James Bond 16: Kernschmelze. John Gardner

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James Bond 16: Kernschmelze - John  Gardner


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einem späten Nachmittag fand sich Bond im leeren Büchsenmacherraum ein. Er hatte den Bereich und den unterirdischen Schießstand ganz für sich allein, während er der anspruchsvollen Aufgabe nachging, von der sein Leben abhängen mochte.

      Daher war er überrascht, als sich genau in dem Moment, als er sich daranmachte, das Schmierfett von der Browning zu wischen, die Tür öffnete und Q’utie eintrat. Sie trug braunen Samt und sah darin besonders begehrenswert aus. Major Boothroyd, teilte sie Bond mit, habe vorgeschlagen, dass sie herkommen solle, um die Reinigung und Vorbereitung der Waffe zu beaufsichtigen.

      »Warum sollte er das tun?« Bond schaute kaum zu der jungen Frau auf, ihm war zum ersten Mal bewusst, dass ihre kühle Art eine direkte Herausforderung darstellte. Er hatte im Verlauf der vergangenen Tage hart gearbeitet und nun regte sich eine sinnliche Schlange in einer verborgenen Ecke seines Geistes. Q’utie würde eine entspannende Gesellschaft für den Abend darstellen. Q’utie schwang sich auf die hölzerne Werkbank, nachdem sie sich davon überzeugt hatte, dass die von ihr ausgewählte Stelle sauber war. »Der Waffenmeister gibt mir einen Schusswaffenkurs, wenn ich nicht im Dienst bin«, erklärte sie ihm. Zum ersten Mal bemerkte Bond, dass Q’uties Stimme ein wenig rau klang. »Ich bin nicht sehr gut im Umgang mit Handfeuerwaffen, und er meinte, Sie wären es. Er erwähnte, dass die Waffe außerdem ein altes Modell sei. Ich dachte nur, es wäre eine gute Idee, wenn Sie nichts dagegen haben.«

      Bonds starke, sichere Hände bewegten sich gekonnt, fast schon liebevoll über die Pistole, während er sie in stummer Routine auseinandernahm.

      »Also, haben Sie?«, fragte Q’utie.

      »Habe ich was?«

      »Etwas dagegen, dass ich zusehe?«

      »Keineswegs.« Er schaute zu der jungen Frau hoch, deren hübsches Gesicht hinter der großen Brille ungerührt blieb. »Es ist immer am besten, Waffen sorgfältig und sanft zu behandeln«, fuhr er lächelnd fort, während die Bewegungen seiner Hände an den Mechanismen zunehmend erotisch wurden.

      »Sorgfältig, natürlich.« In Q’uties Stimme schlich sich ein Hauch Sarkasmus. Dann wiederholte sie wie ein Papagei eine Stelle aus dem Ausbildungshandbuch des Secret Service: »›Waffen jeglicher Beschreibung sollten mit großer Sorgfalt und Respekt behandelt werden.‹ Treiben Sie es damit nicht ein wenig zu weit, Commander Bond?«

      Verdammt, dachte er. Q’utie war ein guter Spitzname für sie. Bond verlangsamte seine Handbewegungen und ließ dadurch zu, dass der Arbeitsvorgang an der Waffe noch ein wenig offensichtlicher wurde, während er stumm die Anweisungen wiederholte:

       »Kopf der Schließfederführung greifen, in Richtung Mündung drücken, um den Kopf der Führung zu lösen. Lauf vom Bodenstück abheben. Griff entfernen, um Zugang zum Hahn zu erhalten. Verschluß abnehmen, mit dem Schlagbolzen anfangen und dann normal weitermachen …«

      »Oh, ich bitte Sie, Commander Bond. Ein bisschen kenne ich mich mit Waffen schon aus. Außerdem glaubt heutzutage niemand mehr diesen Quatsch, dass Waffen Phallussymbole sind.« Sie warf den Kopf zurück und lachte kurz auf. »Hören Sie auf, bei dieser Waffe so zu tun, als würden Sie eine Frau ausziehen, falls Sie das meinetwegen tun. Ich habe nichts für diese Schundromane übrig, auf deren Covern Frauen auf riesigen Waffen sitzen oder sogar rittlings darauf reiten.«

      »Worauf stehen Sie denn dann, Q’utie?«, fragte Bond lachend.

      »Mein Name lautet Ann Reilly«, schnauzte sie. »Diesen albernen Spitznamen, den hier alle benutzen, kann ich nicht leiden.« Sie schaute ihm volle zwanzig Sekunden lang direkt in die Augen. »Und auf die Frage, was ich mag oder nicht mag – worauf ich stehe, wie Sie es ausdrücken –, kann ich nur antworten, dass Sie es vielleicht eines Tages herausfinden werden.« Sie lächelte nicht. »Ich bin eher daran interessiert, wie diese Automatikpistole funktioniert, warum Sie sie ausgewählt haben und woher dieses weiße Mal auf Ihrer Hand stammt.«

      Bond schaute ruckartig auf, jeglicher Humor wich aus seinen Augen und sein Blick wurde so eisig, dass er Q’utie beinahe Angst einjagte. »Jemand versuchte vor langer Zeit, clever zu sein«, sagte er langsam. Tief in seinem Geist erinnerte er sich sehr deutlich an all die Umstände, die zu der kosmetischen Operation geführt hatten, von der nur noch ein weißer Fleck zu sehen war, nachdem SMERSCH ihm den kyrillischen Buchstaben für SCH in den Handrücken geritzt hatte, um ihn als Spion zu kennzeichnen. Das war vor langer Zeit gewesen, aber die Erinnerung war noch so klar, als wäre es gestern geschehen. Er bemerkte die Kerbe, die er mit seiner scharfen Grausamkeit in Q’uties Abwehr geschlagen hatte. Es war vor so langer Zeit gewesen, dachte er: diese Sache mit Le Chiffre in Royale-les-Eaux, eine Frau namens Vesper – sie war etwa im gleichen Alter gewesen wie diese junge Frau, die auf der Werkbank saß und ihm ihre wohlgeformten Knie und Waden präsentierte – hatte nach dem Tod durch eine Überdosis Medikamente vor ihm gelegen, und ihr Körper unter den Laken hatte dem steinernen Abbild auf einem Grab geglichen.

      Die Kälte in Bonds Ausdruck verging. Er lächelte Q’utie an und richtete den Blick wieder auf seine Hände. »Ein kleiner Unfall – ich war unvorsichtig. Ich benötigte eine kleine Operation, das ist alles.« Dann machte er sich wieder daran, das Schmierfett von der Browning zu entfernen. Sämtliche Gedanken an einen kleinen Flirt mit der leitenden Mitarbeiterin der Q-Abteilung namens Ann Reilly waren verschwunden. Sie war relativ jung und musste die Gepflogenheiten der Geheimdienstwelt trotz ihrer elektronischen Effizienz erst noch lernen, entschied er.

      Als wollte sie die Stimmung aufbrechen, fragte sie ihn zaghaft: »Wie fühlt es sich an, wenn man jemanden tötet? Die Kollegen sagen, Sie hätten während Ihrer Zeit beim Service eine Menge Menschen töten müssen.«

      »Dann sollten die Kollegen nicht so viel reden.« Nun war es an Bond, patzig zu reagieren. Er setzte die Waffe jetzt wieder zusammen. »Beim Service gilt die Regel, dass jeder immer nur das Nötigste erfahren muss, um seine Arbeit erledigen zu können. Gerade Sie sollten wissen, dass man derartige Fragen besser nicht stellt.«

      »Aber ich muss es wissen.« Sie war nun ruhiger, legte aber eine Sturheit an den Tag, die Bond schon zuvor in ihren Augen wahrgenommen hatte. »Immerhin habe ich mit einem Teil der wichtigen technischen Spielereien zu tun. Sie sollten wissen, dass das auch geheime Tode einschließt – Tötungsmethoden, die sich nicht nachvollziehen lassen. In dieser Branche kommen Leute ums Leben. Ich sollte über das Endprodukt Bescheid wissen.«

      Bond hatte die Waffe wieder zusammengesetzt, bewegte den Mechanismus ein paar Mal vor und zurück und griff dann nach einem der Magazine, in dem sich sieben 9mm Browning-Long-Patronen befanden, die auf sechs Meter Entfernung ein gut zwölf Zentimeter dickes Brett aus Kiefernholz durchschlagen konnten.

      Er betrachtete das schlanke Magazin, dachte an seinen tödlichen Zweck und daran, was jedes der kleinen umhüllten Metallstücke darin einem Mann oder einer Frau antun konnte. Ja, überlegte er, Q’utie – Ann Reilly – hatte ein Recht darauf, es zu wissen. »Würden Sie mir behilflich sein?« Er nickte in Richtung einer Kiste auf der Werkbank. »Bringen Sie ein paar Reservemagazine mit. Wir müssen dieses kleine Spielzeug am Schießstand ausprobieren und dann können wir für heute Feierabend machen.«

      Sie nahm die Magazine und ließ sich von der Werkbank gleiten, wobei sie die Frage wiederholte: »Wie fühlt es sich an, einen Menschen zu töten?«

      »Während es passiert, denkt man nicht sehr ausgiebig darüber nach«, antwortete Bond tonlos. »Es ist ein Reflex. Man tut es, ohne zu zögern. Wenn man klug ist und weiterleben will, denkt man auch danach nicht darüber nach. Ich habe Männer gekannt, die Zusammenbrüche erlitten haben – und dann bei halber Rente in den Frühruhestand gehen mussten –, weil sie danach darüber nachgedacht haben. Es gibt nichts zu erzählen, meine liebe Q’u… Ann. Ich versuche, mich nicht daran zu erinnern. Auf diese Weise bleibe ich von der Realität des Tötens losgelöst.«

      »Und ist das der Grund dafür, dass Sie Ihre Pistole vor jemandem wie mir reinigen – sie ausziehen, als wäre sie eine Frau?«

      Er antwortete nicht darauf, und sie folgte Bond schweigend durch den Korridor, der zum Schießstand führte.

      Bond


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