Gesammelte historische Romane von Jakob Wassermann. Jakob Wassermann

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Gesammelte historische Romane von Jakob Wassermann - Jakob Wassermann


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Keine andere Religion, kein anderes System trat fremdem Glauben und fremder Form mit solcher Überheblichkeit, mit so steinerner Unduldsamkeit gegenüber wie das spanisch-katholische Christentum.

      Ohne einen gewissen Mut und ohne Resignation kann man die Vergangenheit des menschlichen Geschlechts nicht als das erkennen, was sie ist: eine ununterbrochene Kette von Unrecht, Übervorteilung, Diebstahl, Gewalttat und Mord. Dies sind nur vierhundert und etliche Jahre. Ich kann mir eine Geistesstimmung denken, die seufzend zu dem Schluß gelangt: es könnte, mit nur geringen Variationen, auch gestern gewesen sein.

      Wie verhält es sich nun mit Columbus in dieser Sache: Hat er die Sklaverei der Indios gewollt, oder hat er sich nur unter äußerem Zwang bereit gefunden, sie zu dulden, zu fördern, zu begünstigen? War es seine wohlerwogene Absicht von Anfang an, oder stammte der Plan aus dem Hirn der Geschäftemacher und Spekulanten, die ihn am Gängelband führten? Die Frage läßt sich nicht kurzerhand bejahen oder verneinen, dem steht die Kompliziertheit seines Charakters entgegen, die, je mehr man sie zu ergründen sucht, zu einer wahren Unerforschlichkeit wird. Sehe ich ihn als grandiosen geschichtlichen Don Quichote, sozusagen als den Ur-Don Quichote, so ist es gerade seine romantische Vorstellung von den Indios, die ihn nur zum Ritter von der traurigen Gestalt macht; die tragisch-groteske Szene, wie der scharfsinnige Junker kampfbegeistert mitten in die Hammelherde reitet und ein sinnloses Blutbad unter den erschrockenen Tieren anrichtet, ist auch ein zentrales Symbol für den Don Quichote des Ozeans. Er wußte nicht, wohin er ritt und wogegen er stritt. Er sah nicht, er begriff nicht. Und als er endlich begriff, stürzte er für immer in jene unheilbare Melancholie, die von jeher über ihm gelauert hatte wie eine tödliche Krankheit.

      Als er eingesehen hatte, daß die Gründung von La Navidad ein Fehler gewesen war, des sumpfigen Klimas und des schlechten Hafens wegen, suchte er nach einem günstigeren Küstenplatz, der auch näher bei den vermuteten Goldbergwerken des Inlandes liegen sollte. Er wählte die fischreiche Bucht von Monte Christo, dort begann er im Dezember 1493 mit dem Bau der ersten spanischen Stadt in der Neuen Welt, die er Stadt der Königin nannte, Isabella, ihre Ruinen sind noch heute zu sehen. Die Indios, zumal die Frauen, gastfrei und hilfreich, wie stets bei der ersten Begegnung, brachten aus der fruchtbaren Landschaft die Fülle von Nahrungsmitteln, darunter auch Jamswurzeln, die die Europäer bald sehr schätzen lernten. Wichtiger war die noch unverbürgte Nachricht von der Nähe der Goldminen, es hieß, die Entfernung betrage nur hundertvierzig Kilometer, und sie lägen im Gebiet des Häuptlings Caonabo, desselben, der mit den Küstenstämmen in Fehde lebte und der, nach der Behauptung Guacamaris und seiner Leute, die Ansiedler von La Navidad getötet haben sollte. Der Admiral schickte eine Expedition in die Gegend, die Kundschafter kamen ganz aufgeregt zurück, sie schworen, sie hätten das Gold in den Tälern und Flüssen glänzen sehen, es gäbe dort Berge aus purem Gold, da wollte sich Columbus selbst von der Wahrheit der Berichte überzeugen und brach mit bewaffneter Begleitung ins Innere des Landes auf. Die Gebirge aus Gold wird er nicht gefunden haben; um sich ihrer für alle Fälle zu versichern, baute er im Distrikt von Cibao das Fort San Tomas, das im Laufe der Begebenheiten eine berüchtigte Mordstation wurde.

      Vom Ende des Jahres an häuften sich die Widrigkeiten, und Columbus war der Mann nicht, sie mit ruhiger Hand und kühlem Kopf zu besiegen. Er hatte dann immer das beleidigte Gefühl, als wolle das Schicksal ihm persönlich übel, und der Ausweg, den er jeweils fand, war von einer verzweifelten Stimmung eingegeben und daher fragwürdig. Eine unbekannte Krankheit verbreitete sich auf der Flotte, es wird ein tropisches Fieber gewesen sein; auch ihn ergriff sie und warf ihn bis zum März des andern Jahres nieder. Die Vorräte für die Mannschaft und die Herren schrumpften besorgniserregend zusammen, die Indios konnten zu genügenden Lieferungen nicht gezwungen werden, sie hatten begonnen, sich widerspenstig zu zeigen, in einigen Stämmen gärte ein gefährlicher Geist, da und dort kam es bereits zum Ausbruch von Feindseligkeiten; Gold wurde in viel geringerer Menge erhandelt und erpreßt, als man erwartet hatte, kein Wunder, daß die trägen Caballeros, die mit so überspannten Hoffnungen übers Meer gefahren waren, ihre Leichtgläubigkeit verwünschten, mutlos und aufsässig wurden und so bald wie möglich nach Spanien zurückzukehren begehrten, wo man nicht die Unverschämtheit hatte, Arbeit von ihnen zu verlangen, wirkliche Arbeit mit Spaten und Hammer und Pflugschar. Es war ein Verbrechen an ihrer Ehre, und da sie gänzlich unfähig waren, die Verhältnisse zu beurteilen und einer förderlichen Entwicklung der Kolonie nur im Wege waren, hatte der Admiral nichts gegen ihre Rückkehr einzuwenden und beauftragte den Admiral de Torres, Kapitän der Marigalante, sie auf zwölf Schiffen nach Spanien zu bringen. Das Memorial, das er dem de Torres einhändigte, damit er es den Majestäten übergebe, ist deshalb denkwürdig, weil es zum erstenmal die Frage, ob man die Indios als Sklaven verwenden solle, offiziell behandelt und die Maßregel mit allerlei schlauen Verklausulierungen und jesuitischen Beschönigungen plausibel zu machen sucht. Wiederum wendet er viele Worte auf, um den Hoheiten die reiche Ausbeute zu rühmen, die die Goldminen und Goldwäschereien erhoffen ließen. Von befriedigenden Erträgnissen spricht er gar nicht, nur eben von Aussichten. Den traurigen Zustand der Kolonie und der Expeditionsteilnehmer kann er nicht verhehlen; er zählt die Ursachen auf, die ihn verhindern, der geliebten Herrin große Mengen Goldes zu schicken, erstens die zahlreichen Krankheitsfälle, dann die Beschwerlichkeit der Arbeit in den Goldflüssen, der Mangel an gebahnten Wegen und an Transporttieren; das Zugvieh, das man aus Spanien mitgenommen, gedeihe nicht und sei zum Erbarmen abgemagert. Auch der europäische Mensch könne nicht gedeihen, wenn er nicht dieselben Nahrungsmittel erhalte, an die er zu Hause gewöhnt gewesen. Zu diesem Zweck seien verschiedene Anpflanzungsversuche gemacht worden, allein die Feldbebauer hätten ihre Tätigkeit alsbald eingestellt (warum, wagt er nicht zu gestehen, er hat Angst, daß sich die Hidalgos wegen der Bezichtigung an ihm rächen könnten). Am meisten sehnten sich die Leute nach Wein. Nun hatten aber die spanischen Weinhändler so und so viel hundert Fässer Wein an die Flotte liefern müssen. Ist der Vorrat so schnell verbraucht? Bewahre. Die Fässer waren schlecht, der größte Teil des Weines ist während der Ozeanfahrt ausgeronnen. Man sieht, die Kriegslieferanten haben sich schon damals auf ihr Geschäft verstanden. Der Admiral entlädt seinen ganzen Zorn auf sie, da braucht er niemand zu schonen, er kennt den Gang der Dinge bei Hof und weiß, daß man froh ist, wenn man untergeordnete Subjekte zu Sündenböcken machen kann für die Vergehungen hochgestellter. In der Tat trägt das Original des Memorandums eine Anmerkung von der Hand der Königin, worin sie dem Juan de Fonseca, jüngst zum Kolonialminister ernannt, den scharfen Befehl erteilt, er möge schleunigst untersuchen, wer den Betrug mit den Weinfässern verschuldet habe, damit man seine Güter beschlagnahme und ihn zum Schadenersatz verhalte.

      Ich brauche Korn, schreibt der Admiral, ich brauche Zwieback, Speck, Räucherfleisch, Rosinen, Zucker, Honig, Esel und Eselinnen. Ferner Pferde, schickt mir Pferde, sie sind unerläßlich zum Kampf wie zur friedlichen Bestellung des Landes. Da ist noch ein Schwindel geschehen. Man hat nicht die Pferde eingeschifft, die ihm vorgeführt worden waren, sondern bei weitem schlechtere. Wer hat den Profit davon gehabt? Offenbar Juan de Soria, denn er ist sein Feind, er muß die Tiere ausgetauscht haben. Die besoldeten Ritter, ja, die haben vortreffliches Pferdematerial, die Herren liegen krank in ihren Betten und erlauben nicht, daß ihre Tiere Dienst verrichten, um keinen Preis lassen sie das zu. Ein beklagenswerter Führer, der sich über Dienstverweigerungen beklagt, wahrhaftig. Aber hören wir weiter, was der Vizekönig der neuen Welt noch verlangt: Schuhe, Leder, Hemden, Leinwand, eingemachte Früchte, fünfzig Fässer Sirup, hundert Hakenbüchsen, hundert Armbruste, hundert Kisten Munition. Und vor allem: Menschen; vor allem fleißige, ordentliche Menschen, mit denen, die er hat, kann er nichts anfangen, Maurer sind vonnöten, Bergleute, Goldwäscher. Kurz und gut, es fehlt ihm alles, weil ihm in der fremden Welt nichts faßbar ist, nichts dienen kann, weil er ihre Hilfsquellen nicht kennt und von ihren Möglichkeiten nichts ahnt.

      Oder war die Forderung nach Menschen nur eine geschickte Vorbereitung für das eigentliche Projekt, das ihm im Sinne lag? Wozu sollen wir dir Menschen schicken, konnte ihm leichterdings geantwortet werden, du hast ja genug da drüben, Hunderttausende stehen dir zur Verfügung, richte sie ab, mache sie zu nützlichen Werkzeugen deiner Unternehmung. Jedoch Columbus denkt an zivilisatorische Aufgaben mitnichten, er will die Eingeborenen zu Handelsobjekten machen, sie sollen mit ihren Leibern den Staatsschatz bereichern; da sie nicht so viel Gold aufbringen, wie man füglich von ihnen erwarten konnte, sollen sie selber an Goldes Statt dienen, mit sich selber Zahlung


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