Eine Kompanie Soldaten - In der Hölle von Verdun. Alfred Hein

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Eine Kompanie Soldaten - In der Hölle von Verdun - Alfred Hein


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sicher seiner selbst und nimmt den Abschied nicht so wichtig — der war ihr lästig in dieser Stunde, und heucheln konnte sie nicht!

      „Wir wollen fidel sein wie als Kinder, Lutzchen! Ich geb dir gern einen Kuss —“ Sie drückte ihn in den Sessel und sprang auf seinen Schoss, legte die Arme um ihn und küsste ihn leichthin.

      „Adelheid, nicht so —“

      „Na, denn nicht —“ Mit kokett aufgesetzter beleidigter Miene (o wie ist alles aus billigen Romanen und Musikcafés angelernt und abgeguckt, dachte Lutz) sprang sie ans Klavier und spielte elegisch: Weh, dass wir scheiden müssen —

      Das Mädchen fragte, was es sollte. „Sekt!!“ schrie Adelheid. „Sekt — der Lutz zieht hinaus in der scheenen, in der grauen, in der scheenen, in der neuen, in der scheenen, in der neuen grauen Felduniform —“ sang sie.

      Das alte Mädchen, das den kleinen Lutz schon als Schuljungen kannte, als er in der stillen schlesischen Kleinstadt die kleine Adelheid anschwärmte, und manchen rosa und lila Brief ihm heimlich abnahm — Anna streichelte Lutz über den Aermel: „Wie ein richtiger Feldsoldat siehst aus, Lutz —“

      „Na los — Sekt — wo ist der Sekt?“ schrie Adelheid. Und sie schlang ihre Arme um Lutzens Hals und tanzte mit ihm um den Tisch. „Und etwas zu essen, der Junge sieht ganz verhungert aus, klau eine Fleischkarte für Lutz, Anna!!“

      „Adelheid, bist du gar nicht traurig —?

      „Lutz, lass das. Sei vergnügt. Sei ein Mann.“

      „Kann ich gehen?“

      „Warum?“

      „Sei nicht böse. Ich mag Matzka nicht.“

      „Eifersüchtig?“

      „Ich liebe dich, ich dachte —“ doch er konnte seine Träume nicht erzählen. Vielleicht war er wirklich ein sentimentaler und verweichlichter Kerl. Stellte seine Liebe auf den Altar. Adelheid wollte aber mit ihm durch Berlin bei Nacht tanzen! Amüsieren, das war ihr drittes Wort. Auch jetzt im Kriege. Wir Jungens sind zu ernst und zu alt geworden für unsere Mädels ... Immer hatte seine Liebe von Träumen und Sehnsüchten gelebt. Das Dasein ihrer jungen gesunden Schönheit in seiner Nähe genügte ihm. Ein Händedruck ward zum tagelang erschütternden Ereignis. Unvergesslich die wenigen übermütigen und flüchtigen Küsse Adelheids bei kleinen Ausflügen und Festen im Frieden. Heute, ja, heut aber hatte er gehofft, dass ihre Liebe in ihrem Tändeln jäh vom Ernst der Stunde überwältigt sich mit ganzer Leidenschaft hervorbrechend hingeben werde — Sinfonien des Himmels umrauschten den Traumgedanken schon — ganz leise, Geliebte, sei die heilige Feier! — ach, nun wollte sie ihn gerade forsch und kühl und weltgewandt vor sich sehen. Er machte sich hart. Auch dies für sie. Sie sollte ihn in gutem Andenken behalten. „Du hast recht, Adelheid —“ Die Stimme zitterte doch voll enttäuschter Wehmut. „Krieg ist Krieg. Na, also, auf frohes Wiedersehn! Ich kam bloss auf einen Sprung. Wir haben eine Abschiedskneipe von der Kompagnie“, log er. „Auf Wiedersehn —“

      „So wenig bin ich dir wert, dass du nicht die Abschiedskneipe schiessen lässt —?“ erprobte nun Adelheid an ihm ihre angelernten Koketterien.

      „Uebermorgen gehts an die Front, Adelheid. Wenn ich dir noch etwas wert bin, dann komme morgen ins Lager. Mein letzter Tag. Ich darf nicht mehr weg. Aber komme allein.“

      Adelheid sah plötzlich, wie ernst und wie tief Lutz sie liebte. Warum geht er fort, Gott, es ist so schrecklich unbequem, über diese Dinge nachzudenken.

      „Auf Wiedersehn morgen, Adelheid. Jetzt muss ich gehen. Ich werde die ganze Nacht an dich denken und dich morgen den ganzen Tag erwarten. Komm, wenigstens eine Stunde — auf der grossen Lagerstrasse triffst du mich —“

      „Nanu!“ schnarrte es draussen ganz offiziersmässig.

      „Das ist Matzka!“ sagte Adelheid verwirrt. „Nun geh! Ich komme morgen, wenn’s irgend sich machen lässt.“

      Dr. Matzka, der Unterarzt, erschien in seiner schneidigen Extrauniform, degenschleppend und sporenklirrend einherschreitend. Die Sporen machte er sich immer auf der Treppe erst an, denn es war für ihn im Offiziersstellvertreterrang verboten, Sporen zu tragen. Doch Adelheid fühlte nicht, wie lächerlich dieser Unterarzt zu Pferde war. Sie träumte sich nur an seine Seite als junge Frau Stabsarzt.

      Lutz war verschwunden, ehe Matzka ihm gönnerhaft die Hand drücken konnte. Matzka küsste Adelheid, die er als seine heimliche Braut betrachtete. Adelheid gab den Kuss unbefangen zurück und lachte: „Heute warst du nicht der erste, der mich umarmt.“

      „Der kleine Lutz — wie kindisch —“

      „Er geht ins Feld, verehrtester Drückeberger —“

      „Sei nicht frech. Zieh dich um. Wir wollen doch noch ins Kino —“

      Lutz wusste: Sie kommt morgen nicht. Und er hoffte doch: Sie kommt. Den ganzen letzten Tag in der Garnison lief er die Lagerstrasse auf und ab, sah viele Bräute und viele Mütter und Schwestern kommen und die beglückten Kameraden am Arm nehmen.

      Er war gestern abend nicht in Berlin geblieben, sondern ins öde Döberitzer Barackenlager zurückgefahren. Nur ein paar alte missmutige Landsturmleute und drei oder vier jüngere Kameraden, die sich bereits in der Kantine so vollgesoffen hatten, dass sie nicht mehr den Weg zum Bahnhof fanden, hockten in seiner Baracke, in der sonst um diese späte Stunde das befreite Lachen und Plaudern des nach ewigem Exerzieren und Putzen genahten Feierabends erklang.

      Er holte Adelheids Bild hervor, das sie noch als Schulmädel, von ihm selbst geknipst, darstellte, und das Bild gab ihm auf all seine bangen und zärtlichen Fragen die erlösende Antwort.

      Mit Lächeln, ein Kindheitsgebet seit langem wieder einmal auf den Lippen, war er eingeschlafen.

      Nun schritt er seit morgens die kilometerlange Lagerstrasse auf und ab. Hatte sein Mittagessen nur fix heruntergeschlungen, um wieder hinaus zu eilen und sie zu erwarten. Vielleicht kommt sie wenigstens nachmittags — vielleicht noch schnell mit dem Abendzug — — —

      Adelheid aber machte mit Dr. Matzka eine Ruderpartie. Und Lutz blieb allein. Alles war ihm gleichgültig.

      Das war die grösste Grausamkeit, die in diesem Kriege begangen wurde, dachte Lindolf. Was können dagegen die Greuel draussen sein?

      Und er schrieb ein Berschen in sein Notizbuch:

      Auf der Trommel liegt mein Herz,

      Tambour, schlag drauf.

      Morgen geht es todeswärts,

      Heute hört schon die Liebe auf.

      Tambour, schlag drauf.

      4.

      In vier Tagen ist Ostern. Und Frühling wurde über Deutschland. Alles wollte so gerne leben. Doch selbst die Blumen am Waldrand standen im Schatten des Todes. Und das Jubilieren der Vögel klang ein wenig gezwungen wie das sich einen Augenblick nur betäubende Lachen der Menschen.

      Soldaten fuhren an die Front. Mit gütiger Langsamkeit, aber unerbittlich vorwärts trottet der Zug durchs Gelände. Zum ersten Male kommt Lutz nach Westdeutschland, in wenigen Stunden wird er den Rhein sehen, der so oft seine Reisesehnsucht als Knabe gelockt hatte, dort fern in dem oberschlesischen Industriewinkel, wo er zu Hause war. Da lagen die bunten Städtchen Thüringens zu Füssen — alles aber, selbst die so treu geliebten Waldberge, die denen im schlesischen Land ganz ähnlich sahen, alles war gespensterhaft, und die Traurigkeit, die der Krieg über die Welt gebracht hatte, hing schwer an allen Zweigen, äugte müde aus den Fenstern — Deutschland war krank. Der Tod ging um.

      Nichts regte sich in der Brust: O mein Vaterland! nichts von Verteidigungswillen, bloss ein wehmütiges Lächeln fiel aus dem Herzen: Wenn nur einmal noch im Frieden diese Landschaft mir vorüberglitte —

      So fuhr Lindolf, der Feldgraue (welch tiefsinnig ödes, eintöniges Wort — —) durch Deutschland zur Front. Franken kam mit Marburg, der hangverwunschenen, hochgetürmten


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