Gesammelte historische Romane von Jakob Wassermann. Jakob Wassermann

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Gesammelte historische Romane von Jakob Wassermann - Jakob Wassermann


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besitzfroh unter den Wohlhabenden einer Stadt etablieren. Dazu war er nicht erzogen, und das lag auch nicht in seinem Temperament.

      Warum aber die Geschäftigkeit, das Geschimpf und Gestöhn, die ununterbrochenen Appelle, die angstvollen Bemühungen, sich die ihm zukommenden Erträgnisse zu sichern? Es ist nicht nur kaufmännischer Geist, der ihn dazu veranlaßt, obwohl er gewiß lächerliche, zerrbildhafte Stücke eines solchen in sich hat; nicht die Habsucht, die ihm von vielen Seiten nachgesagt wird, die jedoch nur heimlichere Beweggründe überlagert; nicht die krankhafte Hypochondrie, die zuletzt sein ganzes Wesen vergiftet haben muß; nicht einmal das resignierte Wissen um die Brüchigkeit der mit der Krone Spanien geschlossenen Verträge und um die treulose Willkür derer, von deren Pflicht-und Rechtsgefühl ihre Einhaltung abhing. Der Grund liegt tiefer. Es ist der klägliche Zusammenbruch seiner maßlosen Erwartungen, der ihn in die geifernde Würdelosigkeit trieb. Wenn vierzig-, wenn hunderttausend, wenn eine Million Pesos aus den Kolonien jährlich in seine Tasche fließen, was bedeutet das gegen seinen Feentraum von unerschöpflichen Reichtümern, der Vision von den goldenen Gebirgen Parias und Zipangus? von den Tempeln aus Smaragd und den Palästen aus Gold im Kaisertum des Großchans? von den Goldgruben im Lande Ophir? Schon daß er rechnen soll, ist Qual und Enttäuschung. Wie, eine Welt, und die hat ihm nicht mehr zu bieten, als daß man nur eben damit wirtschaften und seine Söhne versorgen kann? Er, Entdecker der seit Anfang der Schöpfung unbekannten Hälfte der Erde, der der Menschheit ein Geschenk in den Schoß geworfen hat, das sie nur von einem Gott erhoffen durfte, er soll feilschen mit Ämtern und Höflingen, sich herumschlagen mit betrügerischen Statthaltern, den guten Willen frecher Emporkömmlinge erschmeicheln und zittern, daß man ihm jenes mindeste, das man ihm schuldet, auch gewährt? Die Gnade des Königs? Auch diese Gnade noch ist ungerechte Schmälerung, er bedarf ihrer nicht, in seinem verschwiegenen Sinn steht er dem König ebenbürtig gegenüber: Fürst und Herr des neuen Indien. Gesalbt oder nicht gesalbt, das gilt bei so deutlicher Fügung Gottes gleich. Seine zukunftserobernden Gedanken haben ihm die Dinge anders gezeigt: das arme und verarmte Europa überschwemmt vom Golde, dessen Strom Cristobal Colón geöffnet und gelenkt, ein glückseliges Spanien, ein dankbares Genua, ein perikleisches Zeitalter, hallend von Colóns Ruhm, ein befreites Jerusalem, eine triumphierende Kirche, und er der Erlöser, der Heilige, der Messias.

      Aus diesem tödlichen Zwiespalt zwischen Phantasie und Wirklichkeit erwächst sein wahres Bild, begreift sich sein Ende.

      Am 5. Februar 1505 meldet er seinem Sohn, Amerigo Vespucci sei bei ihm gewesen, sie hätten viel miteinander gesprochen. Über den Gegenstand des Gesprächs läßt er nichts verlauten; daß die Unterhaltung nicht aufbewahrt ist, scheint mir ein ebenso großer Verlust wie der Untergang einer Armada oder die Zerstörung eines Meisterwerks der Renaissance. Wenn die Worte, die zwischen den beiden Männern gewechselt wurden, im Weltraum noch vorhanden sind, was zu vermuten steht, als Ätherwellen in einem fernen Planetensystem vielleicht, müßte man sie zurückzufangen suchen. Schade, daß solche Apparate noch nicht erfunden sind.

      Hier gilt es, ein welthistorisches Unrecht in die Erinnerung zu rufen. Vespucci hatte zwei Reisen nach dem amerikanischen Festland unternommen, eine im Auftrag Lorenzos de Medici im Jahre 1499 und eine im Dienst des Königs Emanuel von Portugal im Jahre 1503. Der lateinisch geschriebene Bericht über die zweite Expedition, der 1505 in Straßburg erschien, verschaffte ihm eine sensationelle Berühmtheit und war der Anlaß, daß die Neue Welt den Namen Amerika erhielt. Ein unbedeutender deutscher Gelehrter, Waldseemüller, mehr Schulmeister als Forscher, hat als erster diesen Namen auf einer von ihm verfertigten Karte eingezeichnet. Nun hatte aber Columbus den mittelamerikanischen Kontinent, genauer gesagt die Küste von Paria, bereits im Jahre 1498 entdeckt, und um ihm diese Entdeckung streitig zu machen, sei es aus Neid gegen ihn, sei es aus Gefälligkeit gegen den Florentiner, sei es aus Liebedienerei gegen den portugiesischen König, sei es aus irgendwelchen andern trüben Motiven, verlegten die Anhänger und Verkündiger des Vespucci dessen Expedition um ein Jahr zurück, also in das Jahr 1497. Diese betrügerische Verschiebung kam klar zutage, als Diego Colón den Prozeß um seine ererbten Privilegien gegen die spanische Krone führte. Als Zeuge wurde unter vielen andern auch Alonzo de Ojeda geladen, der an der ersten Reise Vespuccis teilgenommen hatte; er stellte vor den Richtern ausdrücklich die Priorität des Columbus fest und erklärte, daß er selbst die Seekarte gesehen habe, die der Admiral damals den Majestäten geschickt; dann erst habe Vespucci mit ihm und Juan de la Cosa die Fahrt gewagt. Amerigo Vespucci ist wohl an der ganzen intriganten Machenschaft unschuldig, er war ein bescheidener vornehmer Mensch, der das Gefühl der Rivalität nicht kannte und dem es nie eingefallen wäre, den Ruhm des Vorgängers verdunkeln zu wollen; es sind vielmehr die unkritischen Bücherschreiber und geschwätzigen Chronisten, die, nachrichtengierig oder Opfer ihrer Leichtgläubigkeit, jene schier unausrottbare Falschmeldung in den geschichtlichen Verlauf gebracht haben; findet sie sich doch z. B. noch in der Brockhausschen Enzyklopädie vom Jahre 1819. Es muß damals in Spanien eine ganze Partei geschworener Feinde und anonymer Widersacher des Columbus gegeben haben; sie hatten überall ihre Hände im Spiel, wo sein Andenken getrübt und seine unsterbliche Tat verkleinert werden sollte. Aber im vorliegenden Fall läßt sich nichts tun. Wir können Amerika nicht mehr in Columbia umtaufen, es bleibt Amerika, und es hat einen eigentümlich finstern Witz, ganz in der Geist-und Lebenslinie seines Entdeckers, daß der Erdteil infolge eines Mißverständnisses und der kleinen Ränke kleiner Leute gleichsam unter falscher Flagge segelt.

      Ich stelle mir vor, daß der Admiral in jener Unterredung den Vespucci zur Rechenschaft aufforderte, daß er ihn der Feigheit, der Unlauterkeit zieh und ihn fragte, warum er nicht wenigstens den Übereifer seiner Freunde gezügelt habe. Wußtet ihr nicht, daß ich längst vor euch im Lande Paria gewesen bin, daß ich dieses Brasilien längst vor euch betreten habe? mag er gefragt haben. Oder hat er ihn nur still angehört, selber feig in gewohnter Menschenfurcht, sich mit heimlichem Seufzen begnügend in gewohnter Menschenverachtung? Die Rede wird wohl auf den neuen Kontinent gekommen sein, und da allerdings wird der Admiral aufgebraust sein, da wird sein Auge fanatisch geflammt haben. Neuer Kontinent? Für ihn gab es keinen neuen Kontinent. Er anerkannte ihn nicht. Für ihn gab es Zipangu, gab es die Länder Mangi und Cathaja, gab es das Festland von Asien. Dort ist er gewesen, dort ist er unzweifelhaft gelandet, und nur ein klein weniges, ein wenig Zeit, ein wenig Geduld, ein wenig Schicksalsgunst, ein wenig Gesundheit noch, und er hätte die Durchfahrt zu den Ländern am Ganges gefunden. Haben nicht seine Leute in Cuba mit heiligem Eid beschworen, daß sie die asiatische Küste betreten haben? Die Protokolle sind vorhanden, sie liegen in der königlichen Kanzlei, man kann sie zu jeder Stunde prüfen. Ich sehe, wie das hagere, von tausend Wettern gegerbte Grecogesicht des greisen Seefahrers von Leidenschaft erbebt, wie das fahle Grau seiner verloschenen Augen wieder in der alten Prophetenglut sich entzündet, als er diesem emporgekommenen Piloten und Zufallsentdecker den großen Leitgedanken seines Lebens auseinandersetzt und mit dem zitternden Zeigefinger auf der Erdkarte ihm beweist, daß alle diese indischen Inseln von Guanahani bis Trinidad, von Janahica bis zur Landschaft Veragua nur der Vorhof zum gewaltigen Reich des Großchans sind, von dem er in Cuba einen vorgeschobenen Zipfel erfaßt hat. Es gibt kein Amerika, dieses Amerika bildet ihr euch nur ein, es ist ein teuflischer Spuk.

      Amerigo Vespucci senkt still den Kopf. Er wundert sich. Man schreibt ja das Jahr 1505 und nicht mehr 1492. Man hat ungeahnte Erkenntnisse gewonnen. Wo war der Admiral in der Zwischenzeit? Wo hat er gelebt, geistig nämlich? Die Wissenschaft ist weitergeschritten. Die Berechnungen Toscanellis sind längst überholt. Die Kosmographen des vorigen Jahrhunderts haben sich getäuscht. Die Zahl der Längengrade, die sie als Entfernung angenommen, stimmen mit dem Umfang der Erde nicht überein. Man hat den Fehler gefunden und korrigiert. Schon vor fünf Jahren hat der große Lionardo da Vinci die indische Hypothese für falsch erklärt. Infolgedessen existiert Amerika. Es muß existieren, denn Asien liegt Tausende von Seemeilen darüber hinaus. Das ist mathematisch errechnet, darüber gibt es keine Debatte.

      Aber Vespucci verschweigt diese Argumente. Er ist ein Weltmann, er weiß, was sich gegen den Nestor der Seefahrtskunde ziemt, er beugt sich vor dem furchtlosen Bemeisterer des Ozeans, er ist stolz auf ihn als Landsmann, er empfindet Ehrfurcht vor seiner Person und Bewunderung für seine ungeheure Leistung, ihn jammert das abgehärmte Antlitz, die hinfällige Gestalt, und schließlich, er achtet seinen Irrtum, der etwas Großartiges und Erschütterndes hat. Vielleicht muß man in solchem Irrtum sterben, wenn man wahr gelebt


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