Die Faust des Riesen. Band 1. Rudolf Stratz

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Die Faust des Riesen. Band 1 - Rudolf Stratz


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Berlin sind’s nur zwei Stunden. Wenn du hinkommst, ist’s kaum Mittag! Um die Zeit spielt kein Mensch!“

      „Na ... ich such’ mir schon mein Partiechen!“

      Und fast mitleidig fuhr er fort: „Überhaupt ... was weisst denn du von so Sachen?“

      „Ich weiss noch nichts. ... Aber ich ahne genug ... ich fühle so etwas ... seit Wochen und Monaten ... Diether ... schau mich an. ... Gib mir dein Ehrenwort ...“

      „Welches ...? Das grosse oder das kleine ...?“

      Er zog sich eine Zigarre heraus und brannte sie umständlich an. Während er sie zwischen den Zähnen hielt, brummte er zu Martine, die schweigend zurückgetreten war: „Vorhin ödest du mich mit der alten Kasinogeschichte und dem Ehrenrat damals an ... jetzt soll ich auf einmal wieder mein Ehrenwort geben. ... Ja, liebste, beste Leute ... eines von beiden ist doch nur möglich! Ihr verlangt wirklich zu viel von ’nem schlichten Ackerbürger wie mir. ... Bring mal lieber den Schlüssel zum Vorschein. Ich kann hier doch nicht durch das Fenster klettern ... zum Gaudium für das Volk draussen ...“

      Martine rührte sich nicht. Sie sprach atemlos, stossweise: „Du bleibst! ... Alles bisher hab’ ich dir verziehen ... das Spiel ... den Zusammenbruch unseres Vermögens ... die Schulden ... all den Jammer hier, bei dem eine andere schon längst über alle Berge wäre! Aber wenn du mich auch noch betrügst ...“

      „Betrügst? ... Wieso?“

      „Wenn du mir auch das noch antust in Berlin, das ist mehr, als ein Mensch ertragen kann ... dann hüte dich ...“

      Sie brach ab. Er frug erstaunt: „Martine ... wie kommst du denn auf die Vermutung?“

      „Ich fühl’ es ...“

      „Da fühlst du aber gründlich daneben! Davon ist nun wirklich im hitzigsten Fieber keine Rede. ... Nee ... wirklich. ... Sieh mal: ein paar gute Seiten muss doch auch ein Unmensch haben ... und gerade damit nehm’ ich’s höllisch ernst! Das wird dir jeder bezeugen, der mich kennt ...“

      Sie sah ihn düster und unschlüssig an. Sie wiederholte leise: „Dann hüte dich ...“

      Es klang unheimlich in dem niederen, eichengetäfelten Zimmer.

      Er fuhr auf: „Herrgott ... nun wird’s mir aber zu bunt. ... Wer soll’s denn sein, zum Kuckuck? ... Nenn doch einen Namen, wenn du Verdacht hast! ... Raus mit der grossen Unbekannten ...“

      „Ich weiss keinen Namen ... ich weiss nichts ...“

      „Na also ...“

      „Aber da ... zwischen uns ... da ist etwas ... da seh’ ich etwas ... da gibt’s ein Ende mit Schrecken, Diether! Mehr sag’ ich dir nicht!“

      Sie hatte es aufgeschrieen. Er war unwillkürlich einen halben Schritt von ihr zurückgetreten. Dann schüttelte er den Kopf und meinte nach einer Pause, gezwungen lachend: „Man könnte sich manchmal wirklich vor dir fürchten, Martine!“

      Die junge Frau antwortete nichts. Da änderte er seinen Ton. Er näherte sich ihr wieder. Seine Stimme klang tief und warm, während er dicht vor ihr stand und seinen männlich schönen Kopf über sie neigte: „Du tust mir so sehr unrecht, Martine. ... Du denkst, weil ich den einen unglückseligen Koller hab’ mit den Karten, da müsste ich auch sonst ... nein ... du bist doch meine Frau ... Ich lieb’ dich doch! ... Ich hab’ dich zu sehr vernachlässigt ... ich seh’s ja ein ... ich will’s besser machen ... von morgen ab. ... Nur heute lass mich jetzt weg ... Donnerwetter ... schon dreiviertel neun! Ein Segen, dass der Bummelzug immer Verspätung hat.“

      Seine Frau war weicher geworden. Sie bat mit erstickter Stimme, Tränen in den Augen.

      „Bleib doch da ...“

      „Ich kann nicht!“

      „Bleib, oder ich glaub’ es dir nicht!“

      „Es ist wahr! Ich schwör’ es dir bei ... bei unsern Kindern ...! Was willst du denn noch mehr ...? Was gibt es denn da draussen?“

      Es hatte aussen an die Türe geklopft. Die Stimme des Hausmädchens meldete: „Gnädiger Herr, der Philipp lässt sagen, nun wäre es aber die allerhöchste Zeit ...“

      „Ja doch zum Donnerwetter ... ich komme. ... Martine ... den Schlüssel her. ... Ich verstehe jetzt keinen Spass mehr ...“

      Er wollte selbst mit der Hand in ihre Tasche fahren. Sie krallte ihre Rechte in seinen Ärmel, sie hielt ihn fest. So keuchte sie ihm ins Gesicht: „Warum hast du mich geheiratet?“

      „Schrei nicht so! Das Haus läuft ja zusammen!“

      „Mag’s hören, wer will! Warum hast du mich geheiratet?“

      Er rang zornig mit ihr.

      „Himmelherrgott ... lass mich los!“

      „Hast du mich wirklich nur wegen meiner Mitgift genommen, weil du die Hypothek von deinem Bruder nicht zugestanden bekamst? Die Leute sagen’s ja alle! ... War ich wirklich so dumm?“

      Ihr Widerstand erbitterte ihn. Das Blut stieg ihm zu Kopfe.

      „Wenn ich ja sag’, ist’s dir auch wieder nicht recht!“ schrie er. „Ich sage überhaupt nichts mehr! Ich will mal sehen, wer mich hier in meinem eigenen Hause einsperrt!“

      Er warf sich mit der ganzen Wucht seines Riesenkörpers gegen die Türe. Es war wie der Anprall eines Stiers. Das Holz krachte. Schloss und Angeln wankten, der eine Flügel schlug nach aussen auf und dem draussen horchenden, nicht rasch genug zurückspringenden Mädchen an den Kopf, dass es schrie. Ohne sich um sie zu kümmern, stürmte Diether von Brake an ihr vorbei und mit ein paar Sätzen durch die Halle und die Freitreppe hinab bis zum Wagen, an dem hinten ein in einen zerrissenen Kartoffelsack gewickeltes Paket festgebunden war, Brakesche Familienbilder, für deren altvergoldete und geschnitzte Holzrahmen der Trödler in Berlin noch ein paar Zehnmarkstücke gab. „Los wie der Deubel, Philipp!“ schrie er. „Fahr durch die Sandkuhle hinunter ... sonst kommen wir nimmer zurecht ...“

      Der Kutscher zauderte. Der Inspektor des Gutes, breitschulterig, schwerfällig, mit unruhigen, wässerigen kleinen Fuchsaugen in dem vom Trunke geröteten Gesicht, war mit der Mütze in der Hand an seinen Herrn herangetreten und raunte ihm besorgt etwas zu. Der Riese im Wagen lachte laut. Er wandte sich unbefangen um und rief, als wäre nichts geschehen, zu seiner Frau in das ebenerdige Zimmer hinein: „Du, Martine, hörst du. ... Das ist nu der Dank von so ’nem Kerl, wenn man ihm väterlich ein paar hinter die Ohren gegeben hat! Der Gercke ... der Lump, den ich das letztemal hier weggejagt hab’, der sitzt drüben in den Kuscheln und will auf mich schiessen! ... Nee ... so was. ... Es ist eben keine Zucht mehr in der Bande ...“

      Er schaute verächtlich nach vorne in den Kieferforst, der sich auf dem weisspulverigen Hügelboden bis nahe an das Herrenhaus heranzog, und wehrte dem Inspektor mit einer Handbewegung: „Kein Gegacker, Kunzelnick! ... Ich werd’ doch solch einem Mistvieh nicht aus dem Weg gehen! Vorwärts, Philipp. ... Rin in die Kuscheln! Hol’ der Deubel den Kerl, wenn ich ihn seh’ ...!“

      Seine Stimme schmetterte über Hof und Strasse. Der Alte hieb schweigend auf die Pferde. Im Galopp flog der leichte Jagdwagen den Hang hinunter. Der Majoratsherr stand in ihm aufrecht, etwas vorgebeugt, die Hände auf den Kutschbock gestützt, kriegslustig nach vorn, nach dem Feinde spähend. Sein blonder Kopf mit dem runden Filzhut, seine mächtigen Schultern hoben sich scharf in der freien Luft vom Nebelgrau ab. Dann war er um die Ecke, und der Inspektor Kunzelnick brummte zu Pauline, der Mamsell, seiner Tochter, die eben mit einer abgetanen Gans um die Ecke kam: „Furcht hat er nicht, der Herr! ... Dat muss ihm der Neid lassen ...“

      Breitbeinig stapfte er in seinen schweren Wasserstiefeln nach den Ställen zurück. Martine sah ihm nach. Sie wusste: der alte hinterlistige Biedermann war ihrem Gatten blindlings ergeben. Seine Tochter, die Mamsell, auch! Philipp, der Kutscher, auch! Alle Leute hier! Für gewöhnlich erhielten sie ja keinen Lohn. War aber einmal drüben in Berlin auf dem grünen Tuch zwischen Mitternacht und Morgengrauen ein grosser Schlag


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