Gesammelte historische Romane von Jakob Wassermann. Jakob Wassermann

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Gesammelte historische Romane von Jakob Wassermann - Jakob Wassermann


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das Abc aller Inquisition, die Phantasie ist abgehärtet dagegen, es ist auch so lange her, und gegen die verfeinerteren Künste des Mordes, die seitdem erfunden worden sind, ist die Methode zu primitiv. Es möge also nur als historisches Kuriosum betrachtet werden. Auch daß das Haus, nachdem Ovando die gefangene Anacaona galant hinausgeführt hatte, an allen vier Enden angezündet wurde, wobei vierzig, nach anderen Berichten achtzig Kaziken und vornehme Indios lebendig verbrannten. Der indianischen Herrscherin wurde ein Scheinprozeß gemacht, sie wurde des Hochverrats angeklagt, gleichfalls gefoltert und mit Rücksicht auf ihre Würde (por hazelle honra, wie die Formel lautete) nicht zum Scheiterhaufen, sondern zur Strafe des Stranges an einem eigens für sie errichteten Galgen verurteilt.

      Hierauf erst begann die systematische Vertilgung der ihrer Häupter beraubten Indios. Ich zitiere den Kron-und Augenzeugen Las Casas: »Traf es sich, daß einige Christen, entweder aus Mitleid oder aus Gewinnsucht, indianische Kinder raubten und mit sich aufs Pferd nahmen, so kam ein anderer hinterdrein geritten und durchbohrte das Kind mit der Lanze. Lag es noch zappelnd an der Erde, so ritt ein dritter herzu und hieb ihm Arme und Beine ab. Einige Indios, die dem Blutbad von Xaragua entgangen waren, flüchteten auf ihren Kanus nach dem acht Leguas entfernten Eiland Guanabo. Sie wurden vom Governador zu ewiger Sklaverei verurteilt, und jedem Spanier war erlaubt, sie zu jagen und einzufangen. Ich habe sie lebendig verbrennen, zerfleischen, mit neuen ausgeklügelten Martern quälen sehen. Der einzelnen Schandtaten sind so viele, daß ich nicht imstande bin, sie niederzuschreiben. Nur dies eine will ich sagen und vor Gott und meinem Gewissen bezeugen, daß die Indios nicht die geringste Veranlassung gaben, noch die geringste Schuld hatten und daß sie sich gegen die Christen nie eines todeswürdigen Verbrechens schuldig gemacht haben. Sogar Rache und Vergeltung gegen so blutige Teufel, wie es die Christen waren, übten nur wenige, und die waren, ich habe ja die meisten gut gekannt, kaum wilder und unbändiger als zwölfjährige Knaben. Der Krieg wider sie hatte nicht den Schein eines Rechts, die Christen aber waren so infernalisch grausam und ungerecht (fueron todas diabolicos ed injustissimas), wie man es von keinem Schinder und keinem Tyrannen auf Erden sagen kann. Alle diese Dinge habe ich mit meinen Augen gesehen und fürchte, sie zu wiederholen, weil ich mir selber kaum traue und zweifelhaft bin, ob ich sie nicht bloß geträumt habe.«

      Es gab in den Gebirgen einen kriegerischen Stamm, die Higueys, die zu unterwerfen und zur Tributleistung zu zwingen weder den Kapitänen des Columbus noch dem Adelantado noch Bobadilla gelungen war. Gegen die schickte Ovando den Hauptmann Juan de Esquibel, und obwohl diese Indios eine Kühnheit und Todesverachtung zeigten, die selbst jene Spanier in Erstaunen setzte, die noch gegen die Mauren gekämpft hatten, wurde der Haudegen Esquibel ihrer so gründlich Herr, daß er sie nach einigen Monaten bis auf den letzten Säugling ausgerottet hatte. Zunächst einmal ließ er die Weiber und Kinder aufspüren, die von den Ihren in den Wäldern und Felsenschluchten versteckt worden waren. Mit Hilfe der Schweißhunde war das nicht schwer. Sie wurden geschlachtet, gespießt, verstümmelt, verbrannt, zu Hunderten, daß es nur so rauchte. Die Männer, nach endlosen verzweifelten heroischen Kämpfen von Zuflucht zu Zuflucht gehetzt, flohen immer weiter in die Wildnisse, und eine letzte Schar von sechs-oder siebenhundert wurde von den verfolgenden Spaniern auf Esquibels Geheiß an den Rand eines tiefen Felsenabgrunds getrieben und samt und sonders hinuntergestürzt.

      Nach diesem Sieg gründete Ovando an der Küste von Xaragua eine Stadt, der er den Namen Santa Maria de la verdera paz verlieh. Vom wahrhaften Frieden. Er meinte vermutlich den Kirchhofsfrieden. Wenn er einen andern meinte, war er ein noch scheußlicheres Monstrum als durch seine Taten.

      Es ist eine eingefleischte europäische Überlieferung, daß die Syphilis durch die ersten Eroberer und Siedler aus Amerika in den alten Kontinent eingeschleppt worden ist. Das Faktum steht keineswegs unbestreitbar fest, aber wenn es auf Wahrheit beruht, könnte man darin eine immanente Vergeltung jener geschändeten, blutig mißhandelten, unmenschlich zu Boden getretenen Rasse erblicken, einen finstern Akt ausgleichender Gerechtigkeit. Zwar findet sich in keiner der zahllosen Nachrichtenquellen (meines Wissens wenigstens) auch nur die leiseste Andeutung, daß eine derartige Krankheit unter den Indios geherrscht habe; es mag jedoch sein, daß die zuerst von ihr ergriffenen Spanier aus Scham geschwiegen haben, zudem war die medizinische Ignoranz so groß, daß die meisten mit ihrem Übel lieber zum Beichtvater als zum Arzt gingen, und der Zustand der Hygiene so schauderhaft, daß die Seuche erst dadurch ihre verheerende Ausbreitung gewann. Es mag auch sein, daß sie, seit Jahrhunderten drüben lokalisiert, in den Jahren der Entdeckung schon dem Erlöschen nahe war und die kraftlos gewordenen Keime bei der Verpflanzung in das Blut einer andern Rasse jählings zu rasender Virulenz gediehen.

      Wie immer es sich verhielt, Europa hat die Rechnung, falls es noch eine offene Rechnung war, mit Zins und Zinseszins beglichen und, was es davontrug, überreich zurückbezahlt. Es zahlte mit den Blattern zurück, an denen Millionen und Millionen der Ureinwohner zugrunde gingen und in Südamerika vom Amazonenstrom bis Patagonien noch heutigentags zugrunde gehen; es zahlte mit dem Zwangskatholizismus, seinen Scheiterhaufen, Anathemen und der Abwürgung jeder freien Entwicklung zurück; mit der Zwangszivilisation, die degenerierende Bedürfnisse schuf und nebst mancher barbarischen viel ehrwürdige und erhaltende Sitte vernichtete; und es zahlte vor allem, und damit am verschwenderischsten und am tödlichsten, mit dem Alkohol zurück, der im Lauf von weniger als zweihundert Jahren die gesamten indianischen Völker des Nordens in jene geistige und seelische Ohnmacht versetzte, mittels derer sie ihrer (sehr geheimnisvollen, weil in die dunkelsten Epochen der Menschheit verschichteten) Kultur, ihrer Freiheit, ihrer Erde und ihrer Existenz beraubt werden konnten.

      Daher geht es nicht an, zu sagen, man solle die alten Historien auf sich beruhen lassen. So als ob es überflüssig und frivol wäre, sie aufzuwärmen, sie aus den Gräbern zu beschwören, da sie ja für uns von keinerlei Belang mehr seien, auch von keinerlei Ähnlichkeit mehr mit irgendeiner unserer entsprechenden Verfassungen, den sozialen, politischen, religiösen oder sonst welchen. Dies ist Trugschluß und selbstgenügsamer Irrtum. Denn alles ist nur scheinbar gewesen. Nichts war, alles ist und dauert fort. Gegenwart, wie sie der erste Augenblick der Zukunft ist, die der letzte Augenblick der Vergangenheit. Und weil das so ist, sind alle menschlichen Verantwortungen unablösbar und unaufhebbar, nicht durch die Zeit und nicht durch die Generationenfolge zu beseitigen.

      Nachdem neun Zehntel der indianischen Urbevölkerung Españolas auf die denkbar radikalste Manier vertilgt waren, hatte man sich wohl die Verlegenheit der fortwährenden Aufstände vom Hals geschafft, dafür erhob sich eine andere: es begann allgemach an Arbeitskräften zu fehlen. Um dieser neuen Mißlichkeit abzuhelfen, tauchte der Plan auf, senegambische Neger nach der Insel zu transportieren. Das Merkwürdigste an dem Vorschlag ist, daß er von demselben Las Casas stammte, der mit so edler Hingebung für die Menschenrechte der Indios kämpfte. Der Antrag, den er dem spanischen Hof und Kolonialamt machte, war: man möge zur Erleichterung des Schicksals der dezimierten Eingeborenen jedem Kolonisten erlauben, zwei Neger und zwei Negerinnen einzuführen. Ein Ausweg, der an höherer Stelle alsbald ernstlich erwogen wurde, und damit war der Anfang zu den berüchtigten Assientos gemacht, den Verträgen über die Einfuhr von Negersklaven, die die spanische Krone später mit den Handelshäusern Peralta, Reynez und Elvas schloß.

      Es ist eigen mit den Menschenfreunden, selbst wenn einer von so brüderlichem Geist beseelt ist wie der Priester Las Casas: Die kupferfarbene Kreatur will er retten, dafür gibt er die schwarzhäutige unbedenklich preis. Las Casas war der glühendste Verehrer des Columbus. War da vielleicht eine rätselhafte Influenz am Werk, Übertragung des Ideenhaften? War dem Adepten wie vorher dem Meister der Indio und sein Martyrium zur »Idee« geworden, zum nur Gedachten, zum Nichtgeschauten? Ideen sind unter allen Umständen mörderisch, sogar dann, wenn sie der Humanität dienen wollen. Und doch schrieb Columbus auf seiner letzten Heimfahrt: »An Española kann ich nicht ohne Tränen denken.«

      Letztes Kapitel.

       das düsterste von allen

       Inhaltsverzeichnis

      Auf dem defektesten Schiff, das man hatte auftreiben können, fährt Columbus nach Spanien. Das ist ihm so bestimmt, darüber beschwert er sich gar nicht mehr. Ovando hat ihn ohne Achtung behandelt, ohne die mindeste Rücksicht


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