Stern der Ungeborenen. Ein Reiseroman. Franz Werfel

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Stern der Ungeborenen. Ein Reiseroman - Franz Werfel


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zum Präsent gemacht. Heute schenkte man „zitierte Geister“. Warum nicht? Was sie freilich mit einem Unsichtbaren anfangen werden, steht dahin. Mir wurde trotz meines Zustands heiß und kalt. Schon wollte ich eine bissige Bemerkung machen, als B.H. mit leiser Stimme sagte, immer noch den Rücken mir zuwendend:

      „Du verstehst hoffentlich auch daß ich vor allem dir eine Ehrengabe machen will . . .“

      Seine Stimme klang warm und aufrichtig. Er hatte mir wahrhaftig ein Präsent gemacht, in welchem alle andern Gaben enthalten sind: Leben und Bewußtsein. Hin- und hergerissen zwischen Dankbarkeit und einem leichten Ärger, heftete ich meinen Blick auf die Bilder, die mich umgaben. Der Garten, den wir nun langsam durchschritten, er voran, ich hinterdrein, war ein wirklicher Garten, obgleich er nur ein sogenannter Garten war. Er bestand aus tatsächlichen Hecken, Büschen, Sträuchern, Beeten, einem Springbrunnen mitten auf grauem Rasen, und all das überdacht von den dichten Baumkronen ledrigschwarzen Laubes, die so charakteristisch für das flache Land ringsum waren, von dem B.H. behauptete, es sei eine Metropole; ich konnte noch nicht wissen, warum. Des Gartens Beete, Lauben und Hecken — sie zeigten keinen einzigen grünen Fleck — prangten in einer bescheidenen Fülle mir unbekannter Blumen. Es gab aber höchstens fünf oder sechs Arten. Die meisten davon glichen sehr großen Anemonen mit mattem Farbanhauch, rosa, gelblich, heliotrop oder perlmutterartig changeant. Nur eine Strauchblüte, die unsrer Rose zu entsprechen schien, zeigte eine ausgesprochene, starke, stumpfe Farbe: Rostrot. Auch sie aber wirkte künstlich mit ihren dicken, regungslosen Blütenblättern, wie vom Wachszieher hergestellt. Ich mußte an einen Prachtladen in Paris denken, nahe der Gare Saint Lazare, in dessen Schaufenstern dergleichen tragantene Blumenpracht das Auge magisch fesselte. Der Unterschied war nur, daß in jenem Schaufenster die Kunst die Absicht hatte, natürlich zu wirken, während hier die Natur auf Strauch und Beet bemüht zu sein schien, recht künstlich und gemacht sich darzubieten. — Dieser ganze, nicht gerade große Garten mit all seinen mattfarbigen Gewächsen und dem schwarzen Laubdach der fremden, ernsten Bäume erweckte den Eindruck von Lichtscheu und Sonnenfürchtigkeit, um so bemerkenswerter deshalb, weil die Sonne, meiner Empfindung nach, an Wärmekraft eingebüßt, an durchdringender Schärfe und Grellheit der Strahlung jedoch zugenommen hatte. Die späteren Erfahrungen gaben meinem Argwohn recht: Diese Sonnenfürchtigkeit, diese Flucht vor der Strahlung war nicht nur ein Schutztrieb der gegenwärtigen Natur, sondern auch eine Gesinnung der mentalen Kultur, in der ich mich befand. Mir fiel jetzt eine Menge großer, ich möchte fast sagen riesiger, mottenfahler Falter und lichtgrüner Libellen auf, die mit vibrierendem Flügelschlag über den Gewächsen gaukelten. Sie erzeugten dabei einen nicht unangenehmen zirpenden, ja melodisch zwitschernden Laut:

      „Die Schmetterlinge singen“, lächelte B.H. beglückt. „Es sind unsre Frühlingsvögel. Wir haben April . . .“

      „Du bist ein Abtrünniger, B.H.“, entfuhr es mir. Obwohl ich nichts weiter sagte, kam es mir aber so vor, als habe er seine eigenen Eltern verkauft, weil er sich gar so zu Hause fühlte in dieser Fremde ohne grünes Gras und Vögel. Ich aber fühlte mich zurückversetzt in die Tage, bevor ich eingeschlafen sein mußte, um plötzlich auf dem grauhaarigen Rasen dieser entlegenen Zukunft, von der ich in der Form der Vergangenheit erzähle, mich wiederzufinden. Ich sah den Garten meines kleinen Hauses vor mir, mit der schönen Steinschale, stets mit frischem Wasser gefüllt, die wir für die Vögel aufgestellt hatten. Gelbe Pirole, schwarze Amseln und blaue Nußhäher schossen von allen Seiten herbei, tranken und badeten und fuhren wieder in die Höhe, und all das ging durch meinen Sinn und erfüllte ihn mit Wehmut. Dann sah ich hinauf in den blauen, toten, leeren Himmel dieses Tages und betrachtete den ungemütlichen, fremdartigen Garten um mich her und zerbrach mir den Kopf darüber, wie in solchem Schattenwesen irgendwelche Pflanzen zu gedeihen vermögen, und seien es auch nur die Wachs- und Zuckerbäckerblüten rings, die sich nicht regten. B.H. erriet natürlich sofort meine Gedanken:

      „Die Gartenpflege erfolgt zentral“, klärte er mich auf. „Das besorgt alles der Arbeiter.“

      „Was ist das, der Arbeiter?“ fragte ich, ohne meine Betretenheit verbergen zu können.

      „Man nennt ihn auch den Vollbärtigen oder den Schlaflosen“, entgegnete B.H. „Doch Geduld, mein Lieber, du wirst ihn zu sehn bekommen . . .“

      Was ich aber nicht zu sehn bekam, war „das Haus“. B.H. hatte mich nicht betrogen. Wir standen wirklich inmitten einer Stadt. Die Häuser dieser Stadt waren nur, aus Gründen jener schon erwähnten Sonnenfürchtigkeit, nicht über, sondern tief in die Erde hineingebaut. Jeder der von schwarzem, ledrigem Laube gekrönten Gärten war somit ein Dachgarten. Die einzelnen Baumhaufen bezeichneten je ein Wohnhaus. Nichts widersprach mehr der technischen Architektur von Beton, Stahl und Glas, jener Industriearchitektur aus meiner Zeit, aus den Anfängen der Menschheit, welche schreiendes Licht und grellen Lärm kraftmeierisch in die nervenlosen Hauskuben zu zerren liebte, als diese Bausitte hier, die im Schoße der Erde dem überempfindlichen Menschen das schützende Heim errichtete. Die Erdoberfläche überragte nur ein mäßig hoher, runder Überbau aus durchscheinendem Material, der dem Geschütz- oder Beobachtungsturm eines Kriegsschiffes glich. In diesen Turm traten wir durch einen türlos offenen Eingang, worauf sich sofort die Plattform, auf der wir standen, zu senken begann. Ich bekam in diesem Augenblick, was mir niemand verdenken wird, tüchtiges Herzklopfen und war deshalb ziemlich froh, als, in der Tiefe angekommen, B.H. mich zu warten bat, denn er müsse mein Erscheinen anmelden.

      Als ich mich dann im Empfangszimmer befand, ich weiß nicht, ob hereingerufen oder -geholt, da war ich wieder ganz ruhig und fühlte mich von der unbeteiligten Beobachtungskraft und unerschrockenen Neugier eines echten Forschungsreisenden erfüllt, obwohl mir dieser Zweck meiner nächtlichen Aussendung so recht erst nach meiner Rückkehr bewußt wurde. Meine Aufgabe freilich war nicht so leicht, wie man denken könnte. Ich hätte zum Beispiel, was doch jedem Forschungsreisenden zweifellos obliegt, keinerlei stenographische Anmerkungen in ein Notizbüchlein machen können, aus Gründen des eigenartigen Lichtes nämlich, das den mittelgroßen und wohlgestalten Raum erfüllte. Dieses Licht oder besser, diese Beleuchtung war nicht etwa schwach oder düster, sie war ganz im Gegenteil von wohltuend milder Helligkeit, aber durch irgendeine unbekannte Zumischung gelang es ihr, alles, was sie erleuchtete, zugleich zu verwischen, angenehm ungenau zu machen und in eine schöne Ferne zu rücken. Wenn das Wort aristokratisch auf eine Beleuchtung angewendet werden darf, so war’s die aristokratischste Beleuchtung, die sich denken läßt. Ich sage mit Absicht nicht ästhetisch, sondern aristokratisch, weil sie den Gegenständen Takt und Liebenswürdigkeit angedeihen ließ. Ziemlich warm, ins Gelb-Trauliche spielend, erinnerte sie an das Auer-Gaslicht meiner Kinderzeit und seinen friedlichen Lampenkreis. Von dieser so häuslichen Beleuchtung umspült, standen etwa elf Personen um einen sonderbar hohen, mittelgroßen Tisch, der auf mich den Eindruck eines ertappten Wesens machte, das sich totstellte. Die Personen lächelten hochbefriedigt in die Richtung, wo ich mich aufhielt. Sie hatten sich weder bei den Händen angefaßt noch auch den Raum verdunkelt, wie es die Praxis eines verschollenen Altertums vorschrieb. Dergleichen Hokuspokus schien längst überwunden zu sein. Außerhalb des freundlichen Lichtkreises, genau in der Mitte zwischen jenen Personen und mir, stand B.H., der Wiedergeborene. Obgleich sein Gesicht ganz in Schatten getaucht war, erinnerte es mich, ich weiß nicht warum, an das Gesicht eines Conferenciers oder eines Artisten oder des Erklärers bei einer Abnormitätenschau, der soeben einen schlagkräftigen Satz gesprochen hat. Mit einer Hand wies B.H. auf mich („voilà“), mit der andern auf die Gesellschaft. Es war von nun an seine symbolische Gebärde. Die Personen dort, die aufmerksam, offen und erwartungsvoll mich ansahen, waren mit nichts anderem bekleidet als mit dem zarten Spitzengewebe, welches dieses Licht ohne Lichtquelle über sie warf. Einfacher gesagt: Sie waren nackt.

      Ich hingegen war nicht mehr nackt, geschweige denn nackter als nackt, unsichtbar. Ich war sogar äußerst sichtbar, mir selbst zur plumpen Unlust. Um das Maß vollzumachen, trug ich, horribile dictu, meinen Frack mit steifer, zudem noch eingeknickter Hemdbrust, samt ramponiertem Stehkragen und müder weißer Binde. In diesem Staatsgewand hatte man mich vermutlich vor mehr als hunderttausend Jahren zu Grabe getragen, und damals schon war dieser Frack, ich will nicht übertreiben, aber er war beinahe zwanzig Jahre alt. Neben seinem schäbigen Seidenrevers bammelte der einzige Orden, den ich im Leben empfangen habe, und zwar von einer kunstfreundlichen, aber schwachen Regierung, die drei Wochen


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