Gusti zwischen Hüh und Hott. Lise Gast

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Gusti zwischen Hüh und Hott - Lise Gast


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doch etwas eng würde, die alte ‚Sonne‘, aber neue Inhaber. Dort muß man den Wein vom Wirt trinken, Mutter hatte schon welchen gekauft, um ihn mitzubringen, weil das viel billiger ist. Auf zwölf Flaschen bekommt man eine dreizehnte drauf, also umsonst und sozusagen freiwillig, und das hat Mutter verlockt. Nun müssen wir aber den Wein des Lokals trinken, es ist dieselbe Marke, Zeller schwarzer Krötenbrunnen oder so ähnlich, aber was im Laden zweifünfundachtzig kostet, kostet dort neun Mark. Da hat Mutter gesagt, weil Vater doch nicht mehr lebt und die große Rede nicht halten kann, wird sie es tun und gleich mit einflechten, daß nicht so viel Wein getrunken wird, weil er so teuer ist, aber ...“

      „Wen ...“, setzte ich an, wurde aber sofort wieder von Evelyns Sprachlawine niedergewalzt.

      „Und essen soll man dort sehr gut. Ich glaube ja, daß Essen bei einer Hochzeit zweitrangig ist, wenigstens für die Beteiligten, ich meine für die Leidtragenden ...“

      „Wen ...“, versuchte ich, bereits schwächer im Ton.

      „... aber den anderen schmeckte es bei Hochzeiten immer besonders, Henkersmahlzeiten sind ...“

      „Wen ...“

      „Sprechzeit vorbei, du mußt das einsehen und dich kurz fassen, es wird mir zu teuer. Wir holen dich ab, ruf an, wenn du da bist. Also bis spätestens Donnerstag ...“ Klick. Eingehängt. Da stand ich also.

      Heute war Montag. Die Woche fing gut an. Ich legte auf, atemlos, erschöpft. Dabei hatte ich das ganze Telefongespräch über nichts gesagt als dreimal „wen“. Wen Evelyn denn nun eigentlich heiratete, hätte ich immerhin gern gewußt. Ich war mit meiner Frage nicht durchgekommen.

      Gleichgültig – ich mußte wegfahren, ich hatte einen Grund. Holger kennt meine Heimatadresse nicht. Wenn ich also hier ohne Hinterlassung einer solchen verblühte, war ich außer Gefahr. Hurra! Hurra und Horridoh!

      „Ich fahre! Ich fahre! Missis Saylor, ich muß at home, nach Hause! Sie können mir nachweinen! Holger, what a pity, my sister ist marrying, sie heiratet ...“

      Nach Hause gab ich keine genaue Nachricht. Sie würden schon merken, wenn ich da war. Lindi hat mir später geschildert, wie es vor der Hochzeit bei uns zuging.

      Mutter, die Burgfrau, von uns auch, wenn wir uns über sie ärgern, mitunter das Schloßgespenst genannt – die Herrin also saß in ihrem Wohnzimmer vor dem alten Sekretär und regierte. Wenn man mir sagt, ich sähe ihr ähnlich, so bin ich darüber nicht restlos entzückt, begreiflicherweise. Nicht restlos, zum Teil also doch. Denn obwohl die Herrin in ihren Kurven ausladender ist, als das tyrannische Schönheitsideal unserer Zeit es verlangt, wirkt sie trotzdem noch immer so, daß alle anwesenden Männer aufmerksam werden, sie also nicht übersehen. Pompös, ja königlich in ihrer Haltung, thronte sie vor ihrem Sekretär, sich ihrer Autorität bewußt. Jeder junge Mensch fliegt auf wie der Vogel vom Telefondraht, wenn sie sich erhebt, um den Raum zu verlassen, und alle Türen öffnen sich vor ihr, durch die sie dann rauscht wie durch eigens für sie gebaute Triumphbögen. Ihre Stimme, von Befehlen, Tadeln und Anweisungen leicht angeraucht, hat im Timbre etwas nachgelassen, so daß mancher Telefonpartner, der das erstemal mit ihr spricht, am anderen Ende der Leitung schüchtern bittet: „Ich hätte eigentlich mit Frau Burggraf sprechen wollen.“

      „Ein angenehm versoffenes Organ“, nennt Albrecht die Stimme unserer Mutter. Indes: Sie säuft nicht. Sie raucht, aber vom Trinken hält sie nichts, was sie auch auf uns Kinder überträgt. Wir durften von jeher freiwillig auf Alkohol verzichten, da unsere Mutter es tut. Es gab einmal eine Zeit des schlichten Prunks, der relativen Wahrheit und des freiwilligen Zwangs. Letzteren hat die Burgfrau beibehalten.

      „Lindi!“

      Sogleich näherten sich eilende Schritte. Frau Burggrafs Kinder parieren wie gut abgerichtete Jagdhunde.

      Lindi ist Nummer zwei, die zweite Enttäuschung in punkto Stammhalter. Sie schlägt nach irgendeinem verschollenen Urahn, ist groß, größer als wir anderen Schwestern und Mutter, weißblond – vielleicht nicht von Natur aus. Wozu aber gibt es Haaraufheller? Die Industrie will auch leben – und außerordentlich begabt.

      Das sind wir anderen nicht, wir halten uns in bezug auf Geistesgaben im schlichten Durchschnitt. Lindi hat zeitig Abitur gemacht und studiert Tiermedizin. Ihre Augen sind im reizvollen Gegensatz zum hellen Haar von einem ausgesprochen schönen Braun. Mutter sah es wieder mit Vergnügen, hingegen mißfiel ihr die Frisur.

      „Du solltest dein Haar länger tragen“, meinte sie also, als habe sie Lindi deshalb hergerufen, „es paßt nicht, im Abendkleid mit kurzgeschnittenen Fransen zu erscheinen.“

      „Das wird sich bis Samstag nicht machen lassen, außer du kaufst mir eine Perücke“, entgegnete Lindi bieder bedauernd. „Übrigens ist es ja heute wohl so, daß die Mütter die Töchter ermahnen: Laß dir das Haar schneiden, du siehst ja aus wie ein Junge.“

      „Als ob Albrecht oder Sebastian es wagen würden, mir mit ungepflegtem Langhaar vor die Augen zu kommen!“

      Lindi lachte. „Es könnte ja auch gepflegtes sein. Und bereits die Romantiker trugen ...“

      „Ich weiß. Geh und füttere die Hühner“, sagte Mutter abschließend. „Aber sieh zu, daß Hannibal nicht alles bekommt, er ist ein bißchen ...“

      „Ein bißchen sehr“, vollendete Lindi vergnügt, „aber ich passe schon auf. Du, Mutsch ...“, sie allein durfte die Herrin so nennen, die anderen hatten ehrfürchtig „Mutter“ zu sagen, und man hörte, wenn man einigermaßen hellhörig war, das „Frau“ vor dem Wort „Mutter“ sehr genau. „Mutsch, ich glaube, Kersten ...“

      „Hm?“

      Lindi, nicht ganz sicher, ob sie sich zu weit vorgewagt habe, stand mit etwas eingezogenen Schultern zwischen Mutters Sekretär und der Tür, abflugbereit.

      „Kersten hat ...“

      „Was hat er?“ fragte die Herrin, gleichzeitig gestört – sie addierte gerade eine Kolonne Zahlen – und neugierig. Kersten, ihr Jüngster, nimmt eine Sonderstellung in ihrem Herzen ein, das wissen wir.

      „Er hat auch – jedenfalls –, ein Freund von ihm hat mir erzählt ...“

      „Was hat er?“ Jetzt klang die Stimme der Altvorderen ausgesprochen warnend, mit einem grollenden Unterton, der an das zum Brüllen ansetzende Knurren einer Löwin erinnerte. Lindi stand auf dem Sprung.

      „Locken. Lange. Goldblonde“, flüsterte sie, mit Schauder und Wollust die Reaktion dieser unerhörten Worte abwartend. Und die Reaktion kam. Mutter hob den Kopf.

      „Das darf nicht wahr sein ...“ Kurze Atempause. Lindi lief es eiskalt über den Rücken. „Aber bei Kersten – bei ihm sind auch Locken schön.“

      Lindi lachte noch, als sie am Hühnergehege ankam.

      2

      Wir wohnen in einer ehemaligen Arbeiterwohnung eines Gutes, das keines mehr ist. Der Besitzer hat sich, wie es heute viele Bauern tun, auf ein Spezialgebiet beschränkt und sein Land verkauft. Er züchtet Schweine, verkauft Ferkel. Fertig. Auf diesem Gebiet ist er führend. Da er gern frühstückt – frühstücken ist seine Leidenschaft –, hat er seinen ganzen Tagesrhythmus auf diese Mahlzeit zugeschnitten. „Kein Bauer muß vor Tau und Tag aufstehen, wenn er sein Vieh von Anfang an daran gewöhnt“, sagt er, schläft bis acht, frühstückt bis neun und geht dann Füttern. Mutter findet das durchaus anerkennenswert.

      Unsere Wohnung besteht aus drei kleinen, mit Urväterhauskram vollgestopften Zimmern in einem Fachwerkhäuschen, einer kajütenkleinen Küche und einem riesengroßen Sitzplatz vor dem Haus, auf dem sich sommers das ganze Leben abspielt. Zum vierten Zimmer, dem mit Ziehkette, um es manierlich auszudrücken, ist es nicht nahe. Mutter pflegt dorthin zu radeln, über den ganzen breiten Gutshof hinweg. Sie besitzt ein sehr schönes Fahrrad, das wir ihr zum fünfzigsten Geburtstag verehrten, ein holländisches, siebenmal verchromtes, das fast von allein läuft.

      Außer den drei ziemlich kleinen Zimmern gehört noch ein Trockenboden


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