Der Frauenarzt - Unterhaltungsroman. Marie Louise Fischer
Читать онлайн книгу.Frau!“
Er war erleichtert, als der Anästhesist eintrat, besprach den Fall kurz mit ihm.
Frau Rainer hatte schon seit längerer Zeit unter starken Blutungen gelitten, die ihr Arzt zunächst mit blutstillenden Mitteln behandelt hatte, bis es zu einem Kollaps kam. Als sie in die Frauenklinik eingeliefert worden war, hatte der Farbstoff der roten Blutkörperchen, das Hämoglobin, tatsächlich nur noch sechsundzwanzig Prozent betragen — sehr wenig, wenn man bedenkt, daß bei gesunden Frauen immerhin über achtzig Prozent nachweisbar sind. Durch den Mangel an roten Blutkörperchen war die Sauerstoffversorgung des Körpers stark gefährdet.
Zunächst hatte man eine Ausschabung vorgenommen, bei der man festgestellt hatte, daß die Ursache der Blutungen von einer Gebärmuttergeschwulst herrührte. Es handelte sich also in diesem Fall nicht um Krebs. Trotzdem blieb keine Wahl, als die Gebärmutter, die mit Muskelgeschwülsten durchsetzt war, herauszunehmen, weil auf andere Weise die Gefahr des Verblutens nicht gebannt werden konnte.
Um die Patientin operationsfähig zu machen, hatte Oberarzt Doktor Berg ihr täglich Bluttransfusionen verordnet, nicht zu viel, da sie die wenigsten Menschen vertragen und zu rasches Blutauffüllen außerdem die Blutungsneigung fördert.
Noch während Dr. Berg mit ihm sprach, begann der Anästhesist damit, die Patientin zu untersuchen, um sich mit ihrer körperlichen Verfassung vertraut zu machen.
Im Waschraum schütteten indes Dr. Gorski und Dr. Hartenstein starken Kaffee in sich hinein, auch der Oberarzt trank zwei Tassen, bevor er daran ging, sich mit geübten Bewegungen Hände und Unterarme zu bürsten. Die beiden anderen Ärzte folgten seinem Beispiel. Sie alle trugen jetzt weiße Hosen, Unterhemd, darüber eine Gummischürze. Eine junge Schwester setzte ihnen die grünen Mützen auf den Kopf, band ihnen den Mundschutz, die „Schnauze“ vor, hinter der sie während der Operation atmen mußten, desinfizierte ihnen die Hände mit Alkohol.
Dr. Berg warf immer wieder einen Blick durch die große Glasscheibe in den Operationssaal, wo die Patientin inzwischen aufgelegt worden war. Der Operationstisch, mit grünen Tüchern abgedeckt, stand mitten im Raum, direkt unter der vielstrahligen Lampe, die ein grünviolettes Licht ausstrahlte.
Schwestern in langen weißen Mänteln, das Haar mit Tüchern fest eingebunden, huschten umher und enthüllten das steril verpackte Operationsbesteck.
Heute empfanden alle, auch Dr. Klaus Berg, eine gewisse Nervosität.
Er atmete tief durch. „Also gehen wir’s an!“ sagte er — ein deutlicher Unterton von Besorgnis schwang in seiner Stimme.
Dr. Gorski meinte: „Leicht vergrößerter Uterus, was soll das schon? Ist doch schließlich kein Kunststück!“
Der Oberarzt sah ihn an. „Ich stimme mit deiner Diagnose nicht überein, Günther. Aber wir werden ja sehen!“
Als die Ärzte in den OP traten, hatte der Anästhesist Frau Rainer die Spritze zur Einleitung der Narkose schon gegeben und eine Blutkonserve mit ihrer Armvene verbunden. Jetzt öffnete er ihr mit einem Spatel den Mund, schob ein elastisches Rohr in die Luftröhre, um sie künstlich beatmen zu können.
Der schwarze Atemballon füllte sich, erschlaffte, füllte sich wieder, erschlaffte. Die Beatmungspumpe zischte leise.
„Können wir?“ fragte Dr. Berg.
Die Ärzte nahmen Aufstellung am Operationstisch — Berg auf der linken, Gorski auf der rechten Seite der Patientin, Hartenstein zwischen ihren Beinen.
Die OP-Schwester reichte Dr. Berg das Skalpell; ohne zu zögern führte er den ersten Schnitt bogenförmig quer durch die Haut.
Blutgefäße spritzten, wurden mit kleinen Klemmen gefaßt.
Der nächste Schnitt durchtrennte das Fett des Unterhautgewebes. Die abgeklemmten Blutgefäße wurden unterbunden, alles ging schnell, geübt, schweigend vor sich.
Mit einem größeren Skalpell durchtrennte Dr. Berg die Bauchmuskulatur, erst mit einem Querschnitt, dann mit einem Längsschnitt.
Ohne den Anästhesisten anzusehen, für den diese Bemerkung bestimmt war, sagte er: „Wir öffnen das Bauchfell!“
Er wartete einige Atemzüge lang, bis der Narkosearzt durch die Gabe bestimmter, schnell wirkender Mittel eine völlige Erschlaffung der Patientin herbeigeführt hatte. „Jetzt!“ sagte er.
Dr. Berg durchschnitt das Peritoneum, den letzten Schutz der Eingeweide. Die genau dosierte Narkose sorgte dafür, daß der Darm, der sich sonst aufgebläht hätte, zurücksank.
Die OP-Schwester reichte heiße Tücher, mit denen Berg das große Netz und die Vielfalt der Darmschlingen nach oben schob und feststopfte und so das kleine Becken, in dem die Gebärmutter lag, zur Operation frei bekam.
Der Uterus, der bei einer gesunden Frau nicht größer als ein Hühnerei ist, war kindskopfgroß, die Oberfläche nicht glatt, wie normal, sondern grobhöckerig, knollig.
Es bereitete Dr. Berg keine Genugtuung, daß er Dr. Gorski gegenüber recht behalten hatte. Lieber wäre es ihm gewesen, sich dieses eine Mal geirrt zu haben.
Immerhin konnte er mit Erleichterung feststellen, daß Eierstock und Eileiter keine krankhaften Veränderungen aufwiesen.
Mit der Uteruszange erfaßte er die unheimlich vergrößerte Gebärmutter, zog sie aus ihrer Lage heraus. Die Mutterbänder, die sich rechts und links von der Gebärmutter zur Beckenwand ziehen und zu ihrer Befestigung dienen, spannten sich. Klemmen wurden gesetzt, sorgfältig an ihnen langgeschnitten, mit Catgut unterbunden.
Rechts ein Stück, links ein Stück, so arbeitete sich Dr. Berg langsam in die Tiefe, gelangte in das Gebiet der Uterina, der sehr starken Arterie, die die Gebärmutter mit Blut versorgt.
Er grub, unter dem Mundschutz, die Zähne in die Unterlippe. Jetzt mußte seine Hand ganz sicher sein! Wurde die Uterina angeschnitten oder nicht richtig unterbunden, so konnte das den sofortigen Verblutungstod der Patientin zur Folge haben.
Sorgfältig legte er die Klemme an, unterband zur Sicherheit mit Seide — der Faden durfte auf keinen Fall reißen. Er saß!
Auf der Seite von Dr. Gorski hatte die Klemme nicht genau gesessen. Der Seidenfaden, der den Gewebestumpf, in dem die Uterina saß, umfassen und unterbinden sollte, rutschte ab.
Hoch im Bogen spritzte das rote Blut aus dem Gefäß.
Mit eiserner Ruhe beherrschte Dr. Berg die Situation. „Schwester, Tuch!“
Er drückte das kräftig aufsaugende Tuch in den Blutsee, suchte sich zu orientieren, fand das spritzende Gefäß, brachte es fertig, die Klemme darauf zu setzen. Die Blutung kam zum Stillstand. „Schwester, Seide!“
Dr. Berg unterband den Schnitt, atmete auf. Schweiß rann ihm von der Stirn. Die Operation dauerte jetzt schon fast eine Stunde.
Aber dann war es soweit. Die Gebärmutter war von den Mutterbändern befreit, hing jetzt nur noch am Gebärmutterhals. Mit einem scharfen Schnitt wurde er durchtrennt.
Dr. Gorski hob die Gebärmutter heraus, während Dr. Berg den Cervixstumpf vernähte, das Wundgebiet überprüfte: keine Blutung mehr!
Mit raschen Stichen vernähte der Operateur das Bauchfell. Jetzt sah das Wundgebiet wieder glatt aus.
„Wie geht es der Patientin?“ fragte der Oberarzt ohne aufzusehen.
„Nicht besonders“, antwortete der Anästhesist.
Dr. Berg arbeitete noch rascher. Er wußte, was diese Auskunft bedeutete. Es stand schlecht um die Patientin, äußerste Eile war geboten.
Er riß die Tücher, die er zum Abstopfen verwendet hatte, aus dem Bauchraum, befahl: „Zählen!“
Hinter ihm gab es ein Rennen und Getuschel, offensichtlich waren neue Blutkonserven eingetroffen.
Der Anästhesist kämpfte um das Leben der Patientin. Der Blutdruck war gesunken. Er beschäftigte Schwestern, die Ampullen öffneten