Der Frauenarzt - Unterhaltungsroman. Marie Louise Fischer

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Der Frauenarzt - Unterhaltungsroman - Marie Louise Fischer


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werde einmal sehen . . .“

      Er ging über den roten Läufer nach hinten, öffnete die Tür, steckte den Kopf hinaus.

      „Wie kann Klaus mir nur so etwas antun“, sagte Vera gepreßt.

      „Er wird bestimmt gleich da sein“, versuchte Claudia Hartwig sie zu trösten.

      „Das sagst du schon seit einer Viertelstunde!“

      Der Standesbeamte kam zurück.

      „Wir haben Glück“, sagte er, „das nächste Brautpaar ist schon da. Ich werde diese Herrschaften also erst trauen, und dann kommen Sie an die Reihe . . . bis dahin wird der Bräutigam ja bestimmt eingetroffen sein!“

      Vera sprang auf. „Wir sollen wieder gehen?“ rief sie.

      „Ja. Nur auf den Flur. Sonst kommt mein ganzes Tagesprogramm durcheinander.“

      „Was für eine Blamage“, sagte Vera unterdrückt, während sie am Arm ihres Vaters das Trauungszimmer verließ.

      „Mir macht etwas anderes viel mehr Sorge“, sagte der Professor, „was wird aus der kirchlichen Trauung? Die können wir nicht verschieben!“

      „Sie ist ja erst für zehn Uhr angesetzt“, erinnerte ihn seine Frau, „bis dahin schaffen wir es leicht, selbst wenn sich Klaus um eine halbe Stunde verspäten sollte!“

      Vera löste sich von ihrem Vater. „Tut mir leid, aber ich halte es hier in diesem engen Flur nicht aus. Wenn wir noch eine Minute hierbleiben, werde ich hysterisch. Ich brauche Luft!“

      Sie ging mit wehendem Schleier auf die Haustür zu. Die Eltern wechselten hinter ihrem Rücken einen besorgten Blick, bevor sie ihr folgten.

      Der Tag draußen war sonnig und klar. Von der Hochstraße tönte der Lärm des Großstadtverkehrs herüber, aber hier, nahe beim Hofgarten, war es sehr still. Einige Kinder spielten unter den grün belaubten Bäumen. Die Neugierigen hatten sich verlaufen.

      Vera wandte sich um, lächelte ihren Eltern tapfer zu. „Seid mir nicht böse! Jetzt geht’s mir schon besser!“

      „Ein Taxi!“ rief Claudia Hartwig.

      Vera war sofort wieder obenauf. „Das ist Klaus!“ rief sie. „Er hat mit seinem Auto eine Panne gehabt . . . mein Gott, und ich habe mich schon so gesorgt!“

      Sie rannte die Stufen hinab, das Taxi hielt.

      Aber es war nur Dr. Gorski, der ausstieg. Sein Gesicht war blaß.

      „Wo ist Klaus?“ rief Vera. Sie packte Gorski bei den Schultern, schüttelte ihn. „Warum hast du ihn nicht mitgebracht?“

      Günther Gorski sah über ihre Schulter hinweg auf das Schild des Standesamtes. „Es tut mir schrecklich leid“, sagte er trocken, „Klaus läßt sich entschuldigen . . .“

      Vera Hartwigs frisches Gesicht wurde von einer Sekunde auf die andere so weiß wie ihr Brautkleid. „Klaus . . . kommt nicht?“ stieß sie fast tonlos hervor.

      Mit wenigen Schritten war Claudia Hartwig an Veras Seite, legte mit einer schützenden Geste den Arm um ihre Tochter. „Bitte, Liebling, reg dich nicht auf! Ein Mißverständnis . . . Klaus wird bestimmt gleich . . .“ Auch ihr versagte die Stimme.

      Unendliches Mitleid mit ihrer Tochter erfaßte sie. Sie hätte alles darum gegeben, Vera diese maßlose Enttäuschung zu ersparen oder sie wenigstens zu lindern, aber in diesem Augenblick war sie selbst völlig hilflos. So beschränkte sie sich darauf, Vera in die Arme zu ziehen, sie zu streicheln wie ein Kind, das sich verletzt hat.

      Professor Hartwig nahm Gorski beiseite. „Also . . . was gibt’s?“ fragte er rauh. „Raus mit der Sprache, aber ehrlich!“

      „Die Patientin hat einen Rückfall erlitten, und der Oberarzt hielt es für unumgänglich . . . er hat mich vorgeschickt, um . . .“

      Professor Hartwig hörte gar nicht zu. Er hob die Hand und winkte seinem Fahrer. „Ich werde zur Klinik fahren“, sagte er entschlossen.

      Vera löste sich von der Mutter, wandte ihrem Vater das weiße Gesicht mit den brennenden Augen zu. „Du willst Klaus holen?“

      „Nein“, erwiderte der Professor schroff. Dann besann er sich, fügte in sanfterem Ton hinzu: „Sei tapfer, mein Schätzchen! Du fährst jetzt brav mit Mutter nach Hause.“

      Plötzlich war es um Veras Fassung geschehen, sie begann bitterlich zu weinen.

      Während die Mutter sich verzweifelt bemühte, sie zu trösten, wandte sich Professor Hartwig an Dr. Gorski: „Du nimmst dir jetzt ein Taxi . . . ich sehe, deines wartet ja noch . . .“

      „Ich habe noch nicht gezahlt.“

      „Um so besser. Dann kannst du gleich weiterfahren. Zur Johanniskirche. Sprich mit dem Pfarrer, mach ihm klar, daß die Hochzeit ausfallen muß . . . sag es auch den anderen Gästen.“

      Dr. Gorskis dunkles Gesicht blieb ganz unbewegt. „Aber . . . mit welcher Begründung?“ fragte er.

      „Vera ist plötzlich erkrankt. Ich hoffe, du wirst Arzt genug sein, dir eine Diagnose einfallen zu lassen. Und wenn du das erledigt hast, fährst du weiter zum Hotel, sagst das Hochzeitsessen ab . . . das heißt, mach den Leuten klar, daß es auf morgen oder übermorgen verschoben werden muß!“

      „Bist du sicher, daß Vera bis dahin wieder gesund sein wird?“ fragte Dr. Gorski unverschämt.

      Unter dem scharfen Blick seines Chefs und Onkels verging ihm die Frechheit. „Entschuldige bitte, ich wollte nur sagen . . .“

      „Schon gut. Es ist mir völlig klar, daß du diesen Zwischenfall genießt. Aber ich rate dir in deinem eigenen Interesse, deine Freude nicht allzu deutlich zu zeigen. Du erweckst mit dieser Haltung keinerlei Sympathien, weder bei Vera noch bei mir.“

      „Tut mir leid, Onkel Konrad, ich wollte wirklich nur . . .“ Dr. Gorski sprach seinen Satz nicht zu Ende.

      Professor Hartwig hatte ihn stehenlassen, wandte sich seiner Tochter zu. „Kopf hoch, Liebling“, sagte er, „jetzt reiß dich zusammen! Du wirst doch nicht wollen, daß ganz Düsseldorf über dich lacht? Eine geplatzte Hochzeit ist immer noch besser als eine schmutzige Ehescheidung! Hak dich bei mir ein, lächle . . . es geht die Leute nichts an, wie es in dir aussieht!“ Er zog ein großes Taschentuch hervor, tupfte Vera sanft die Tränen ab. Dann reichte er ihr den Arm, führte sie zu dem Wagen, der inzwischen vorgefahren war.

      Vera verbiß ihren Kummer, sah starr geradeaus, während sie, den schönen Kopf mit dem Brautschleier hocherhoben, an der Seite ihres Vaters zum Wagen schritt.

      Erst als sie wieder neben ihrer Mutter im Auto saß, die Türen hinter ihnen zugefallen waren und das Auto sich langsam in Bewegung setzte, zerbrach ihre krampfhafte Beherrschung.

      „Warum mußte das gerade mir passieren? Ausgerechnet mir? Ich bin ja so unglücklich“, schluchzte sie unbeherrscht.

      „Es geht vorüber“, sagte Claudia Hartwig sanft, „alles geht vorüber! Du wirst sehen, morgen . . .“

      Sie fühlte sich so elend, als wenn dieses Leid nicht ihre Tochter, sondern sie selbst getroffen hätte. Zehn Jahre ihres Lebens hätte sie darum gegeben, ihrem behüteten Kind diesen ersten großen Schmerz zu ersparen. Aber das Schicksal war stärker als ihre mütterliche Liebe.

      Verbissen hatte Dr. Klaus Berg um das Leben der Patientin gekämpft, obwohl er in jeder Faser seines Körpers spürte, wie die Zeit unaufhaltsam verrann.

      Nicht für eine Sekunde schwand der Gedanke an seine Braut, die zu gleicher Zeit im Standesamt auf ihn wartete, aus seinem Unterbewußtsein. Dennoch gelang es ihm, sich — gleichsam mit der anderen Hälfte seines Wesens — auf den vorliegenden Fall zu konzentrieren.

      Er war sich darüber klar: er mußte Brigitte Rainer retten, wenn er Vera nicht verlieren wollte!

      Es waren qualvolle Minuten, die er durchstand, qualvoll besonders


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