Annke - Kriegsgeschichte eines ostpreussischen Mädchens (1914-1918). Alfred Hein

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Annke - Kriegsgeschichte eines ostpreussischen Mädchens (1914-1918) - Alfred Hein


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schlug in der Nähe ein — da eilte er hinaus.

      Als die Jungens Grossmutters Wagen, den die Russen bei ihrer Flucht aus dem Dorf vor einigen Tagen stehen gelassen hatten, anspannten und die Grossmutter auf den Kutschbock kletterte, da schüttelten die Russen die Köpfe und zeigten grinsend auf ihre Füsse, ahmten ein kindisches Laufen nach — das hiess also: zu Fuss.

      Durch Nacht und Schnee —

      Da zogen sie hin.

      Der Pfarrer, der Vater, die Grossmutter und der Alte voran.

      Dann die Mutter mit dem Brüderchen, das sie, nur in ein Tuch gebunden, im Arm trug. Neben ihr Annke, Adolf und Herbert.

      Bernhard mürrisch und wütend hinterdrein.

      Dann die Frau Pfarrer mit der Frau Domscheit und der Frau Blieskat, die auch nicht mehr in ihr Heimatdorf zurück durften, ein jeder trug ein Bündel mit eiligst zusammengerafften Sachen, zum Schluss am ärgsten bepackt die Mägde.

      Annke Hennig trug auch einen Rucksack voll in der Hast wahllos zusammengesuchter Dinge. Wichtiges war vergessen, Unwichtiges in der Aufregung mitgenommen. Als sie das Brot aus der Speisekammer holen wollte, war es von den Russen schon gestohlen. Milch für das Kleine ...?

      Auf der Landstrasse währte der Weg zur Grenze in friedlichen Tagen eine Stunde. Doch die Russen schüttelten die Köpfe, als der Vater ihnen den geraden Weg nach Garsden, der russischen Grenzstation, wies. Statt nach Osten, führten die Soldaten sie kreuz und quer über verschneite Felder und Sturzäcker, über Gräben und Hügel gen Norden. Denn immer näher kam das deutsche Gewehrfeuer, in wenigen Stunden mussten die braven Landstürmer von Tilsit her wieder in Rosillen sein.

      Mächtige Feuerscheine brennender Scheunen und Gehöfte erfüllten die schwarze Nacht. Der Schnee glitzerte golden darin. „Vielleicht steht auch unser Schulhaus schon in Flammen,“ sagte der Vater. Dann wandte er sich abermals an den Unteroffizier und wies nach Osten. Doch die Russen liefen weiter mit ihnen querfeldein. Das Brüderchen schrie, die Mutter stöhnte unter seiner Last, und die Grossmutter fluchte auf die Soldaten, was das Zeug hielt.

      Als ihr einer mit dem Säbel drohte, da sagte sie zum Vater: „Hau ihm eins in die freche Schnauze!“

      Plötzlich ein rasendes Pferdegetrappel. Russische Kavallerie im Galopp zurück — schon vorbei!

      Versprengte Trupps Infanterie tauchten da und dort auf. Riefen den Begleitsoldaten der Verschleppten ängstlich etwas zu. Darauf trieben sie die müde und erfroren Dahinwankenden zur Eile an.

      Immer weiter dahin — dorthin. „Ach Gott,“ sagte der Pfarrer, „hier ist ja erst Grambowischken, wir sind im Kreise herumgelaufen.“

      Zum Schluss sprach keiner mehr ein Wort.

      Annke rieb die Hände. Sie waren ohne Gefühl. Ihre Füsse stapften seltsam hohl und wie Fremdkörper an ihr hängend dahin. Der Rucksack drückte nicht mehr. Die Tränen, die Worte, alle menschlichen Regungen waren versiegt. Nur das Herz klopfte wild und hart gegen die kleine Brust.

      Endlich matt erleuchtete Hütten — das da drüben war Garsden — und hier die Ruinen, durch die die hoffnungslose Schar jetzt schritt, war Laugallen, der deutsche Grenzort.

      Lieb Heimatland ade — — —

      Aber noch immer hofften die Männer, dass irgendwo plötzlich deutsche Reiter auftauchen und sie in die Heimat zurückführen werden.

      Der Schnee sank in dicken Flocken. Eisiger Nordwind. Kein Stern am Himmel. Kanonengedröhne. Gewehrgeknatter. Und als wäre die Erde am Tage des jüngsten Gerichtes aufgebrochen, flackerten die Feuerscheine. Ganze Dörfer brannten.

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