Auf zwei Planeten (Science-Fiction). Kurd Laßwitz

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Auf zwei Planeten (Science-Fiction) - Kurd Laßwitz


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      Unter dem Einfluß der geheimnisvollen Kraft, welche die Trümmer der verunglückten Expedition in der Richtung der Erdachse vom Nordpol forttrieb, hatten sie eine ungeheure Beschleunigung erlangt. Der in die Falten des Ballons hineingetriebene Korb bewegte sich jetzt mit rasender Geschwindigkeit nach oben. Wenige Minuten mußten genügen, den Tod der Insassen zu bewirken, da der Verschluß der Gondel sie nicht hinreichend zu schützen vermochte.

      Nicht mehr von der Erde aus erkennbar schien das seltsame Geschoß einsam und verlassen den Weltraum zu durcheilen, jeder menschlichen Macht entrückt, ein Spielball kosmischer Kräfte – –

      Und dennoch war der Ballon der Gegenstand gespanntester Aufmerksamkeit.

      Die Beobachter desselben befanden sich auf einer Stelle, wo kein Mensch lebende Wesen vermutet, ja nur eine solche Möglichkeit hätte verstehen können. Daß der Nordpol von unbekannten Bewohnern besetzt sei, war ja äußerst seltsam und überraschend; aber er war doch ein Punkt der Erde, auf welchem lebende Wesen sich aufzuhalten und zu atmen vermochten. Der Ort dagegen, von welchem aus man jetzt auf den verunglückten Ballon aufmerksam wurde, befand sich bereits außerhalb der Erdatmosphäre. Genau in der Richtung der Erdachse und auf dieser genau so weit von der Oberfläche der Erde entfernt wie der Mittelpunkt der Erde unterhalb, also in einer Höhe von 6356 Kilometer, befand sich frei im Raume schwebend ein merkwürdiges Kunstwerk, ein ringförmiger Körper, etwa von der Gestalt eines riesigen Rades, dessen Ebene parallel dem Horizont des Poles lag.

      Dieser Ring besaß eine Breite von etwa fünfzig Metern und einen inneren Durchmesser von zwanzig, im ganzen also einen Durchmesser von 120 Metern. Rings um denselben erstreckten sich außerdem, ähnlich wie die Ringe um den Saturn, dünne, aber sehr breite Scheiben, deren Durchmesser bis auf weitere zweihundert Meter anstieg. Sie bildeten ein System von Schwungrädern, das ohne Reibung mit großer Geschwindigkeit um den inneren Ring herumlief und denselben in seiner Ebene stets senkrecht zur Erdachse hielt. Der innere Ring glich einer großen kreisförmigen Halle, die sich in drei Stockwerken von zusammen etwa fünfzehn Metern Höhe aufbaute. Das gesamte Material dieses Gebäudes wie das der Schwungräder bestand aus einem völlig durchsichtigen Stoffe. Dieser war jedoch von außerordentlicher Festigkeit und schloß das Innere der Halle vollständig luft- und wärmedicht gegen den leeren Weltraum ab. Obwohl die Temperatur im Weltraum rings um den Ring fast zweihundert Grad unter dem Gefrierpunkt des Wassers lag, herrschte innerhalb der ringförmigen Halle eine angenehme Wärme und eine zwar etwas stark verdünnte, aber doch atembare Luft. In dem mittleren Stockwerk, durch welches sich ein Gewirr von Drähten, Gittern und vibrierenden Spiegeln zog, hielten sich auf der inneren Seite des Rings zwei Personen auf, die sich damit beschäftigten, eine Reihe von Apparaten zu beobachten und zu kontrollieren.

      Wie aber war es möglich, daß dieser Ring in der Höhe von 6356 Kilometern sich freischwebend über der Erde erhielt? Eine tiefreichende Erkenntnis der Natur und eine äußerst scharfsinnige Ausbildung der Technik hatten es verstanden, dieses Wunderwerk herzustellen.

      Der Ring unterlag natürlich der Anziehungskraft der Erde und wäre, sich selbst überlassen, auf die Insel am Pol gestürzt. Gerade von dieser Insel aus aber wirkte auf ihn eine abstoßende Kraft, welche ihn in der Entfernung im Gleichgewicht hielt, die genau dem Halbmesser der Erde gleichkam. Diese Kraft hatte ihre Quelle in nichts anderem als in der Sonne selbst, und die Kraft der Sonnenstrahlung so umzuformen, daß sie jenen Ring der Erde gegenüber in Gleichgewichtslage hielt, das eben hatte die Kunst einer glänzend vorgeschrittenen Wissenschaft und Technik zustande gebracht.

      In jener Höhe, einen Erdhalbmesser über dem Pol, war der Ring ohne Unterbrechung der Sonnenstrahlung ausgesetzt. Die von der Sonne ausgestrahlte Energie wurde nun von einer ungeheuren Anzahl von Flächenelementen, die sich in dem Ringe und auf der Oberfläche der Schwungräder befanden, aufgenommen und gesammelt. Die Menschen verwenden auf der Erdoberfläche von der Sonnenenergie hauptsächlich nur Wärme und Licht. Hier im leeren Weltraum aber zeigte sich, daß die Sonne noch ungleich größere Energiemengen aussendet, insbesondere Strahlen von sehr großer Wellenlänge, wie die elektrischen, als auch solche von noch viel kleinerer als die der Lichtwellen. Wir merken nichts davon, weil sie zum größten Teile schon von den äußersten Schichten der Atmosphäre absorbiert oder wieder in den Weltraum ausgestrahlt werden. Hier aber wurden alle diese sonst verlorenen Energiemengen gesammelt, transformiert und in geeigneter Gestalt nach der Insel am Nordpol reflektiert. Auf der Insel wurden sie, in Verbindung mit der von der Insel direkt aufgenommenen Strahlung, zu einer Reihe großartiger Leistungen verwendet; denn man hatte auf diese Weise eine ganz enorme Energiemenge zur Verfügung.

      Ein Teil dieser Arbeitskraft wurde nun zunächst dazu gebraucht, ein elektromagnetisches Feld von gewaltigster Stärke und Ausdehnung zu erzeugen. Die ganze Insel mit ihren hundertvierundvierzig Rundbastionen stellte gewissermaßen einen riesigen Elektromagneten vor, der von der Sonnenenergie selbst gespeist wurde. Die Konstruktion war so angelegt, daß die Kraftlinien sich um den Ring konzentrierten und dieser, der Schwerkraft entgegen schwebend gehalten wurde. Daß dies genau in der Entfernung des Erdhalbmessers vom Pole geschah, hing mit einer Beziehung zwischen Elektromagnetismus und Schwere zusammen, infolge deren sich gerade an dieser Stelle eine Art Knotenpunkt für die Wellenbewegung beider Kräfte zu bilden vermochte und das Gleichgewicht ermöglichte.

      Allerdings wurde durch eine Reihe komplizierter und höchst scharfsinnig ausgedachter Kontrollapparate dafür gesorgt, daß alle Schwankungen der Energiemengen zur rechten Zeit ausgeglichen wurden. Einen solchen Apparat aufzustellen wäre indessen an keinem anderen Punkte der Erde möglich gewesen als in der Verlängerung ihrer Rotationsachse, also über dem Nordpol oder über dem Südpol. Denn an jeder andern Stelle hätte, abgesehen von tieferliegenden Schwierigkeiten, die Verschiebung der Erdoberfläche infolge der täglichen Umdrehung der Erde unüberwindbare Hindernisse für die Herstellung des Gleichgewichts zwischen der Schwerkraft und dem Elektromagneten geboten; auch hätte die gleichmäßige Sonnenstrahlung gefehlt. Der Pol bietet aber in jeder Hinsicht die einfachsten Verhältnisse wenn es gelingt, bis zu ihm zu gelangen.

      Nun, die unübertroffenen Ingenieure der Insel und des Ringes waren einmal da. Aber wo kamen sie her? Wie waren sie dorthin gelangt, ohne daß die internationale Kommission für Polarforschung die geringste Ahnung davon hatte? Und vor allem – wenn sie einmal da waren –, was hatte es für einen Zweck, jenen freischwebenden Ring über dem Pol zu balancieren? Und wenn einmal jener Ring da war, wie konnte man hinauf- und hinabkommen?

      Jener Ring war überhaupt nur ein Mittel, um einen ganz andern Zweck zu erreichen. Er diente dazu, einen Standpunkt außerhalb der Atmosphäre der Erde zu gewinnen, eine Station, um zwischen dieser und der Erde nichts Geringeres auszuführen, als – eine zeitweilige Aufhebung der Schwerkraft. Der Raum zwischen der inneren Öffnung des Ringes von zwanzig Metern Durchmesser und der auf der Insel sich befindenden Vertiefung, also ein Zylinder, dessen Achse genau mit der Erdachse zusammenfiel, war ein ›abarisches Feld‹. Dies bedeutet, ein Gebiet ohne Schwere. Körper, welche in diesen zylindrischen Raum gerieten, wurden von der Erde nicht mehr angezogen. Dieses abarische Feld bewirkte, daß in der ganzen Umgebung des Feldes Spannungen im Raum vorhanden waren, wodurch etwa sich nähernde Körper in das Feld getrieben wurden. Daher war es gekommen, daß der Ballon der Luftschiffer allmählich der Insel und damit dem abarischen Felde unentrinnbar zugeführt worden war.

      Die Erzeugung jenes Feldes, in welchem die Schwerkraft aufgehoben war für den inneren Raum zwischen Insel und Ring, war dadurch möglich gemacht worden, daß man eine der Erdschwere entgegengesetzt gerichtete Gravitationskraft herstellte. Es war jenen Polbewohnern bekannt, wie man diejenigen Strahlen, welche hauptsächlich chemische Wirkung, Wärme und Licht liefern, in Gravitation überführen kann. Sie wurden zu diesem Zweck bis in den inneren Teil des Ringes geleitet und traten hier in den ›Gravitationsgenerator‹. Dies war ein Apparat, durch welchen man Wärme in Gravitation umwandelte. Ein zweiter, ebenso eingerichteter Gravitationserzeuger befand sich in der zentralen Vertiefung im Inneren der Insel. Beide Apparate wirkten derartig zusammen, daß die Beschleunigung der Schwerkraft im Inneren zwischen Insel und Ring beliebig reguliert werden konnte. Man konnte sie entweder nur verringern, oder ganz aufheben – dann war das abarische Feld im eigentlichen Sinne hergestellt –, oder man konnte die Gegenschwerkraft so verstärken, daß die Körper innerhalb


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