Gesammelte historische Romane von Jakob Wassermann. Jakob Wassermann

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Gesammelte historische Romane von Jakob Wassermann - Jakob Wassermann


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Juwelen und gesamte fahrende Habe. Ob der Willkürakt, übrigens ein sehr gewöhnliches Ereignis in der Geschichte der abendländischen Juden, in kausalem Zusammenhang mit der Entdeckung Amerikas stand, läßt sich genau nicht sagen, wahrscheinlich ist es. Wenn die regierenden Fürsten Geld brauchten, mußten es die Juden beschaffen, konnten sie es im geforderten Ausmaß nicht beibringen, so wurde kurzer Prozeß gemacht, sie wurden der mühselig und unter den größten Demütigungen erworbenen Rechte für verlustig erklärt, was sie in Jahrzehnten, gehemmt von tausend boshaften, ja unmenschlichen Vorschriften und erniedrigenden Sonderbestimmungen mit unendlichem Fleiß und meist exemplarischer Lebensführung gesammelt hatten, wurde ihnen durch ein einfaches Edikt entrissen, und wenn sie dabei noch das nackte Leben retten konnten (in der Regel gelang dies nur einem kleinen Prozentsatz), konnten sie sich glücklich preisen. Man behandelte sie etwa wie einen ausgezeichnet funktionierenden Sparapparat, den man zerschlägt, wenn man genügend Schätze darin aufgespeichert hat. Wie die Tat des Columbus drüben in der entdeckten Welt Blutbad um Blutbad herbeiführte, war auch in der Heimat ihre unmittelbare Folge, daß Hunderttausende von friedlichen und unschuldigen Menschen von allen Existenzmitteln entblößt außer Landes gejagt und andere Hunderttausende (man nimmt an eine Viertelmillion) grausam hingeschlachtet wurden. Seltsam, dies zu denken, da es doch zunächst den Anschein hat, wie wenn es nichts Segensreicheres und Gesittung-Fördernderes geben könne, als für raumarme Völker, sei es in der Phantasie, sei es faktisch, neuen Raum zu erobern. Aber es muß wohl auf einer Art Selbstvernichtungshang beruhen, daß die Menschheit auch ihre reinsten Bestrebungen und glückverheißenden Vollbringungen in Blut und Tränen ersäufen muß. Unter der Herrschaft der Mauren waren die Juden geachtete Bürger gewesen, hohe Staatsbeamte, weltberühmte Lehrer und Gelehrte, tiefe Dichter, bedankte Mäzene, eine Zeit des Glanzes und der blühenden Entfaltung. Der spanisch-katholische Geist der Inquisition und der Pogrome machte dem mit der Rapidität und Gründlichkeit eines Eissturms ein Ende; wobei es bezeichnend und von gleichsam epigrammatischer Schauerlichkeit ist, daß die umbarmherzigste Verfolgung von einem jüdischen Mischling ausging, der sich bis zum obersten Staatswürdenträger und gefürchteten Kirchentyrannen und Priesterfürsten emporgeschwungen hatte.

      Es war ein Geschwader von siebzehn Fahrzeugen, großen und kleinen, das sich im Hafen von Cadix versammelte. Das Admiralsschiff führte den Namen Marigalante und war durch seine Größe und feste Bauart ausgezeichnet. Diesmal bedurfte es keiner Repressalien und Zwangsanheuerungen; Colón konnte sich der zuströmenden Freiwilligen kaum erwehren; die nicht mitkommen durften, verfielen in eine Art Tobsucht, und manche machten in der ersten Enttäuschung ihrem Leben ein Ende, es gab offenbar ganze Schichten von Verelendeten, denen sich plötzlich ein Dorado auf getan hatte; die an der Fahrt teilnehmen durften, befanden sich in einem wahren Fieber der Erwartung, vom Kapitän bis zum letzten Schiffsjungen sahen sie sich schon mit Gold beladen heimkehren, war Gold ihr einziger Gedanke. So schrieb der Admiral in seiner hölzernen Naivität an die Königin: »Gold ist das allervortrefflichste Ding; wer es besitzt, hat alles, was er sich in der Welt wünschen kann und bringt es so weit, daß er die Seelen ins Paradies befördern kann.« Hierin liegt nicht der leiseste Unterton von Sarkasmus; dieser Geist, obschon ihm die Menschenverachtung nicht fremd ist, weiß nichts von Ironie, seine Erfahrung ist eng und linear, der Ausdruck kennt nicht die Form der Übertragung; Seelen ins Paradies befördern, das meint er, wie es gesagt ist, im Sinn der Kirche, und wenn er es vermochte, absolvierte es ihn von jeder Sünde. Die Goldraserei, die damals über Europa hereinbrach, war eine geistige Pest, das sterbende Jahrhundert reichte sie dem neuen, keine Seele blieb unberührt, und wenn ein Schriftsteller es auf sich nähme, die wahrhaftige, vom verfälschenden Dunst der Abenteuerlichkeit gesäuberte Geschichte der Nachfolger des Columbus zu schreiben, die Menschheit würde sich schaudernd von dem Spiegelbild abwenden, das ihr da entgegengrinste.

      Um die indischen Angelegenheiten zu regeln, wurde eine eigene Behörde errichtet, an deren Spitze Colón als Admiral, Vizekönig und Gouverneur stand; dem Namen nach; das wirkliche Haupt war der Archidiakon von Sevilla, Juan de Fonseca, geheimer Rat des Königs, ein äußerst weltgewandter Herr, der sich auf Schiffe, Kanonen und Munition besser verstand als auf Evangelium und Brevier; entschieden handelnder Charakter, brachte er in den schleichenden Geschäftsgang der spanischen Kanzleien ein ungewöhnliches Tempo. Er war dem Columbus nicht geneigt; er beneidete ihn, er haßte ihn, er suchte ihn zu lähmen, seine Tätigkeit zu durchkreuzen, seine Verdienste herabzusetzen, wo er irgend konnte. Zunächst in der Stille und im Verborgenen. Einem Mann, der so blendend beleuchtet in der Sonne des Ruhms stand, mußten die Wege mit demonstrativer Willfährigkeit geebnet werden. So ergingen vorerst strenge Verfügungen über Lieferung, Kauf und Abmietung von Fahrzeugen, Waffen und Proviant, deren sich zu einem angemessenen (d. h. also willkürlich zu bestimmenden) Preis zu versichern die Beauftragten bevollmächtigt waren, auch hatten sie Befugnis und Gewalt, Pfändungen, Verhaftungen, Subhastationen, Verkäufe von Gütern und Waren vorzunehmen »nebst allen Inzidenzien, Dependenzien, Annexidaten und Connexidaten«. Den Kornhändlern in Sevilla und Cadix wurde befohlen, vierhundert Scheffel Getreide dem Alcalden von Malaga, fünfzig Harnische, fünfzig Hakenbüchsen, fünfzig Armbruste für den Bedarf der Armada zu liefern. Von ergötzlicher Borniertheit war das Verbot, daß irgendein Schiff, irgendeine Person, wes Standes und Namens immer, ohne die Genehmigung der Herrscher, des Admirals oder des Archidiakons nach den neuentdeckten Ländern reise, und Personen von anderem als katholischem Glauben konnten die Erlaubnis auf gar keinen Fall erlangen. Die geistliche Sorge stand voran. Deshalb fand der Antrag des Admirals bei den Majestäten ein gnädiges Gehör, daß sie ihm bei der Bekehrung und Belehrung der Indios tätige Hilfe leisteten. Zwölf auserwählte Mönche, die sich bei der Vertreibung der Juden und Mohammedaner hohe Verdienste erworben und schon manche Ketzer zum Scheiterhaufen gebracht hatten, wurden für würdig befunden, die Ungläubigen in den Schoß der Kirche zu führen, ihr Oberhaupt war Bernardo Buyl, Mönch vom Benediktinerorden des Klosters Monserrat, den der Papst zum apostolischen Vikar des neuen Indiens ernannte.

      Es gingen mit: Bergleute, Zimmerleute, Ackerbauer, Maurer, Schlosser, Schneider, Schuster, Weber, im ganzen über tausend besoldete Handwerker. Um die friedlichen Ansiedler zu schützen, bedurfte es einer geschulten Truppe; zwanzig Lanzenreiter aus Granada verdienen genannt zu werden, denn sie wurden binnen kurzem der blutige Schrecken der Indios. Eine große Zahl von Edelleuten hatte sich zu der verheißungsvollen Fahrt gedrängt, unter ihnen der hochherzige junge Alonso Ojeda, ein echter Ritter von bedeutenden Gaben und kühnem Geist, der durch seine Taten der Abgott schwärmerischer Jugend wurde. Von der Familie Pinzon nahm keiner mehr an dieser Fahrt teil. Martin Alonso war wenige Tage nach der Heimkehr gestorben, empfindsame Historiker behaupten, der Kummer habe sein Leben verkürzt, Columbus habe, sagen sie, über seinen Ungehorsam bei der Königin Beschwerde geführt, und als Pinzon den Wunsch geäußert, selbständig seinen Bericht zu erstatten, sich persönlich verantworten zu dürfen, sei ihm vom Hof bedeutet worden, er habe im Gefolge des Admirals zu erscheinen, da er dessen Untergebener sei, nichts weiter. Dies habe ihn so schwer gekränkt, daß er bald darauf starb. Es mag sich wohl so abgespielt haben; die Rache zu verschieben, um ihrer im rechten Moment sicher zu sein, das entsprach durchaus dem finstern und vergeltungssüchtigen Gemüt des Columbus.

      Am 23. September verließ die Flotte, eine höchst mangelhaft disziplinierte Ansammlung von Schiffen und Menschen, den Hafen von Cadix, am 3. November, nach vierzigtägiger Reise, wurden die Inseln Dominica und Guadelupe gesichtet, aber erst zwei Wochen später erreichte sie Española und jenen Hafen von La Navidad, wo die Siedlung für die zurückgelassenen Spanier gegründet worden war.

      Der Admiral ließ Salut schießen. Keine Antwort von der Küste. Der Gruß blieb unerwidert, tiefes Schweigen, auch kein Feuersignal war zu sehen. Dem Columbus ahnte nichts Gutes. Am andern Morgen erschienen Abgesandte des Kaziken und brachten als Bewillkommungsgeschenk zwei goldene Masken, die sie zu Füßen des Admirals niederlegten, worauf sie sich entfernten. Am Abend kamen abermals Leute des Guacamari, blieben jedoch am Strand und erklärten bedrückt, sie wollten erst an Bord gehen, wenn sie mit dem Admiral gesprochen hätten. Ganz recht, antwortet man ihnen, dort ist der Admiral, auf der Kommandobrücke steht er. Ja, sagten die Indios naiv, das mag wohl sein, aber ihr müßt uns ein Licht geben, damit wir ihn erkennen können. Dies geschieht, sie erkennen Columbus, zögernd steigen sie die Reling herauf, bleiben stumm und ängstlich im Halbdunkel. Wo ist euer Häuptling? fragt man sie, warum kommt er nicht, er


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