Gesammelte historische Romane von Jakob Wassermann. Jakob Wassermann

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Gesammelte historische Romane von Jakob Wassermann - Jakob Wassermann


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Tod gedacht. Die kündende Gewalt des Schicksals prallte kraftlos an seinem Innern ab. Und nicht die Jugend verursachte dies, nicht der stürmische Wille, der unaufhaltsam von Ding zu Ding, von Ereignis zu Ereignis sprang, nicht die spürbare Wärme des Blutes, das fühlbar pochende Herz, das schallende Wort, die sichtbare Welt und alles, was man greifen und schmecken kann. Es war etwas anderes, Ungreifbares, Geheimnisvolles; es baute Brücken über den Tod hinaus, es kannte kein Ende aller Enden, keinen letzten Weg, keine letzte Tat; Rausch und Taumel war sein Wesen, ein Sichaufrecken bis unter die Sterne, ein Verachten der gemeinen Lose, ein Fernhalten des Alltäglichen, Allstündlichen, – Unsterblichkeitswollust. Oft war es wie ein Prunktraum um Alexander, wenn die Schwerter klirrten und die Schilde klapperten und die Erde vom Schritt der Armeen dröhnte und der Himmel vom Brand gerötet war; oft hatte er beim Geschrei der Sterbenden Lust verspürt, sich mitten unter sie zu setzen und den Homer zu lesen.

      Ein unbeschreibliches Schweigen herrschte in der gewaltigen Halle, als er die Wieselfellmütze vom Kopf nahm und mit Ruhe das Diadem daran festband. »Nun, Osthanes,« wandte er sich an den Mager, »befrage deine Stäbe.« Ihn kitzelte das Verlangen, die fremden Götter zu reizen und herauszufordern.

      Osthanes öffnete den Köcher und warf die Tamariskenstäbe auf die Erde. Lange betrachtete er die wirren Figuren, die sie bildeten, dann verbarg er das Gesicht in den Händen. Die Söldner drängten sich heran. Alexander lächelte.

      Eumenes hatte die Leiche des Promachos gesehen und machte Alexander aufmerksam. Phason berichtete mit nackten Worten, was vorgefallen war und weshalb er den Elenden mit eigener Hand gerichtet. Er war seiner Sache nicht ganz sicher, und als er geendet, starrte er wie gebannt auf Alexanders Lippen. Aber Alexander antwortete nichts. Er schaute in das verzerrte Gesicht des Toten, dann erhob er den Blick, der einen kalten und gläsernen Ausdruck gewonnen hatte, und heftete ihn erst auf Phason, dann auf zwei, drei andere der umstehenden Makedonier. Es war ein stummer schneller Kampf zwischen ihnen, aber Alexander hatte bald gesiegt, die Blicke, die er aufgefangen hatte, krümmten sich und suchten den Boden. Nun grüßte er die Söldner mit einem Kopfnicken, faßte Hephästion unter den Arm und ging mit ihm gegen die Terrasse.

      Im Schatten der riesenhaften menschenköpfigen Marmorstiere blieben sie stehen. Gleich grünlich-blauem Kristall, aber zart und leicht, bog und hob sich der Himmel von der Ebene im Westen bis zu den schwärzlichen Hügeln im Osten hinüber. Aus dem Park schallte das Gebrüll eines Löwen. Den Blumen und Obstgärten entströmten berauschende Gerüche. Das Wasser des Flusses schimmerte in den Mondstrahlen wie ein unbewegliches, launisch verbogenes Silberband, die Ulmen und Platanen, die seine Ufer säumten, bewegten kräftigrauschend ihre Kronen.

      Zweites Kapitel.

       Die Hochzeitsfeier

       Inhaltsverzeichnis

      Am andern Tag fand die den Makedoniern versprochene Schuldenzahlung statt. An vielen Stellen des Lagers wurden große Tische aufgestellt und Hunderte von Sklaven schleppten aus dem Palast goldgefüllte Säcke herüber. Zuerst kamen die Makedonier nicht; sie fürchteten, Alexander wolle nur die Verschwender kennen lernen, um sie nachher ihren Leichtsinn doppelt entgelten zu lassen. Da verkündeten die Herolde, daß keiner seinen Namen nennen oder aufschreiben müsse, es genüge, wenn sie den Schatzmeistern die Höhe der Summe und den Gläubiger angäben. Dies stolze Vertrauen schmeichelte den Soldaten, und die meisten verschmähten es, Vorteile zu erlangen, wo die Gelegenheit zu List und Betrug allzuleicht war. Doch eine vibrierende Mißstimmung verschwand nur bei jenen, die sich sogleich wieder zum Trinken lagerten oder ihren Ausschweifungen ergaben. Die andern liehen den herumschwirrenden, kaum zu fassenden Gerüchten das Ohr. Ein grauer Regenhimmel hatte sich über Stadt und Lager verwoben, und sie betrachteten das Verschwinden der Sonne als ein böses Zeichen. Daß sie von den drückenden Schuldenlasten erlöst waren, erleichterte oder befriedigte sie nicht im geringsten; nur die Wünsche hatten noch Reiz für sie, jede Erfüllung war zugleich eine Enttäuschung. In nüchternen Stunden waren sie die unglücklichsten aller Menschen; der Freund fürchtete im Freund einen Verleumder und Verräter, sie wagten nicht mehr, ihre Gedanken in Worte umzusetzen, an die guten Götter glaubten sie nicht mehr, und die Mächte des Bösen fürchteten sie bis zum Wahnwitz; zu jeder Minute fühlten sie sich preisgegeben; da sie einem fremden Leben niemals den geringsten Wert beigemessen, sahen sie auch das eigene beständig vor dem Abgrund des Todes taumeln. Durch das lange Fernsein von der Heimat waren auch diejenigen entwurzelt, die einst aus dem mütterlichen Boden Kraft und Beständigkeit gesogen hatten; in ihnen war kein Glauben, kein Vertrauen, keine Hoffnung, keine Freude, keine Festigkeit, kein wahrer Ernst. Die Schlacht entflammte sie zum Blutdurst, wie der Wein zur Trunkenheit, und ohne Schlacht und ohne Trunkenheit waren diese Abertausende von erwachsenen Männern wie traurige Bestien, müde an sich selbst, müde an der Welt, aufgeregt durch schwere Träume, gepeinigt von maßlosen, aber leeren Begierden, willenlose Werkzeuge für jeden fremden Willen.

      So geschah es auch, daß unter den Edelknaben plötzlich eine Verschwörung gegen das Leben Alexanders ausbrach. Eigentlich um nichts, – die Sonne brütet Maden aus, der Sumpf treibt Blasen, die der leichteste Luftzug zerplatzen läßt. Aus einem trägen Knabengehirn war ein träges Gelüst aufgestiegen, empfangen im übersättigten Behagen, geboren und gehegt in der stachelnden Langeweile einer dumpfen Seele. Der eine fand einen zweiten, und auf dem Bett unnatürlicher Liebe reifte der Entschluß. Wenn die Verwegenheit von Männern nach dem Höchsten greift, wird ihre Tat im Feuer der Leidenschaft geglüht, aber diese vorzeitig ins wilde Leben gerissenen Knaben erlagen ihrem tückischen Trieb wie einer Krankheit. Ein rauhes Wort Alexanders gab den letzten Anstoß. In der Nacht der Hochzeiten sollte der Plan ausgeführt werden, am Morgen vorher wurde Hephästion durch einen Sklaven benachrichtigt, der ein verdächtiges Wort während des Bades der Edelknaben aufgeschnappt hatte. Hephästions erste Sorge war, alle Kunde von Alexander fernzuhalten und das giftige Gewebe in der Stille zu zerreißen. Wenn er davon erfuhr, dann war es aus mit den festlichen Tagen, noch ehe sie begonnen, dann geschah es wie damals in Baktra, daß mit drei Schuldigen dreihundert Unschuldige fielen, daß wochenlang das Gespenst des Verrates alle Lippen verschloß, daß Alexander, rasend gegen Freund und Feind, das Beispiel eines entfesselten Dämons gab. Deshalb pries Hephästion den Glückszufall, der ihm das Geheimnis entschleiert hatte, und ohne eine Minute zu säumen, entfaltete er eine fieberhafte Tätigkeit. Den Sklaven, dessen Mitwissen unbequem war, schickte er mit Aufträgen nach Babylon. Die beiden Edelknaben ließ er gefangen setzen und befahl, sie zu foltern, denn er brauchte Geständnisse, um die Ausdehnung des verbrecherischen Anschlags kennen zu lernen. In seiner Gegenwart wurden die Knaben entkleidet und noch einmal in Milde befragt. Sie schwiegen. Nun wurden sie an Pfähle gebunden und ihre Haut wurde mit glühenden Eisenspitzen durchbohrt. Es waren halbe Kinder, ihre Sündhaftigkeit war keiner Probe gewachsen, sie versprachen, alles zu gestehen, und Hephästion blieb mit ihnen allein.

      Sie erzählten. Ihre Beichte trug den Stempel der Wahrheit, jedes Wort war in Tränen gebadet. Wie es gekommen, warum es gekommen, wußten sie nicht zu sagen. Hephästion schauderte bis ins Mark hinein, als sie anfingen, Namen zu nennen; er schauderte und staunte über den Umkreis, den der finstere Plan in der Kürze der Zeit gezogen hatte. Manche hatten sich herzugedrängt, die nicht einmal wußten, was im Werke war, sie rochen es in der Luft, kamen nur aus dem dumpfen Trieb zur dunklen Tat, aus verruchter Neugier, aus Veränderungssucht. Da waren Leute, denen Alexander nur Gutes erwiesen, Männer von scheinbar erprobter Treue, die man sonst als Freunde, als Kameraden hochschätzen durfte, und nun!

      Warum? warum?

      In Hephästions Innern verging alles Licht. Er wurde an sich selbst irre. Er haßte den Boden, den sein Fuß betrat, die Luft, die sein Mund atmete. Doch er durfte sich den gefährlichen Regungen nicht hingeben; klar und rasch im Urteil, begann er zu handeln. Er ließ die zwei Knaben auf der Stelle erdrosseln, ihre Leiber in einer Sänfte außerhalb des Lagers schaffen und in seinem Beisein verscharren. Zurückgekommen, schickte er Boten herum und beschied die andern Verschwörer, es waren neun an der Zahl, zu sich in den Palast. Als sie kamen, ertönte im Lager schon die Hochzeitsfanfare. Er begab sich mit ihnen in einen abgelegenen Raum und redete sie an. Er machte ihnen weder Vorwürfe noch zeigte er ihnen


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