Gusti zwischen Hüh und Hott. Lise Gast

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Gusti zwischen Hüh und Hott - Lise Gast


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Waschen muß man sich in der Waschküche desselben Hauses, wo ein Schlauch die Dusche ersetzt. Wir kennen es nicht anders, haben von je Freunde mitgebracht, die ebenso spartanisch untergebracht werden – sie fanden es immer sehr originell –, und lassen unsererseits Mutter eine ganze Menge Freiheit. Manchmal allerdings meutern wir, wenn sie ihre Fuchtel allzu kräftig schwingt, uneingedenk dessen, daß junge Menschen auch einmal erwachsen werden.

      Was hilft’s? „Solange man eine Mutter hat, bleibt man Kind“, ist einer ihrer Kerngrundsätze, und da sie beschlossen hat, neunundneunzig Jahre alt zu werden, sehen wir seufzend ein, daß wir also nie in den Stand der Gnade, sprich Selbstentscheidung, kommen werden.

      Lindi ging also Hühner füttern. Mutter hat eine Schwäche für Geflügel, die von keinem von uns geteilt wird. Hühner, das blödeste, was es gibt. Wenn sie klein und niedlich sind, goldgelbe Federbällchen – die Herrin läßt ihre Glucken natürlich selbst brüten –, sterben sie manchmal ohne Grund, sozusagen aus reiner Bosheit, und das gleich in großen Mengen – und als erwachsene Hennen legen sie zwar Eier, die aber kann man müheloser kaufen. Dieses Gegacker und Gerase, dieser Mief, der auch gut gehaltene Hühnerställe erfüllt. Wie gemütlich riecht dagegen ein Kuhstall, wie erregend herb Pferdeausdünstung.

      Nein, mit Hühnern können wir uns nicht anfreunden. Man erträgt sie, das aber ist auch alles.

      Und Hannibal, der Hahn! Lindi, sonst tierlieb wie wir alle – sie hat aus Tierliebe das Studium der Tiermedizin gewählt, ein Unterfangen, von dem ihr mancher, und das zu Recht, ernstlich abgeraten hat –, kann diesen Gockel nicht ausstehen und verdenkt der verehrten Herrin den Kult, den diese mit ihm treibt. Hannibal ist sicher der schönste, aber charakterlich der abscheulichste Hahn landab, landauf. Nur um seiner Bosheit willen ist sein Hühnervolk in ein Maschenviereck eingeschlossen, was übrigens alle von uns ausnahmslos begrüßen. Früher hatten die Hühner überall Zugang, und das wirkte sich vor allem auf dem Sitzplatz nicht erfreulich aus. Hannibal ist – ja, es läßt sich nicht anders ausdrücken –, er ist menschenwütig, er kann Menschen nicht leiden, er attackiert sie. Er fliegt auf einen zu und hackt nach einem, wenn man das Gehege betritt, reißt einem die Kleider vom Leib und purrt immer wieder wie ein Sturmbock auf einen los. Ohne Waffe kann man seinen Bannkreis überhaupt nicht betreten.

      Lindi ergriff also den Stock, der am Tor lehnte, und betrat die Vorhölle.

      Sie war eine Zeitlang nicht zu Hause gewesen und hatte sich auch in den letzten Tagen erfolgreich um die Hühnerfütterung gedrückt. Jetzt merkte sie, daß es besser gewesen wäre, sie hätte sich vorher erkundigt. Hannibal schien an Schrecklichkeit zugenommen zu haben. Er raste, kaum daß sie sich zur Tür hereingezwängt hatte, auf sie zu und schlug mit den Flügeln, laut krakeelend. Lindi schützte ihr Gesicht mit dem gekrümmten linken Arm, während sie mit dem rechten den Stock schwang und „Mistbock, elendiger!“ schrie. Sie kämpfte sich bis zum Hühnerhaus durch, riß die Schiebetür auf und ging, um sich schlagend, wieder rückwärts. Erhitzt, erschöpft und mit zerstrubbeltem Haar stand sie endlich wieder außerhalb des Geheges. Das Körnerfutter kann man ja durch das Drahtgitter werfen. Aber herausgelassen müssen die Hühner werden, Hannibal übernachtet stets im Freien innerhalb des Geheges auf einem Baum, daher vielleicht seine Schönheit.

      Denn wunderschön ist er, da besteht kein Zweifel. Sein dunkles Gefieder glänzt wie Metall, und der gebogene Schwanz schillert in allen Farben. Lindi stand eine Weile, betrachtete ihn und überlegte, ob er wohl auch so wild und angriffslustig wäre, wenn er nicht so schön aussähe. Sie hatte die Erfahrung gemacht, daß Menschen, die schön waren oder sich schön fanden, manche Eigenschaften entwickelten, die sich normale nie leisten würden. Arroganz zum Beispiel oder ...

      Hui, kam Hannibal geflogen, auf sie zu, die hinter der ebenfalls mit Maschendraht bezogenen Eingangstür stehengeblieben war, und hakte sich mit den Füßen in den Draht, auf halber Höhe hängend, um wütend nach ihr zu hacken. Sie trat einen halben Schritt zurück. Woher kam diese Bosheit? Hatte der Mensch diesem Tier nicht immer das Futter gebracht, dafür gesorgt, daß es einen Unterschlupf, Auslauf, genügend Damen zur Gesellschaft hatte? Stimmten hier vielleicht die Hormone nicht? Darauf ist ja manches zurückzuführen, jedenfalls in der Wissenschaft. Wenn bei einem von uns Geschwistern etwas wie Angriffslust oder auch nur Widerstand Mutter gegenüber zu spüren wäre, so würde diese das nie auf gestörte Hormone, sondern immer auf simple Unausstehlichkeit zurückführen. Ach ja, unsere Burgfrau.

      Lindi bummelte zurück, langsam, einen Fuß nachdenklich vor den anderen setzend. Sie hatte jetzt Hannibal ganz vergessen und dachte an einen Menschen, an einen schönen Menschen. Einen schönen, jungen, einen Menschen männlichen Geschlechts. Und sie hatte das Gefühl, daß sie sich, wenn dieser ihr jetzt mit oder ohne Maschendraht vors Gesicht käme, ähnlich benehmen würde wie der wüterige Hahn: ihm ins Gesicht springen und auf ihn loshacken, wo es auch hinträfe. Haut den Lukas, gib ihm Saures, Blut muß fließen ...

      Ach, ach, ach, was nützte es, sich in solchen Träumen zu ergehen? Er war nicht hier, und wäre er es, so würde sie sich nicht so benehmen, wie sie es sich jetzt rachsüchtig ausmalte, ganz abgesehen davon, daß Frauen, die wütend werden, sehr an Charme einbüßen. Da werden Weiber zu Hyänen – nein, danke, ohne mich, es ist eine Frage des Geschmacks.

      Sie hatte ihn geliebt. So, daß ihr Herz lostrommelte, wenn sie ihn nur von weitem sah, daß sie kaum sprechen konnte, wenn er sie anredete. Nichts war zwischen ihnen gewesen, als daß sie ihn liebte und er eines Tages sagte, ganz unbefangen, so wie etwa ein anderer über eine Automarke oder die Bundesliga spricht: „Für mich kommt natürlich nur ein reiches Mädchen in Frage. Bei meinem Aussehen kann ich das erwarten. Ein reiches, und hübsch und gescheit muß es natürlich auch sein. Darunter tue ich es nicht.“

      Es war nicht die Tatsache, daß sie selbst nicht reich war und niemals sein würde, auch nicht allzu hübsch und gescheit. Das alles war es nicht. Aber daß er es fertigbrachte, so etwas zu sagen, nicht im Spaß, im Ernst.

      O ja, das tat weh. Liebe tut weh. Denn sie liebte ihn immer noch, obwohl sie ihn verachtete, verachten mußte ob dieser seiner Einstellung. Ihr Herz war nicht gebrochen, nicht im anatomischen Sinn, o nein. Sie fühlte es deutlich klopfen, der Puls war weder beschleunigt noch matt, der Appetit gut (leider, im Hinblick auf die erstrebte schlanke Linie), und geschlafen hatte sie heute nacht wie ein Bauer, der seine Ernte wieder goldschwer in die Scheuer eingebracht hat. Dennoch ...

      Die Liebe. Ein alter, übrigens sehr reizender, kluger und belesener Herr hatte uns einmal gesagt: „Wieviel Unheil und Kummer, wie viele Verbrechen und Tragödien entstehen durch die Liebe. Zur Fortpflanzung ist sie zwar nötig, aber wäre es nicht besser, der Mensch pflanzte sich durch Teilung fort?“ Er sagte Deilung, denn er stammte aus Sachsen. Es klang hinreißend.

      Wir hatten ihn angestarrt, sein freundliches, faltendurchriffeltes, geliebtes Gesicht, seine grauen Augen. In ihren Winkeln saß ein verstecktes Lächeln, man fühlte es mehr, als man es sah. Ich nahm den alten Herrn, was ich noch nie getan hatte, spontan um den Hals, drückte mein Gesicht an seine Brust, während ich den Kopf schüttelte, wild, daß der feine alte Herr beinah ins Wanken kam.

      „Nein. Nein. Nein. Was wäre die Welt ohne die Liebe?“

      „Finde ich nämlich auch im Grund. Was wären Shakespeare, Baudelaire oder Heine ohne sie – und du – und ich ...“

      Mir war damals gar nicht sehr wohl in bezug auf die Liebe, gar, gar nicht sehr. Aber ...

      „Lieb kann nicht ohne Leides sein ...“

      Dasselbe dachte Lindi, heimgekehrt vom Gestade des wilden Hannibal.

      „Natürlich. Liebe bringt Leid. Aber doch nicht so. Das ist wohl das Schlimmste ...“

      Und wenn sie erwidert wird, und der andere ist verheiratet? Oder der Mann ist zwanzig Jahre jünger? Oder ...

      „Wem niemals Leid von Liebe kam,

      dem kam auch nie von Liebe Lust ...“

      Hundert Verse, tausend Zitate, noch mehr Lieder. Das zersprungene Ringlein, das gebrochene Wort, das tiefe, tiefe Wasser, das zwischen den beiden Königskindern liegt, die einander so lieb haben. Immer wieder, immer aufs neue. Und sie,


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