Italienische Erzählungen. Isolde Kurz

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Italienische Erzählungen - Isolde Kurz


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das Ende.“

      Oben auf der Terrasse fand Paul seine Lydia, die seit zwei Stunden auf ihn gewartet hatte.

      Sie stürzte aufschluchzend an seine Brust.

      „Lydia, Lydia, was ist geschehen?“

      „Du weißt noch nichts? Es weiß es schon seit gestern die ganze Stadt!“

      Nun erfuhr er, daß das Bankhaus, bei dem seine und ihre Ersparnisse niedergelegt waren, die Zahlungen eingestellt hatte. Vor drei Tagen noch hatte man dort eine Einzahlung von ihr ganz ruhig einkassiert, und gestern, als sie, durch ein Gerücht erschreckt, ihre Papiere zurückziehen wollte, fand sie die Kasse geschlossen. Heute aber riefen es schon die Zeitungsverkäufer durch alle Gassen, daß Dufour und Sohn fallit seien.

      Dieser neue Schlag traf den armen Jungen mit solcher Gewalt, daß er sich niedersetzen mußte! Er saß lange schweigend, die Arme über die Stuhllehne zusammengelegt, bis es ihm einfiel, daß die Wirtin sich darüber aufhalten könnte, wenn er so lang mit dem jungen Mädchen im Dunkeln auf der Terrasse blieb. Mechanisch erhob er sich, um die Lampe anzuzünden, und über dieser Beschäftigung ordneten sich seine Gedanken. Er wollte Lydia auseinandersetzen, daß ihre Papiere, die als geschlossenes Depot auf der Bank lagen, nicht zu der Konkursmasse gehörten, sondern, sobald die Siegel gelöst würden, durch das Gericht zurückgegeben werden müßten. Aber Lydia schüttelte den Kopf und schluchzte immer stärker: man wußte bereits, daß ungeheure Unterschlagungen vorlagen, welche die halbe Stadt ruinierten, daß auch die Depots verschwunden waren, und daß der Bankdirektor sich dahin geflüchtet hatte, wo ihn das menschliche Gesetz nicht mehr erreichte.

      Paul verstummte und wußte nichts mehr zu tun, als das Mädchen in die Arme zu fassen und mit ihr zu weinen. Den Kopf auf seiner Schulter und beide Arme herabhängend, lehnte sie an ihm wie ein krankes junges Bäumchen an seinem stützenden Pfahl, und ihr erschütterndes Schluchzen löste sich nach und nach in ruhig rinnende Tränen.

      „O Paul, Paul, daß wir so unglücklich sein müssen!“ klagte sie leise.

      „War es schon viel?“ fragte er nach einer kleinen Weile.

      „Fast die ganze Summe, es fehlte nur noch ein weniges, etwas über hundert Franken zu runden zehntausend.“

      So nahe war ihnen das Glück gewesen. Paul hatte es wohl gewußt, obschon er nie danach fragte. Wie Schatzgräber, die schon den emporsteigenden Kessel mit seinem blauen Schein in der Erde flimmern sehen, hatten sie all die Zeit schweigend gestanden, wie um durch kein vorschnelles Wort den Zauber zu brechen, und jetzt war der Schatz doch versunken, und es brauchte vielleicht abermals zehn Jahre, bis sie wieder so weit kamen.

      In dem großen Garten jenseits der Hofmauer, von dem man nur einige Baumwipfel sah, schlug jetzt eine Nachtigall an und warf ein paar schmetternde Rouladen in die laulichte Abendluft, in die Andersens Lilien und Orangenblüten um die Wette ihren Duft ergossen. Beide wurden still und horchten. Wer, den nur ein Hauch von Poesie gestreift hat, mag reden, wenn neben ihm die Nachtigall singt! Die schmolz jetzt hin in Flötentönen, worin die Liebe selber ihre Seele auszuströmen schien; wie lange goldene Tropfen fiel es nieder, plötzlich unterbrach sie sich mit einem halben Triller, wie mit einem Schrei, und ihre Stimme erhob sich in einem Wirbel von Wohllaut: jubelnd, klagend, triumphierend — ein Sturm des Entzückens, der sich auflöste ins Unaussprechliche, ins Element.

      Die beiden weinten jetzt nicht mehr, sie tauschten lange, lange Küsse. Sie vergaßen endlich ihr Leid und empfanden nur noch eines die Nähe des andern.

      Lange hatten sie sich nicht mehr so gehalten. Sie waren sich zwar innig zugetan, diese beiden Stiefkinder des Glücks, aber das lange Warten und die strenge Übung der Konvenienz hatten den ersten Schmelz der Leidenschaft abgestreift. Jetzt aber fühlten sie sich um zehn Jahre verjüngt, wie in den ersten Tagen ihrer Liebe. Ein Trotz kam über den Mann, es mit seinem Unstern aufzunehmen, dem Schicksal zuwider dennoch glücklich zu sein, aber da durchfuhr ihn ein schreckhafter Gedanke.

      „Und Esselins? Werden sie dich nicht vermissen?“

      Nein — man hatte ihr den Abend freigegeben, um sich bei Freunden in der Stadt auszuweinen, weil sie heute doch zu nichts zu brauchen war.

      Nun klopfte es laut an die Terrassentür und Karl Neubrunn erschien mit zwei Champagnerflaschen unter dem Arm.

      „Habt ihr euch nun des Leids gesättigt und seid ihr imstand, ein vernünftiges Wort zu hören“, begann er. „So vernehmt: Pomona richtet soeben ihren Risotto an — sie hat Rigalia darein gewiegt und ihn mit Curry gewürzt — und zwei Wildenten drehen noch am Spieß. Was den italienischen Salat betrifft, so habe ich selbst seine Zubereitung überwacht, und damit ist alles gesagt. Vom Nachtisch nenne ich nur ein Wort: Gorgonzola. Frau Pomona und ich bitten um das Erscheinen unsrer Gäste. Ihr Bengel sitzt mit bei Tische, also sind wir zu fünfen. Fräulein Lydia hat uns zwar noch nicht zugesagt, aber ihre Zusage wurde als sicher angenommen. Pomona setzt uns ihren Pomino vor — Verzeihung für das Wortspiel — und den Champagner trinken wir auf der Terrasse. Ich mußte ihn auf deine Rechnung schreiben lassen, denn sie wollten mir nicht borgen. Aber du darfst nicht erschrecken, Paul, morgen wird er unfehlbar bezahlt, ich erwarte Geld.“

      Paul lachte, Lydia lachte ebenfalls und eilte hinab, um der Wirtin beim Anrichten behilflich zu sein.

      Das Essen, das auf Pomonas feinstem Porzellan serviert und mit ihrem ältesten Wein begossen wurde, brachte eine sanft gehobene Stimmung, die auf die beiden Kummervollen wie der erste milde Sonnenblick nach schwerem Hagelschlag wirkte, sie sahen sich leise um, was ihnen noch an Hoffnungen geblieben sei. Karl Neubrunn quoll über von Laune und Liebenswürdigkeit, wie immer, wenn er in Gesellschaft und bei gutem Wein saß. Die Räume wurden weiter, in denen er sich befand, man fühlte sich mit ihm in freier Luft; es schien, als müsse nun gleich ringsum alles zu grünen und zu blühen beginnen. Seine Nachbarin Lydia, deren gedrücktes Aussehen ihn erbarmte, überhäufte er mit den ritterlichsten Aufmerksamkeiten, wollte sie immer selbst bedienen und machte sie dadurch zum Mittelpunkt der Gesellschaft. Die Hausfrau ging schnell auf diesen Ton ein, indem sie recht als Italienerin damit anfing, Lydias körperliche Vorzüge herauszustreichen, sie lobte auch ihr schönes Italienisch sowie ihre Geschicklichkeit in häuslichen Dingen und wunderte sich, daß man bei so großer Jugend schon so viel Reife und Haltung besitzen könne.

      Dem anmutigen, verschüchterten Geschöpf ging das Herz auf, endlich auch einmal etwas zu bedeuten. Sie war sehr hübsch und schien auf den ersten Blick noch ganz jung, aber ihren überschlanken Formen fehlte schon die Rundung, und ihr Gesicht hatte einen heimlich leidenden Ausdruck, wie eine Rose, die seit mehreren Tagen im Wasser steht: sie bewahrt noch ihren Duft und Farbenschmelz und ist scheinbar unverändert, dennoch fühlt man ihr an, daß sie beim ersten Stoß zerblättern kann.

      Jetzt aber färbte sich ihr blasses Gesicht mit einer sanften Röte, die ihr lieblich stand, und ihre schönen dunkeln Augen begannen zu glänzen. Paul Andersen war glückselig über den Erfolg der Geliebten, und es fiel allgemein auf, daß die beiden einander ähnlich sahen; ohne die leuchtenden Blicke, die zwischen ihnen hin und her gingen, hätte man sie für Geschwister halten können.

      Nur Karl Neubrunns Unart, immer deutsch zu reden, ohne Rücksicht auf die Wirtin, verdarb dem zartfühlenden Andersen diesen schönen Abend ein wenig. Er trat alle Augenblicke dem Freund auf den Fuß und flüsterte: „Sprich doch italienisch!“ — aber dieser achtete nicht darauf, und Pomona, obgleich sie kein Wort verstand, hing mit gespannter Aufmerksamkeit an Neubrunns Mund und lachte fröhlich mit, wenn die andern lachten.

      Vor allem war Neubrunn bemüht, die gute Lydia über den Geldverlust zu trösten, denn der moralische Gewinn, den sie aus diesem Vorkommnis ziehen werde, sei groß genug, um sich mit dem Schaden auszusöhnen.

      „Es ist leider die natürliche Folge des unbedachten Geldanlegens“, sagte er, „man sollte dieser häßlichen Versuchung immer widerstehen, das ist nur gut für Menschen, die einen angeborenen Beruf zum Reichwerden haben. Ich selber hatte auch einmal eine kapitalistische Anwandlung, aber eine innere Stimme trieb mich, mein eingezahltes Geld schon des andern Tags von der Bank zurückzuholen und damit auf Reisen zu gehen, denn nur das Geld, das man aufbraucht, ist wahrhaft sicher


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