Gesammelte historische Romane von Jakob Wassermann. Jakob Wassermann

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Gesammelte historische Romane von Jakob Wassermann - Jakob Wassermann


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schwieg. Doch sein still brennender Blick hatte Worte genug: wogegen eiferst du? wogegen empörst du dich? die Elemente sind dir nicht zu Willen, gedulde dich; fasse dich, unglückseliges Herz, laß dich nicht hinreißen! träume noch ein wenig, vielleicht wird dein Aufwachen friedlich sein.

      Mit nackten Füßen schritt Alexander auf und ab; auf und ab, immer schneller, immer wilder. Das mantelartige Nachtgewand flatterte laut hinter ihm her. Er murmelte unverständliche Worte, seine Fäuste ballten sich, die Haut seines Gesichtes spannte sich, die nassen Haare bedeckten die Stirn und die eine Wange. Er ging hin und riß den Vorhang der Zelttür herab …

      Fahl glänzte der Morgen aus dem tiefen Osten der Wüste herauf. Wie Urweltschatten standen aufgewehte Dünen links und rechts. Die Wachen waren hingesunken. Ein einziger Mann stand gegen einen Pfahl gelehnt, schwarz und still.

      Unergründliche Einsamkeit!

      Mit einem Blick des Außersichseins starrte Alexander hinein in die Ödnis. Es war, als fordere er die Wüste zum Zweikampf heraus.

      Beim Aufbruch am Abend erhob sich ein Sturmwind, der die spärlichen Merkzeichen des Weges verwehte. Die von der Küste mitgenommenen Führer wußten nicht aus noch ein, sie blieben auf der Stelle und rührten sich nicht, eingeschüchtert durch die Verzweiflung der umstehenden Edelknaben Alexanders. Die Wahrsager suchten sich mit Hilfe der Sternbilder zurechtzufinden.

      Charmides, einer der jüngsten Edelknaben, saß eingesunken auf seiner nysäischen Stute, die Knie wie im Krampf emporgezogen, die Augen geschlossen. Bisweilen tastete er wie ein Schlafender über den Hals des Tieres hinaus, als suche er seine Gefährten. Doch viele waren schon dahin: der blondgelockte Philippides, den eine indische Sklavin so verzaubert hatte, daß er ihretwegen die fremden Götter anbetete; Medon, von Alexander besonders geliebt wegen seiner Tapferkeit; Himeneus, der schönste Jüngling aus Pella, Amphinomos, der Liebling des Leibwächters Ptolemäos. Die Sonne hatte sie getötet, der Sand begraben.

      Wie still war es geworden, daß selbst kein Stöhnen mehr zum Ohr drang. In dumpfem Schmerz die Augen öffnend, sah sich Charmides plötzlich allein. Das ganze Heer schien vom Erdboden eingesogen zu sein. Rötlichschwarze Luft zitterte um ihn, sein Kopf war weit in den Nacken gebeugt, wie nach rückwärts abgebrochen. Schon stockte ihm das Herz. Die Haut des ganzen Körpers war aufgequollen. Da ertönte eine Stimme, schauerlicher als die des Hierophanten bei den Mysterien. War es die eines Gottes, die eines Sterbenden? Das gänzlich erschöpfte Pferd wankte noch einmal nach vorwärts, dann blieb es, als seien die Sehnen seiner Knie zerschnitten, jäh an einen spitzen Felsen gelehnt stehen. Der blutige Schaum tropfte hörbar aus seinem Maul auf den Boden. Seine Haut erzitterte, dann rührte es sich nicht mehr. Im Stehen verendete es, erstarrte es.

      Charmides ließ sich herabgleiten. Er wollte rufen. Indem er den Mund öffnete, bemerkte er mit namenlosem Entsetzen, daß die Luft auf seinen Lippen keinen Klang gab. Er warf seine Arme über den Rücken des Pferdes und legte die Stirn auf die noch dampfende Weiche. Ein letztes Bild sah sein innerlich brechendes Auge: die rosig goldenen Hügel am Strand von Ambrakia, dort wo die Heimat war.

      Die Dunkelheit der Nacht konnte nicht einmal die qualvollen Verzerrungen der Gesichter verbergen. Jedem spiegelte sich das eigene Schicksal im Leiden des andern ungemildert. Das Auge der Tiere redete menschlich im Jammer des Untergangs, das der Menschen flackerte tierisch. Die Ordnung des Heeres war aufgelöst, alles taumelte durcheinander wie ein wüster Haufe unzertrennlicher Schatten. Die Kräftigeren lechzten nach dem Blut derer, die sich schon mit dem Tod schleppten. Das Flehen der Niedergefallenen ließ gleichgültig. Ihre Stimmen ertönten als ein schauderhaftes Summen die ganze Nacht lang; sie lockten die Hyänen an mit ihrem Geschrei. Überall lagen wahnsinnig Gewordene und wühlten die nackten Arme tief in den Sand. Trotz der vielfachen Sterbenslaute, des Ächzens, Röchelns, des Wehegestöhns der Weiber, Wimmerns der Kinder, des beständigen Schwirrens der Luft herrschte doch eine eigentümliche Stille. Es war, als ob alle diese Töne und Geräusche aus dem Innern der Erde kämen. Noch wurde der Weg für die Zurückgebliebenen, die sich wieder aufraffen konnten, deutlich bezeichnet. Aber einige Stunden, und der Flugsand begrub alles: die Leichname jeden Alters und Geschlechts, die Kadaver von Pferden, Hunden, Kamelen und Mauleseln. Da lagen fortgeworfene Helme, Schilde, Schwerter, Bogen und Speere. Da lagen goldene Becher, Perlen und Geschmeide; Ohrgehänge aus Elfenbein, zu wunderschönen Figuren geschnitzt; weiße Lederschuhe mit gefärbten Sohlen und hohen Absätzen; Tigerfelle von entzückender Schönheit, goldverzierte Kästchen und kleine Schränke, in denen Bartschminke und Salben aufbewahrt wurden; musselinene Unterkleider, Kleider aus Baumwolle, weiß wie Schnee, die den Namen des Besitzers mit Silberfäden eingestickt trugen; Münzen aller Art, silberne Rauchpfannen, kupfernes Kochgeschirr, Kämme aus Gold, goldene Ringe, goldene Statuetten, goldene Spiegel …

      Unberührt von den zermalmenden Mächten der Wüste, ging der Inder Kondanyo mitten in einem Haufen von Söldnern. Fahl wie der Sand waren ihre Gesichter; ihre Augenlider waren fingerdick geschwollen, ihre Lippen schwarz. Doch wenn Kondanyo sprach, zuckten die Leiber auf, die erstorbenen Augen schimmerten ein wenig, und sie suchten die Schritte der blutenden Füße leiser zu machen, um kein Wort zu verlieren.

      Nikokles, ein Kyprier der durch seine Grausamkeit berühmt war, der mehr Menschen aus bloßer Lust am Mord umgebracht hatte, als andere in der Schlacht, brach vor Kondanyos Augen zusammen. Einige Söldner schritten über ihn hinweg und wandten die Blicke ab, um ein Bild nicht sehen zu müssen, das ihnen ihr eigenes Los ausmalte.

      Kondanyo blieb stehen, beugte sich nieder und suchte den Mann aufzurichten.

      »Wasser, Wasser,« ächzte Nikokles.

      »Helft mir doch, Freunde, verlaßt ihn doch nicht so,« rief Kondanyo. »Du, Euius, du bist noch am kräftigsten, lauf doch voran, lauf doch zu den Wagen dorthin.«

      Keiner drehte sich um. Euius zögerte, dann schüttelte er apathisch den Kopf und wankte mit den andern weiter. Sie fürchteten sich, zu verweilen, sie hatten Angst, daß ihre Beine den Dienst versagen würden, wenn sie stehen blieben. Lieber wollten sie die Gegenwart des Inders entbehren.

      Bald war Kondanyo mit dem kyprischen Söldner allein. Weit drüben im Felsgelände wimmelten unkenntliche Menschenhaufen.

      Nikokles lag mit offenen Augen da. Er röchelte schwer. Kondanyo kauerte neben ihm, hob den Kopf des Söldners ein wenig empor und legte ihn auf seinen Schoß. Lange blickte er gedankenvoll vor sich hin, der Schmerz füllte seinen Mund, so daß ihm die Worte versagten. In den erstarrenden Augen des Kypriers war etwas seltsam Verlangendes, als ob er nur einen einzigen Hauch des Trostes suchte, um leichter sterben zu können.

      Kondanyo schüttelte den Kopf. Dann legte er die Hand auf Nikokles’ Stirne, beugte sein Gesicht noch tiefer herab und begann zu erzählen. Er wußte, daß es nur der Schall sein sollte, nur der tröstliche Klang einer Menschenstimme zur Bekämpfung des zermalmenden Verlassenheitsgefühls. So begann er vom erhabenen Prinzen Siddhatto zu erzählen, dem Sohn der Königin Maya, der zum Fluß Anoma ging und mit dem Schwert sein schönes Haupthaar abschnitt und unter dem Baum der Ziegenhirten mit der Welt rang, mit seiner Daseinslust, und wie er erkannte, daß der Tod besser sei als das Leben.

      Nikokles, diese grausame Geisel des Krieges, hörte mit langsam sich schließenden Augen zu. Er tastete nach der Hand des Greises, um sie zu küssen, und bevor er starb, verschönte ein Lächeln die wundgebissenen Lippen.

      Schlaflose Rast im brennenden Tag. Quellen gab es nicht mehr, die Brunnen waren eingestürzt, die Pfützen versiegt.

      Alexander ritt mit den Leibwächtern Seleukos und Leonnatos und dem Kanzler Eumenes gegen Süden, um die Küste des Meeres zu suchen. Fast nur durch das Erstaunen über Alexander aufrecht erhalten und mitgerissen, folgten ihm die drei auf ihren mühsam hinschleichenden Tieren. Gesicht, Gehör, Gefühl, alle Sinne waren ihnen erstorben. Sie würgten die eigene Zunge, die als dürrer schwarzer Klumpen im Gaumen lag, gegen den Rachen.

      Eumenes redete irr. Der riesenhafte Seleukos zitterte an allen Gliedern in geheimnisvoller Furcht. Dem Leonnatos drangen fortwährend dicke Tränentropfen aus den gelblichentzündeten Augen, und er suchte sie mit den Lippen aufzufangen.

      Alexander


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