Gesammelte historische Romane von Jakob Wassermann. Jakob Wassermann

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Gesammelte historische Romane von Jakob Wassermann - Jakob Wassermann


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Amerika.

      Noch ein Jahr. Es ist Verhauchen, Versickern, Schattenspiel. Ende Februar erlaubt ihm der König, statt zu Pferde auf einem Maultier an den Hof zu kommen, ein Vorrecht, das nur selten gewährt wurde, doch erst drei Monate später kann er aufbrechen. Als er in Segovia anlangt, ist der König nach Leon gereist. Er begibt sich über Salamanca nach Valladolid, wo er den König endlich trifft. Diese Irrfahrten sind ihm nicht unbekannt. Alles in seinem Leben ist Irrfahrt gewesen, so hat es begonnen, so muß es enden. Unbemerkt, in einen braunen Mantel gehüllt, von Alter und Krankheit gebeugt, nur von seinem Bruder Bartolome (dessen unabänderliche Treue hier tragisch umwittert ist) und einem einzigen Diener begleitet, zieht er in der Stadt ein. Der König läßt ihn tagelang warten, ehe er ihn empfängt. »Ich bin in der Tat so unglücklich, wie ich es sage; bisher habe ich über andere geweint, möge der Himmel mir die Gnade gewähren, daß die Menschen über mich weinen.« Diese Stelle aus der sogenannten lettera rarissima ist der Ausdruck seiner Stimmung in dieser ganzen Zeit.

      Über alle Beschwerden, über jede Forderung behält sich der König die Entscheidung vor. Er lächelt dem Admiral zu, er überhäuft ihn mit Lobsprüchen, er beteuert, daß er die Größe seiner Verdienste vollkommen anerkenne, er verspricht Untersuchung, gerechtes Gericht: und dabei bleibt es. Der bloße Vorschlag auf Wiedereinsetzung in die Ämter und Würden stößt auf eisiges Befremden. Es wird ein Prozeßfall konstruiert und zum Urteil ein Tribunal berufen, das den sonderbaren Titel Junta de descargos führt, Rat zur Gewissensentlastung des Königs und der verstorbenen Königin. Was dahinter steckt, ist der plötzliche Einwand Ferdinands, daß Colón die Privilegien von der hingeschiedenen Isabella erhalten habe und daß er für seine Person, obschon er ja seinen Namen unter die Verträge gesetzt, für ihre Erfüllung nicht verantwortlich sei. Erbärmlicher Schacher. Durch das Gewebe der erniedrigenden Verhandlungen, Scheinbewilligungen, Verschleppungen und Rechtsklaubereien tritt der Charakter Ferdinands in seiner unergründlichen Falschheit plastisch hervor. Mochte ihn die auferlegte Verpflichtung zu hoch dünken, was sie auch war, unvernünftig und undurchführbar, und das war sie, er hätte den Weg zur äußerlichen Befriedigung, Beruhigung nur, des maßlos gekränkten Mannes finden und ihn nicht in seinen Vorzimmern als Bettler und in seinen Kanzleien, genau wie vor fünfzehn Jahren, als verlachten Störenfried demütigen lassen müssen. Es hätte wenig gekostet, weniger vielleicht, als er später dann doch zu zahlen gezwungen war. Und diese fünfzehn Jahre, dank eben jenem Mann, bedeuteten einen dynastischen, politischen und wirtschaftlichen Aufschwung von einem Tempo und einer Intensität, daß es dafür kaum ein Beispiel in der Geschichte der Völker gab.

      Der Admiral hatte nicht mehr die physischen Kräfte, den höfischen und juristischen Ränkespielen entgegenzutreten. Er hatte noch eine schwache Hoffnung: die Ankunft Philipps von Österreich mit seiner Gattin, Isabellas Tochter. Es wurde ihm zwar gesagt, wie es mit Donna Juana stand, daß ihre jahrealte tiefe Schwermut bereits alle Merkmale des Wahnsinns zeigte; was konnte er von ihr erwarten? was von dem leichtsinnigen und genußsüchtigen Habsburger? Dennoch wollte er dem neuen Herrscherpaar entgegenreisen, ein schwerer Gichtanfall warf ihn unterwegs auf irgendein Zufallslager, und er beauftragte an seiner statt Bartolome, Philipp und der jungen Fürstin »die Hände zu küssen«. Das Schreiben, das er ihm mitgab, schloß mit den Worten: »Eure Hoheiten können versichert sein, daß ich, so sehr mich auch mein Übel gegenwärtig peinigt, gleichwohl imstande sein werde, Ihnen noch Dienste zu leisten, wie sie die Welt bisher nicht gesehen hat.«

      Ist es der nahe Tod, der ihn zu so hohlen Verheißungen aufpeitscht und ihm den Sinn trübt selbst für die Wirklichkeit des Sterbens? Als er seine letzte Stunde kommen fühlte, ließ er Notar und Zeugen rufen, um sein Testament aus dem Jahre 1498 zu annullieren und ein neues abzufassen. Dieses beginnt mit dem donquichotischen Diktum: »Als ich dem König und der Königin mit Indien ein freiwilliges Geschenk machte…« Er bleibt in seinem Stil, es ist dieselbe Fanfare, dieselbe feierliche Grandezza, dieselbe Verstiegenheit, mit denen er einstmals den Prior von La Rabida verblüfft hat. Jetzt wandte er sich an die Nachwelt damit. Und die Nachwelt tat das beste, was sie unter solchen Umständen tun konnte: sie begrub seine Worte in Schweigen und behielt nur seinen Namen und seine Tat im Gedächtnis. Am 19. Mai traf er die letzten Anordnungen, am 20. Mai, dem Tag vor Christi Himmelfahrt, starb er. Vielleicht gab es niemals müdere Augen als die seinen, da sie sich für ewig schlössen.

      Die Unrast, die über den Lebenden verhängt gewesen, war auch Los und Stigma des Toten. Zuerst wurde er im Gewölbe des Franziskanerklosters zu Valladolid bestattet. Vier Jahre später brachte sein Sohn Diego den Leichnam in das Kartäuserkloster Santa Maria de las Cuevas bei Sevilla. Nach Diegos Tod erbat seine Witwe von Kaiser Karl V. die Erlaubnis, die Überreste des ersten Admirals, wie es sein Wunsch gewesen, in Españiola beisetzen zu dürfen. Die Bitte wurde gewährt. Im Jahre 1673 zerstörte ein Erdbeben die Kathedrale von San Domingo, die Gebeine des Entdeckers vermischten sich mit den Knochen aus den andern Gräbern, sie wurden mit vieler Mühe wieder zusammengesucht und abermals begraben. Als im Jahre 1745 die Insel an Frankreich kam, ließ der spanische Admiral d’Artibazel die Gruft öffnen, das Skelett trotz seiner zweifelhaften Identität herausnehmen und in den Dom von Habana überführen.

      Es war, als habe Christoph Columbus in Hader mit seinem Schicksal kein Ende finden können; als habe er noch im Grab sehnsüchtig hingestrebt nach seinem Indien, seinem geliebten Espanola, um sich auch dort noch, Schatten und Gerippe, störrisch gegen die augenscheinliche Existenz jenes Amerika zu wehren, das die Leugnung seines hohen Traums vom Paradies und dem Märchenreich des Großchans war.

      Sein Ruhm ist Scherbenwerk; man setzt es mühselig zusammen, und plötzlich entschwebt ihm ein Geist, der uns brüderlich grüßt.

       Alexander in Babylon

       Inhaltsverzeichnis

       Vorspiel

       Erstes Kapitel. Das Diadem

       Zweites Kapitel. Die Hochzeitsfeier

       Drittes Kapitel. Liblitu

       Viertes Kapitel. Die Makedonier

       Fünftes Kapitel. Hephästion

       Sechstes Kapitel. Fieber

       Siebentes Kapitel. Die Nächte zwischen den Strömen

       Achtes Kapitel. Die Chaldäer

       Neuntes Kapitel. Arrhidäos

       Zehntes Kapitel. Der Dämon diademgeschmückt

       Elftes Kapitel. Ein Zwiegespräch

       Zwölftes Kapitel. Der Ring

       Dreizehntes Kapitel. Babylon

      Vorspiel

       Inhaltsverzeichnis

      Am


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