Auf zwei Planeten (Science-Fiction). Kurd Laßwitz

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Auf zwei Planeten (Science-Fiction) - Kurd Laßwitz


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Hypothesen zu tun haben, so lange er noch auf eine andere Erklärung hoffen konnte. Doch als der Ballon von jener unerklärlichen Kraft in die Höhe gerissen wurde, mußte er wieder an diese Hypothese denken. Und jetzt, die merkwürdige Rettung, die seltsamen Stoffe, das Bild! Was war das für ein Stern, der auf diesem Bild beobachtet wurde? Er strengte seine scharfen Augen an, um die Abbildung auf der Tafel zu erkennen. Eine hell beleuchtete schmale Sichel, der übrige Teil der Scheibe in einem matten Schimmer – und diese dunklen Flecke, die weißen Kappen an den Polen – kein Zweifel, das war die Erde, wie sie vom Mars aus bei starker Vergrößerung erschien, die schmale Sichel im Sonnenschein, das übrige schwach vom Mondlicht erhellt. – Grunthe konnte sich nicht länger der Ansicht verschließen, daß er bei den Marsbewohnern sich befinde – ein Gast, ein Gefangener – wer konnte es wissen?

      Wie konnten Marsbewohner auf die Erde kommen? Grunthe wußte die Frage nicht zu beantworten. Nahm man aber die Tatsache einmal als gegeben, so erklärten sich die andern Erscheinungen sehr leicht, der Wunderbau der Insel, die Beeinflussung des Ballons, die Rettung, die Einrichtung des Zimmers – die Hypothese der Marsbewohner war doch wohl die einfachste –

      Und auf einmal zuckte Grunthe zusammen – eine Erinnerung wurde ihm plötzlich lebendig –, seine Lippen schlossen sich fest aufeinander, und zwischen seinen Augenbrauen bildete sich eine tiefe senkrechte Falte – Er spannte sein Gedächtnis aufs äußerste an –

      Ell, Ell!, sagte er bei sich. – Was war es doch, was ihm Ell gesagt hatte, ehe er die Reise antrat? Friedrich Ell, der Freund Torms, lebte als Privatgelehrter in Friedau seinen Studien, aber er war der eigentliche geistige und der pekuniäre Urheber der Expedition, die Seele der internationalen Vereinigung für Polarforschung. Mit ihm hatte er oft über die Möglichkeit disputiert, wie die Bewohner des Mars mit der Erde in Verbindung treten könnten. Und Ell hatte immer gesagt: Wenn sie kommen, so haben wir sie am Nordpol oder am Südpol zu erwarten. Man springt auf einen Eisenbahnzug nicht, wo er in Fahrt ist, sondern wo er steht. Wer weiß, was Sie am Pol finden! Grüßen Sie mir die – – ja, das Wort hatte er vergessen. Er hatte kein Gewicht darauf gelegt. Man wußte nicht immer bei Ell, ob er scherze oder im Ernst spräche. »Grüßen Sie mir die –« Es fiel ihm nicht ein. Aber wohl erinnerte er sich, wie Ell eines Abends sehr erregt geworden war, als man von den Bewohnern des Mars wie von Fabelwesen gesprochen hatte. Er hatte dann das Gespräch plötzlich abgebrochen.

      Grunthe wurde aus seinem Nachsinnen gerissen. Hinter dem Bild der Marslandschaft wurden Stimmen laut. Was war das für eine Sprache? Grunthe kannte sie nicht, er verstand kein Wort.

      Hinter dem Schirm hatte, von Grunthe unbemerkt, La gesessen. Es war ihr sehr unbequem, unter dem Druck der irdischen Schwerkraft auszuhalten, und sie hatte sich deshalb unbeweglich auf ihr Sofa gestreckt. Jetzt kam Se schwerfällig herbei und ließ sich ebenfalls nieder.

      »Wie geht's dem Bat?« fragte sie.

      »Ich weiß es wirklich nicht«, sagte La, »ich habe noch nicht gehört, daß er sich bemerklich gemacht hätte, und unter diesem Druck kannst du nicht verlangen, daß ich zu ihm hingehe.«

      »So machen wir es leicht!« rief Se und streckte die Hand nach dem Griff des abarischen Apparates aus.

      »Aber Hil hat es verboten«, erwiderte La. »Es könnte schädlich wirken.«

      »Ach, ich habe es drüben auch so gemacht, auf kurze Zeit tut es dem Bat nichts. Hast du ihn denn schon gefüttert?«

      »Nein, wie konnte ich?«

      »Und doch ist es nötig, meint auch Hil. Und so lange müssen wir mindestens uns frei bewegen können. Also, auf meine Verantwortung.«

      Se stellte den Apparat auf die normale Marsschwere ein. Die beiden Damen erhoben sich und atmeten erleichtert auf.

      In demselben Augenblick wollte Grunthe eine Bewegung ausführen, aber sein Arm fuhr plötzlich viel höher, als er beabsichtigt hatte. Sogleich probierte er die Bewegung noch einmal und konstatierte, daß alle seine Gliedmaßen sowie die Decke seines Bettes viel leichter geworden waren. Er suchte nach einem Gegenstand, den er in die Höhe werfen wollte, um das wunderbare Phänomen zu studieren. Da er jetzt trotz des Verbandes an seinem Fuß den Oberkörper leicht aufrichten konnte, erblickte er auf einem Wandbrett über seinem Lager einige Gegenstände, die ihm gehörten; man hatte sie offenbar in seinen Taschen gefunden. Er ergriff sein Taschenmesser, hielt es so hoch wie möglich über den Boden und ließ es fallen. Er konnte den Fall bequem mit den Augen verfolgen; es dauerte eine Sekunde, ehe das Messer den Boden erreichte. Grunthe schätzte die Höhe und sagte sich: Die Schwerkraft ist geringer geworden, und zwar beträgt sie nur etwa ein Drittel soviel wie gewöhnlich. Das ist die Schwere auf dem Mars. Und wieder mußte er an Ell denken, der so oft gesagt hatte: »Von der Schwere frei werden, heißt das Weltall beherrschen.«

      Auf das leichte Geräusch, welches das Auffallen des Messers erzeugte, hatte Se den Wandschirm beiseite geschoben und war mit La auf Grunthe zugetreten. Dieser hatte seine Aufmerksamkeit nicht mehr auf den Schirm gerichtet und schrak daher mit einer Bewegung der Überraschung zusammen, als er plötzlich die beiden schönen Martierinnen vor sich sah. Kaum hatte er erkannt, daß sich zwei lebendige weibliche Gestalten ihm näherten, so legte er sich mit eisiger Miene zurück und heftete die Augen starr an die Decke. Da er La und Se nicht anzusehen wagte, konnte er nicht bemerken, mit welch freundlichen und teilnahmsvollen Blicken sie ihn betrachteten. Nur an dem Ton der Stimmen, mit welchem sie in ihrer Sprache einige Worte an ihn richteten, erkannte er die gute Gesinnung. La zupfte ihm die Decke zurecht, Se aber beugte sich über ihn und sah mit ihrem leuchtenden Blick tief in seine Augen. Diese Damengesellschaft war ihm schrecklich; lieber hätte er sich von feindlichen Wilden umgeben gesehen. Ach, und nun fühlte er eine weiche Hand auf seinem Kopf, Se streichelte sein Haar – unwillig stieß er die Hand zurück.

      »Armer Mensch«, sagte Se, »er scheint noch ganz verwirrt. Wir müssen ihm vor allen Dingen zu trinken geben.« Sie legte die Hand wieder auf seine Stirn und sagte: »Fürchte dich nicht, wir tun dir nichts, armer Mensch.«

      »Ko bat«, so lautete das letzte Wort Ses in ihrer Sprache, »Ko bat« – es wirkte überraschend auf Grunthe –, das war einer der seltsamen Ausdrücke Friedrich Ells. So pflegte Ell zu sagen, wenn er mit einer seiner wunderlichen Ansichten nicht durchdringen konnte, wenn er sein Mitleid mit dem Mangel an Verständnis bei den Menschen bezeichnen wollte. Oft hatte ihn Grunthe gefragt, wo diese Redensart herstammen wie er dazu käme. Dann hatte Ell immer nur still gelächelt und wiederholt: »Ko bate, das versteht ihr nicht, arme Menschen!« Diese Erinnerungen waren mit dem Wort in Grunthe wieder aufgetaucht. Er verhielt sich jetzt ganz ruhig.

      Inzwischen hatte La ein Trinkgefäß herbeigeholt, mit dem wunderbaren Nektar der Martier gefüllt. Die Martier tranken stets durch einen mit Mundstück versehenen Schlauch, der in dem Gefäß befestigt war, und dieses Mundstück versuchte La jetzt Grunthe zwischen die Lippen zu schieben. Aber das war vergebliches Bemühen, Grunthe hielt sie fest geschlossen und wandte sein Gesicht zur Seite.

      »Die Bate sind aber unliebenswürdige Geschöpfe«, sagte La lachend.

      »Oh«, entgegnete Se, »Saltner war ganz anders, der redete gleich!« Grunthe hatte den Namen erfaßt, jetzt öffnete er zum ersten Mal die Lippen.

      »Saltner?« fragte er, ohne jedoch Se anzublicken.

      »Ach«, sagte Se, »siehst du, er kann hören und sprechen. Nun paß auf, nun werde ich einmal mit ihm reden.«

      Sie schlug den Arm freundschaftlich um Las Schulter und stellte sich nahe an das Lager. Dann sagte sie mit großer Anstrengung ihres Sprachorgans die von Saltner gelernten deutschen Worte: »Saltner deutsch Freund trinken Wein, Grunthe trinken Wein, deutsch Freund.«

      Grunthe warf jetzt einen erstaunten Blick auf die deutsch redende Martierin, während La über die Worte, die ihr furchtbar komisch vorkamen, kaum ihr Lachen verbergen konnte. Auch Grunthe war im Begriff zu lächeln, als er aber die beiden verführerischen Gestalten so nahe vor sich erblickte, starrte er sofort wieder an die Decke, antwortete jedoch in höflichem Ton:

      »Wenn ich recht verstehe, so ist auch mein Freund Saltner gerettet. Sagen Sie, bitte, wo ich hier bin.«

      »Trinken


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