sie konnte. „Dem sein Bizeps — na danke! Das merkt man schon an seinem Tennisschlag . . . . Jesus: Ich hab’ doch gedacht, der Unglücksmensch wär’ weggegangen!“

      „Wer? Orff?“

      „Ach wo! Der Tollhausdirektor! Aber der hat’s auf mich abgesehen! Da kommt er!“

      Lill sprang auf. Quer über den Rasen nahte der kleine, unscheinbare Herr von gestern abend, mit dem für den dürftigen Körper zu grossen Kopf und der etwas zu hohen rechten Schulter. Er war unauffällig, ganz dunkel, gekleidet. Er lüftete den breitrandigen Schlapphut von dem mächtig gewölbten Schädel, dessen Glatze ein schwarzer Kräuselkranz umbuschte. Sein fein geformtes, kränkliches Gesicht mit dem schwarzen Schnurrbärtchen lächelte still und humoristisch. In den grossen, dunklen Augen blieb dabei ein ernster, merkwürdig wissender Ausdruck. Er schien erst Mitte der Dreissig. Aber er musste wirklich schon berühmt sein. Alles sah sich nach ihm um.

      Lill ging ihm zögernd entgegen. Sie wurde flüchtig rot und dadurch auf einmal besonders hübsch. Sie lachte halb und verwirrt. Sie bot dem Irrenarzt liebenswürdig die Hand.

      „Verzeihen Sie nur, dass ich Sie für verrückt gehalten habe!“ sagte sie schnell und herzlich.

      Der kleine Herr vor ihr lachte auch. Es stimmte nicht zu seinen etwas müden, zarten Zügen und den frühen, grüblerischen Fältchen auf der hohen, gebuckelten Stirn.

      „Ich Sie ja auch!“ sagte er mit einer weichen und leisen, etwas leidenden Stimme, während er Lill freundlich die Rechte drückte. Es fiel ihr auf, was er für eine schöngeformte, kleine Hand hatte. Er fuhr gedämpft fort: „Es war da, wie immer in solchen Fällen, ein Rattenkönig von Missverständnissen. Wir erwarteten die Ankunft einer neuen Patientin. Ich bildete mir ein, das wären Sie . . .“

      „Tausend Dank, Herr Doktor! Aber ich hab’ noch Zeit!“

      „. . . und nahm mich Ihrer an, bis mir mein Assistent ins Ohr flüsterte, Sie seien ein unbekannter Eindringling . . .“

      ,,Rauchen Sie?“ Lill klappte ihr Silberdöschen auf.

      „Danke! Ich bin gegen alle Kulturgifte! Daraufhin ging ich . . .“

      „. . . und überliessen dem anderen Herrn meinen Hinauswurf! . . . Erlauben Sie, dass ich meinen Schornstein aufmache?“ Lill knipste geübt Feuer aus dem Benzinbüchschen. „Nach dem Spiel hat man nämlich so ein Kribbeln in den Nerven!“

      „Bitte, gnädiges Fräulein! Mein Erstes war natürlich heute, mich bei Ihnen zu entschuldigen! Man wies mich in Ihrem Hotel hierher!“

      „Wir müssen Ihnen doch grässlich vorkommen, wie wir hier so in einem fort ’rumhopsen — nicht?“ frug Lill und wehte besorgt, gleich einer Krankenpflegerin, mit ihrer langen, weissen, nervigen Sporthand den Rauch von dem bleichen Kopf des kleinen Doktors.

      ,,Ich versteh’ davon nicht das geringste! Ich bekam nur einen neuen Schrecken, als ich hörte, dass mein Anblick Sie beim Spiel störte!“

      „Ja — nicht wahr? Ich hab’ anfangs den zweiten Satz gespielt wie ein Affe!“

      „Es tut mir wirklich furchtbar leid! . .“

      „Aber nachher kam ich ja gerade in Form“, Lill warf begeistert in weitem Bogen den Zigarettenstummel in das Gras, ihr hübsches, junges Gesicht strahlte, „. . . und hab’ der Mitwelt gezeigt, wie man Tennis spielt! Es ist keine Kleinigkeit, mit Orff zusammen zu gewinnen!“

      „Wer ist denn Herr von Orff?“

      „Gott — so ein Kraftmensch! Ich kenn’ ihn nicht näher! Hab’ auch kein Verlangen! . . . Aber Ihnen bin ich wirklich dankbar, Herr Doktor! Ich steh’ jetzt gross da!“

      „Nun — da wünsche ich Ihnen auch weiter gute Erfolge!“ sagte Dr. Hormuth und stand auf. Lill schüttelte ihm die Hand. Es war ein Druck, fest und frisch wie von einem zutraulichen Knaben.

      „Nun kommt bald der Winter!“ sagte sie. „Da hat’s mit dem Tennis so ziemlich geschnappt.“

      „Und was machen Sie dann?“

      „Na — ich reite doch! Haben Sie niemals meinen Namen als Turnierreiterin in der Zeitung gelesen?“

      „Leider nicht, gnädiges Fräulein! Ich habe andere Interessen.“ Der kleine, verwachsene Mann schaute ihr sanft lächelnd in das rosig-glatte Gesicht.

      „Na ja — das war auch wieder ’ne geistreiche Frage von mir!“ Lill ging neben dem Irrenarzt über den Platz. „Ja . . . Turnierreiterin . . .Wissen Sie — nicht so Dressurprüfungen und so zahme Sachen, sondern Hindernisspringen — tüchtig . . .“

      „Ist das nicht sehr gefährlich?“

      „Das sagte mein alter Herr auch! Der war wahnsinnig zäh und murmelte immer was von einziger Tochter und mal Genick brechen . . . Aber zu meinem einundzwanzigsten Geburtstag — vor ’nem Jahr — hab’ ich ihm doch ein Springpferd abgebettelt . . . den ,Zappelphilipp’ vom ,Kraftmeier’ und der ,Zirkusprinzessin’ . . . ein sechsjähriger, brauner Hengst — ein Kerlchen wie Gold — — Gescheiter als wir alle! Also süss! Wir lieben uns so sehr!“

      „Und auf dem reiten Sie . . .?“

      „Natürlich reiť ich im Jungensitz! In drei Wochen ist in Berlin wieder der grosse Concours hippique! Wenn ich nicht zuviel Kleinholz mit der Hinterhand mache . . . Warum lachen Sie denn?“

      „Weil ich mich über Sie freue . . .“, sagte der kleine blasse Gelehrte und hielt noch einmal ihre Rechte zum Abschied fest. „Sie sind so jung — so gesund — so kräftig — so lebensfroh — genau das Gegenteil von dem, was ich tagaus, tagein zu sehen bekomme . . .“

      „Dann kann es Ihnen doch nicht gefallen?“

      „Doch. Sehr!“ Der Irrenarzt nickte und schaute ihr noch einmal warm und freundlich ins Gesicht. „Hier bei Ihnen draussen sind die gesunden Körper. Und ich komme von den kranken Seelen! Es ist ein merkwürdiger Gegensatz. Er ist mir selber eine Offenbarung.“

      „Ich glaube wirklich, Sie sind ein guter Mensch, dass Sie uns auch gelten lassen!“ sagte Lill. „Sie haben so was Mildes . . . der Sport macht einen so dickfellig!“

      „Ich habe wenigstens keinen Neid.“ Der kleine Herr mit der zu hohen Schulter knöpfte still seinen Mantel zu, den er


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