Eine Frau von dreißig Jahren. Marie Louise Fischer

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Eine Frau von dreißig Jahren - Marie Louise Fischer


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      Marie Louise Fischer

      Eine Frau von dreißig Jahren

      SAGA Egmont

      Eine Frau von dreißig Jahren

      Eine Frau von dreißig Jahren (Eine Frau über dreißig)

      Copyright © 2017 by Erbengemeinschaft Fischer-Kernmayr, (www.marielouisefischer.de)

      represented by AVA international GmbH, Germany (www.ava-international.de)

      Originally published 1979 by Lübbe Verlag, Germany

      Genehmigte eBook Ausgabe für Lindhardt og Ringhof Forlag A/S

      All rights reserved

      ISBN: 9788711718728

      1. Ebook-Auflage, 2017

      Format: EPUB 3.0

      Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für andere als persönliche Nutzung ist nur nach Absprache mit Lindhardt og Ringhof und Autors nicht gestattet.

      SAGA Egmont www.saga-books.com und Lindhardt og Ringhof www.lrforlag.dk – a part of Egmont www.egmont.com

      I

      Die Dämmerung des Vorfrühlingstages sank rasch herab.

      Als Verena van den Berg aus der Straßenbahn stieg, hatten die Schatten auch den letzten Sonnenkringel schon verschlungen. Grau und rauchgeschwärzt drängten sich die schmalen Häuser der Vorstadtstraße aneinander, dazwischen klammerten sich groteske Ruinen, schoben sich aufdringlich die hellen kahlen Fassaden von Neubauten, deren billiger Verputz bereits die ersten dunklen Flecken aufwies.

      Verena war dieser trostlose Anblick so vertraut, daß er ihr gar nicht mehr bewußt wurde. Die Schultern leicht vornübergebeugt, die Mappe mit den Manuskripten unter den Arm geklemmt, bahnte sie sich mit weit ausholenden Schritten ihren Weg durch die hastenden Menschen, die, gleich ihr von der Arbeit kommend, ihrem Zuhause zustrebten.

      Im Vorbeigehen musterte sie die Auslagen der Geschäfte und überlegte, was sie ihrer Freundin mitbringen sollte. Sie hatte heute ihr Gehalt bekommen, und das war in den drei Jahren, seit sie mit Ina Bongard zusammen lebte, immer Anlaß zu einer kleinen häuslichen Feier gewesen.

      Aber die Wahl war gar nicht so leicht, denn Inas Geschmack war grundverschieden von dem ihren. Endlich entschloß sie sich zu einer Flasche Ettaler Klosterlikör und erstand im Laden nebenan noch einen Strauß goldgelber Narzissen.

      Bevor sie die Haustür aufschloß, warf sie noch einen Blick durch das Schaufenster in Inas Leihbuchhandlung.

      Der Laden war voller Kunden, das Geschäft ging gut; kein Wunder in einem Viertel, in dem die Menschen eng beisammen wohnten, in düsteren Altbauwohnungen oder in den ewig feuchten Zimmern von Neubauten, deren Wände keines der vielfältigen Geräusche des Hauses abfingen.

      Zu den wenigen Vergnügungen, die man sich gerade noch leisten konnte, gehörten der Kinobesuch und das Buch aus der Leihbücherei.

      Ina hatte alle Hände voll zu tun; sie bediente ohne hochzusehen.

      Verenas Blick glitt über die Auslage. Ina hatte neu dekoriert, stellte sie fest. Der Boden des Schaukastens war mit leuchtend grünem Kreppapier ausgelegt, von dem sich die bunten Umschläge der Bücher prächtig abhoben. In der Mitte der Auslage lockten drei Bestseller, dicke Wälzer, die, wie Verena wußte, von vielen Kunden verlangt wurden und meist schon auf Wochen hinaus vorbestellt waren. Links davon lagen einige der üblichen Frauenromane, wie zufällig aus der Hand gelegt, in Wahrheit aber mit großer Raffinesse gerade so und nicht anders verteilt. Rechts gab es eine Gruppe von Kriminalromanen und Western.

      Sehr hübsch hat sie das gemacht, dachte Verena anerkennend und trat einen Schritt zurück, um das Bild noch besser überschauen zu können.

      Als sie aufsah, begegnete ihr Blick Inas lächelnden Augen. Verena wies auf die Auslage und spendete der Freundin stummen Applaus. Ina dankte mit einer Kußhand.

      Dann schob sich ein dicker Herr zwischen die beiden, und Verena wandte sich ab.

      Ich freu’ mich auf heute abend, dachte sie, als sie die Treppe zum ersten Stock hinaufstieg und die Wohnungstür aufschloß.

      Sie knipste das Licht in der fensterlosen kleinen Diele an, schloß die Tür hinter sich und blieb aufatmend stehen.

      Sie war zu Hause.

      Dann legte sie ihre Einkäufe und die Mappe auf die Rosenholztruhe, hing ihren Mantel über einen Bügel und sah in den Spiegel.

      In dem schmeichelnden Licht des rosa beschirmten Lämpchens wirkte ihr Gesicht jung, weich und gelöst. Die scharfen Fältchen um die Mundwinkel schienen geglättet, die steile senkrechte Falte über der Nasenwurzel ausgelöscht. Blau strahlten ihre dunklen Augen unter dem tiefbraunen Haar. Verena lächelte sich mit schimmernden Zähnen zu, dann schnitt sie sich, halb beschämt, eine rasche Grimasse und wandte sich ab.

      Sie ging ins Schlafzimmer, wechselte die Schuhe, ließ die Jalousien vor allen Fenstern herunter, zog die Vorhänge zu und knipste die Stehlampe im Wohnzimmer an. Den Lampenschirm hatten die beiden Freundinnen selbst bemalt und gebastelt, ganz akkurat war er nicht geworden, aber jedesmal wieder freute sich Verena, wenn er das Licht warm und bunt in den Raum strahlen ließ.

      Sie stellte die Flasche Klosterlikör auf den niedrigen Tisch, zögerte einen Augenblick, dann holte sie sich ein Glas, tat einen guten Schluck Gin hinein, holte Sodawasser aus dem Eisschrank in der Küche und goß es dazu.

      Noch im Stehen nahm sie einen Schluck, ging mit dem Glas in der Hand ins Wohnzimmer zurück, setzte sich in ihren Lieblingssessel, streckte die Beine von sich und zündete sich eine Zigarette an. Sie schloß die Augen, entspannte sich und dachte eine Weile an gar nichts.

      Dann nahm sie einen zweiten Schluck, nicht mehr ganz so prickelnd, aber genauso anregend und erfrischend wie der erste, stellte mit der linken Hand das Radio an; und während gedämpfte Tanzmusik erklang, ihre Zigarette glühte und der Gin ihren Magen wärmte, fühlte sie sich einfach wohl.

      Die schönste Stunde des Tages, dachte sie etwas verschwommen, weil ich ganz allein bin … allein mit mir … bei mir selber. Ah, wie gut das tut … sehr, sehr gut! Wenn ich diese Stunde nicht hätte, ich glaube, ich würde irgendwann mal aus dem Fenster springen, bloß um allein zu sein … um zu mir selber zu kommen. Wie Menschen das aushalten können, nie für sich zu sein. Vielleicht … wer weiß, so schlimm wird es eben doch nicht sein. Man gewöhnt sich wohl daran. An was gewöhnt man sich denn nicht? Aber ich bin froh, daß es so ist, wie es ist, daß ich es so haben kann. Und eigentlich ist es doch bloß schön, weil ich weiß, daß Ina gleich heraufkommen wird, daß wir beisammen sein werden, es gemütlich haben. Wenn niemand käme, wenn ich den ganzen Abend hier allein sitzen müßte, das wäre einfach zum Verrücktwerden. Immer allein … Nicht auszuhalten! Ich würde jeden Abend irgendwo hingehen … oder bloß spazieren, so durch die Straßen. Oder in die Kneipe … oder ins Kino. Schrecklich. Gar nicht auszudenken. Aber, wozu denke ich an so was? Ich brauche ja nicht allein zu sein. Ich habe Ina. Ina und ich gehören zusammen. Wir haben ein Heim, wir haben die ideale Lebensform gefunden. Die ideale Lebensform für zwei Junggesellinnen. Junggesellinnen … wie das klingt! Ganz komisch. Aber es stimmt. Es trifft den Nagel auf den Kopf. Wir sind Junggesellinnen, aber keine alten Jungfern, das ist ein himmelweiter Unterschied! Alte Jungfern …!

      Verena lachte leise in sich hinein, wies sich dann aber sofort mit strengem Gesicht zurecht: Verena, benimm dich! Was soll denn das!? Du kannst doch nicht einfach mutterseelenallein dasitzen und vor dich hinlachen! Mir scheint, du bist schon betrunken … von einem Glas Gin!

      Dann aber mußte sie doch wieder lachen. Ich freu’ mich auf heute abend, dachte sie, ich freu’ mich!

      Verena wußte,


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