Italienische Erzählungen. Isolde Kurz

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Italienische Erzählungen - Isolde Kurz


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beglückwünschte sie eifrig zu diesem Fund und hatte diesmal sogar die Gefälligkeit, ihr seine Worte zu verdolmetschen.

      „Es liegt die tausendjährige Weisheit eines sinnenfrohen Volkes in diesem Sprichwort“, sagte er. „Der trübsinnige Germane hat ein anderes erfunden, das so ungefähr das Gegenteil ausdrückt: ‚Wenn es dem Esel zu wohl wird, so geht er aufs Glatteis tanzen‘.“

      „Ach“, fuhr er mit einem Blick auf Paul Andersen fort, „es gibt manchen Esel, dem es niemals wohl wird und der doch die Beine bricht; das, meine Freunde, ist der tragische Widersinn der Dinge! Ich hoffe“, setzte er schnell hinzu, „daß in diesem aufgeklärten Kreise kein Vorurteil gegen den edlen Vierfüßler besteht und somit meine Worte niemand verletzen können.“

      „Nicht im geringsten“, antwortete Andersen. „Ich war von je der traurige Esel mit den hängenden Ohren, der das Glatteis meidet und auf sicherer Chaussee zu Schaden kommt.“

      Karl Neubrunn erwiderte wohlwollend: „Es ist eine deiner besten Eigenschaften, daß du dich deiner Tugend nicht überhebst, sondern sogar hin und wieder so erleuchtet bist, sie für eine Lücke deines Wesens zu erkennen. Auch hast du die Entschuldigung des schwächlichen Beispiels, weil in deiner Heimat alle Menschen Tugendbolde sind. Darum: ego te absolvo.“

      „Und nun“, fuhr er fort, „da wir bei diesem Thema sind, bitte ich um Erlaubnis, den anwesenden Freunden meine Lebensanschauung auseinanderzusetzen. Für mich zerfällt die Menschheit seit langem in zwei Hauptgattungen: Die Schuster und die Schneider.“

      Andersen und Lydia starrten ihn verwundert an, und Pomona bat um eine Übersetzung, was den Sprecher nun bewog, halb deutsch und halb italienisch fortzufahren.

      „Ja, die breitspurigen, weitherzigen, sinnenfrohen, die Temperamentsmenschen, die Schustermenschen, und die feinspurigen, spitzigen Schneider, die klugen, oft superklugen, spekulierenden, weit ausspähenden, rechnenden, auch sich verrechnenden, aber ebensooft gewinnenden Schneider. Diese beiden Naturen führen seit Beginn der Welt einen großen, wechselvollen, nie ausgefochtenen Krieg, in dem das Glück hinüber- und herüberschwankt. Fast alle großen geschichtlichen Ereignisse sind in ihrem letzten Urgrund zurückzuführen auf den heimlichen Kampf der Schuster und der Schneider, denn diese hassen sich mit dem tödlichsten Haß, sie müssen sich befehden, wenn auch eine Mutter sie geboren hat, weil ihre beiden Naturen einander aufheben. Und wir alle haben keine Wahl, wir müssen entweder Schuster oder Schneider sein.“

      „Gibt es gar keine Ausnahmen?“ fragte Lydia schüchtern.

      „Es gibt, aber mit diesen haben wir nichts zu tun, das sind die ganz Flauen und Unbedeutenden, die weder Fisch noch Fleisch sind, oder aber die Allergrößten und Begabtesten, die in sich den Schuster und den Schneider vereinigen, wie z. B. Napoleon, aber wie gesagt, diese gehen uns nichts an, es sind Über- oder Untermenschen. Der Normalmensch — homo sapiens — gehört stets in die eine oder die andere Klasse.“

      „Erlaube mir nur“, begann Paul Andersen, aber Neubrunn legte sich breit über den Tisch und fuhr, ohne auf ihn zu hören, fort: „Ein glänzendes Beispiel: Marcus Antonius und Caesar Octavianus. Die antike Welt liefert wie immer die Typen am reinsten. Wer kann hier den Schuster und den Schneider verkennen, die beiden menschgewordenen Urgewalten, die um die Herrschaft des Erdballs streiten? Es war ein Ereignis von unergründlicher Tragik, als das Schustertum größten Stiles bei Actium unterlag. Ich weiß nicht, wie andere denken, ich für meinen Teil gäbe das ganze, aus tausend Lappen zusammengenähte Weltreich des Schneiderkaisers Augustus um eine Nacht in den Armen der Ägypterin.“

      „Ich glaube doch“ — wollte Andersen einwenden, aber Neubrunn war jetzt im Zuge und ließ sich nicht mehr aufhalten.

      „Die Schuster und Schneider kämpfen um den Besitz der Welt auch auf geistigem Boden. Der Schneider ist der historische Mensch, der Mensch der Wissenschaft, des planmäßigen Aneinandernähens, der Stückler und Wiederauftrenner des Geistes, aber mit dem Schuster fängt die Welt immer von vorne an, er ist wie die Kunst um seiner selbst willen da. Der Schuster, ja, was wollte ich noch sagen —?“

      Hier blieb er stecken, denn der schwere Pomino stieg ihm in den Kopf und begann ihm den Faden zu verwirren. Paul Andersen wollte die kleine Pause benützen, um auch einmal zu Wort zu kommen, aber Neubrunn fuhr gleich wieder dazwischen.

      „Zwei andere große Verkörperungen des Schuster- und Schneiderprinzips: Danton und Robespierre. Danton mußte durch die Hand der Charlotte Corday fallen —“

      „Das war ja Marat“, wandte Andersen ärgerlich ein.

      „Laß mich in Frieden, historischer Mensch! Ich weiß, er fiel durch Robespierre, das stimmt ja noch viel besser in meine Theorie. — Aber das war nicht, was ich sagen wollte — du hast mich ganz aus der Reihe gebracht, weil du immer allein reden willst.

      Ich wollte sagen: es gibt ganze Schusterjahrhunderte, in denen die Menschheit sich mit einem Male verjüngt. So war die Renaissance ein großer Triumph des Schustertums, wie die Welt keinen größeren gesehen hat, und wurde von der Reformation recht schneidermäßig abgelöst. Doch ich brauche nicht in so entlegenen Zeiten umherzuirren. Gleich hier an unserem Tisch sind die beiden Klassen in ausbündiger Reinheit vertreten: in mir wird niemand das Schusternaturell verkennen, und hier sitzen zwei allerliebste Exemplare der Schneiderspezies: mein lieber Freund Paul Andersen und Fräulein Lydia. Paul Andersen fühlt den Beruf, mit seinem sauersten Schweiß, der ihm selbst zugute kommen könnte, einen fetten Bankier noch fetter zu mästen, und meine schöne, verehrte Freundin reibt sich auf, um die sieben Rangen der dicken Madame Esselin großzuziehen, statt all die viele Not und Mühe wenigstens an ihre eigene Brut zu wenden. Ja, wenn nur das Warten und Sparen immer ans Ziel führte, aber es ist etwas gar zu Trauriges um einen Schneider, der sein Zeug zu kurz geschnitten hat.“

      Als er sah, daß Lydia bei seinen Worten rot und blaß wurde und daß auch Paul Andersen verlegen vor sich hinsah, lenkte er rasch ab und steuerte wieder hinaus ins Meer der Allgemeinheit.

      „Es ist traurig“, sagte er, „daß in der Welt das Talent zu einem freien, frohen Schustertum ganz zu erlöschen droht. Blicken wir uns um im Leben, in der Kunst, in der Literatur, was sehen wir? Keinen Griff ins Volle, kein ganzes Menschentum, keine Freude am Sein, die sonst ihr Licht über weite Kulturstrecken warf — überall Nebenzwecke, soziale Probleme, Erdenangst, der Krampf der Nadel, engster Schneidergeist. Meine Freunde, treten wir zusammen, gründen wir einen Schusterbund, einen Bund der Glücklichen und Freien. Werden wir, wie die Griechen waren. Nicht Stich für Stich mit der feinen, spitzen Nähnadel, mit der breiten Schusterahle wollen wir unser Leben zusammenschustern. Reichen wir uns alle die Hände, und du, Andersen, erlaubst mir gleich einmal, daß ich die Lydia küsse.“

      Dies war getan, noch bevor die Erlaubnis erteilt werden konnte. Unterdessen war man mit dem Essen fertig geworden und Pomona drängte zum Aufbruch nach der frischeren Terrasse. Dadurch wurde jedoch die Unterhaltung nicht gestört, denn Neubrunn redete auch auf der Treppe immer weiter und die andern drängten sich lachend an ihn, um keines seiner Worte zu verlieren. Der kleine schwarzköpfige Italiener trug ihm die Zigaretten nach, von denen er die Gewohnheit hatte, immer zwei zugleich in den Mund zu stecken, wogegen Paul Andersen niemals rauchte.

      Oben angekommen, zog er eine Champagnerflasche aus dem Eis und entkorkte sie vorsichtig, dann schenkte er die Kelche voll. Aber auf einmal kam ihm ein anderer Gedanke, und er erlaubte nicht, daß jemand trank, bevor er alle Anwesenden mit Efeuranken bekränzt hatte.

      Lydia reichte er noch überdies einen langen blühenden Orangenzweig und sagte: „Lassen Sie die Papiere laufen und machen Sie unsern armen Schneider glücklich. Schlechter als im fremden Haus werden Sie es auch bei ihm nicht haben. Also, ehe das schöne Gold auf diesem Scheitel bleicht und die Rosen welken, fassen Sie das Glück am Schopf und halten es fest, solang Sie können.“

      Paul Andersen trat zwischen beide und faßte Lydias Hand. Die Lebenslust des Freundes hob ihn wie auf Adlersflügeln empor, daß er alle Angst der Erde tief unter sich sah, aber er wollte ihm doch den Ruhm der Anregung nicht lassen.

      „Du sprichst nur aus, was zwischen uns beiden heute abend stillschweigend vereinbart worden


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