Gesammelte historische Romane von Jakob Wassermann. Jakob Wassermann

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Gesammelte historische Romane von Jakob Wassermann - Jakob Wassermann


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das ist die Hauptsache, denn der ist ihnen allmählich die Verkörperung allen Unglücks geworden. Das Komplott wird entdeckt oder verraten, es kommt zum Aufruhr, Columbus, der seit zweieinhalb Monaten krank in seiner Koje liegt und von seinem Sohn und seinem Bruder bewacht wird, verschwendet Warnungen und Ermahnungen, die Leute sind vollkommen außer sich, sie bedrohen den Urheber ihrer Qualen mit dem Tod, und nach einer greulichen Szene werden sie von einem Dutzend Treugebliebener zu friedlichem Abzug von der Insel bewogen. Auf zehn Kanus, die der Admiral den Indios abgekauft hat, schiffen sich achtundvierzig Menschen ein, rudern an der Küste ostwärts, stehlen und plündern, wo sie können, und als sie dann die offene See erreichen, wirft sie ein wütender Sturm an das Gestade Jamaikas zurück. Sämtliche Boote zerschellen, und die sich ans Land zu retten vermögen, fünfunddreißig etwa, ziehen als gesetzloser Haufen, mordend, brandschatzend, Geißel der Indios, abends und nachts von Dorf zu Dorf. Begreiflich, daß die von der Plage betroffenen Kaziken von dem Admiral Schutz gegen die Banditen fordern und, da er hierzu außerstande ist, die Lebensmittelzufuhr gänzlich sperren, und zwar in einer legitimen Form, indem sie nämlich die Marktpreise ins Unerschwingliche hinauftreiben und die Tauschartikel verächtlich zurückweisen.

      In dieser äußersten Bedrängnis hat Columbus eine Erleuchtung. Aus dem Kalender des Regiomontan, den er bei sich hat, weiß er, daß am 29. Februar eine totale Mondfinsternis eintreten wird. Er schickt einen indianischen Dolmetscher an die vornehmsten Kaziken und lädt sie für den Tag der Himmelserscheinung zu einer Versammlung ein. Als alle gekommen sind, erhebt er sich zu einer feierlichen Ansprache. Er sagt ihnen, er und seine Gefährten stünden unter dem Schutz eines allmächtigen Gottes, der die Guten belohne und die Bösen bestrafe. Dieser Gott, Herr des Donners und der Blitze, der Sonne, des Mondes und der Sterne, sei höchlich erzürnt, weil die Bewohner von Janahica seine Anbeter und weißen Lieblinge dem Hunger preisgäben. Änderten sie ihre Gesinnung nicht, so würde Feuer vom Himmel fallen und Verderben über sie und ihre Familien kommen lassen; zum Zeichen seines Grimmes würde er in der folgenden Nacht zuerst mit blutigem Antlitz auf sie herabschauen, sich dann mit schwarzem Tränenflor so lange bedecken, bis sie gelobt hätten, seinen treuen Sohn Cristobal Colón mit ausreichender Nahrung zu versehen. Dieses astronomische Gauklerstück, das den Admiral in der ihm so natürlichen Rolle des tragischen Komödianten wie in einem Blendlicht zeigt, hat den gewünschten Erfolg. Während er sich beim Beginn der Verdunkelung in seine Kajüte zurückzieht, wobei er vorgibt, ein wenig mit seinem Gott zu sprechen, und der Mond, scharlachrot aus dem Ozean steigend, sich alsbald mit Schwärze überdeckt, werden die Indios von schauderndem Entsetzen befallen, laufen heulend zu ihren Kanus, schleppen herbei, was sie an Vorräten besitzen, und versprechen, alles zu tun, was der Admiral will, nur möge er den Herrn des Himmels bitten, nicht länger böse zu sein. Als darauf der Mond wieder klar am Firmament steht, verwandelt sich ihr Jammer in Freudengeschrei, und von nun an verehren sie in Columbus den großen Magier, der in Gottes besonderer Gunst stehen müsse, da ihm auf Erden bekannt sei, was im Himmel beschlossen worden. Sie halten auch ihr Wort und bringen täglich frische Vorräte zum Hafen, wo die traurigen Wracks liegen.

      Dieses Geschehnis wird am eingehendsten von Hernando Colón geschildert, der ja als Knabe unmittelbarer Zeuge davon war. Ob es sich genau oder nur ungefähr so zugetragen, ob die späte Erinnerung ihre entstellende Redaktion daran vorgenommen hat, läßt sich nicht sagen. Wunderlich genug, daß Hernando von dem Erlebnis dieser Reise, das für einen Jüngling seines Alters überwältigend und unvergeßlich gewesen sein muß, nur spärliche und recht unbeträchtliche Mitteilungen zu machen hat. Sonst wüßten wir vielleicht über seinen Vater die ganze Wahrheit, die ein für allemal verlorengegangene abgründig-schaurige oder heilig-herrliche Wahrheit, die wir nur erraten und ertasten können. So wie die Dinge liegen, muß man sogar die sachlichen Angaben aus jener Zeit mit Vorsicht behandeln, da in ihren Menschen nicht bloß das Organ für Wahrheit, sondern auch das für Wahrnehmung seltsam verkümmert war. Wir von heute glauben natürlich, daß wir diesen Zustand kindlicher Unentwickeltheit hinter uns haben; wir wissen aber nicht, wie die Menschen in fünfhundert Jahren darüber urteilen werden.

      Indessen ist Diego Mendez das Unerhörte gelungen: er hat auf seinem Nachen Española erreicht. Er landet am Kap Tiburon und erfährt, daß der Gouverneur Ovando mit Heeresmacht nach Xaragua gezogen ist, um, wieder und wieder, die aufrührerischen Stämme zu unterwerfen. Er bricht sofort auf, wandert zu Fuß nach Xaragua, trifft Ovando und übergibt ihm den Brief des Admirals. Ovando gebraucht allerlei Ausreden, behauptet, keine Schiffe zu haben, verschiebt die Befehle, die er unverzüglich erteilen sollte, von Tag zu Tag, von Woche zu Woche, und der gutgläubige Mendez läßt sich sonderbarerweise durch Gott weiß welche Künste und Gründe volle sieben Monate lang hinhalten, bis der Gouverneur die Indios zu Paaren getrieben hat. Diesen Sieg feiert er nach der spanischen Kolonistentradition dadurch, daß er vierundachtzig Häuptlinge hängen, köpfen, verbrennen und vierteilen läßt, unter ihnen die Königin Anacaona, diese Penthesilea des Westens. Da er auch dann noch zögert, ist Mendez mit seiner Geduld am Ende, das Gewissen schlägt ihm, er verkündet seine Absicht, in San Domingo für Rechnung des Admirals ein Schiff zu chartern und es mit den notwendigsten Vorräten beladen nach Jamaika zu schicken. Ovando will es darauf doch nicht ankommen lassen, nicht etwa, daß er sich geschämt hätte, aber er mußte die Mißbilligung der Königin fürchten, und was den König betraf, so wußte man nie, wie am Hof der Wind sich drehte. So beauftragt er also den Diego de Escobar, eine kleine, reisefertig im Hafen liegende Galleazze zu nehmen und dem Admiral Botschaft zu überbringen. Mehr nicht? Nur Botschaft? Nun, wir werden hören. Die Botschaft besteht in einem schnörkeligen Schreiben voll sauersüßer Trostsprüche, worin er beteuert, es sei in diesem Augenblick in Española kein Fahrzeug von hinreichendem Tonnengehalt zum Abholen der Schiffbrüchigen verfügbar. Die Wahl Escobars war bezeichnend genug. Er hatte zu den Mitverschworenen Roldans gehört, war vom Admiral zum Tode verurteilt, von Bobadilla freigesprochen worden, von ihm konnte Columbus nichts Gutes erwarten. Er entledigte sich des Auftrags im Geist seines Gebieters. Er landete unweit von dort, wo die Wracks in den Sand gebohrt lagen, der erschütternde Jubel, in den der Admiral und seine Leute beim Anblick seines Schiffes ausbrachen, ließ ihn kalt; was er mitbrachte, war (kaum glaublich, aber es wird bezeugt) ein Fäßchen Wein und ein Stück schimmeliger Speck für den Admiral; den Brief gab er ab und ersuchte, ihm die Antwort an den Governador sogleich auszuhändigen, da er noch in derselben Nacht die Anker zur Rückkehr lichten müsse.

      Es ist möglich, daß Ovando dem Escobar befohlen hatte, er solle den Admiral allein aufnehmen und den andern sagen, sie würden später abgeholt; es ist möglich, daß dies dem Columbus auch ausgerichtet wurde und daß er sich weigerte, die Gefährten seines Unglücks zu verlassen. Die meisten Chronisten neigen dieser Ansicht zu, sie gibt ihnen jedenfalls Gelegenheit, die hochherzige Selbstverleugnung ihres Helden zu rühmen. Der Brief aber, den er an den Gouverneur von Española schrieb, nötigt zu dem Schluß, daß ihm von einer solchen Absicht Ovandos nichts bekannt war, und wenn man irgendwelches Interesse an dessen Ehre hat, bleibt nur die Vermutung offen, Escobar, rachsüchtig und schadenfroh, habe die ihm erteilte Order einfach unterschlagen. Der Brief des Admirals war in den flehentlichsten Ausdrücken abgefaßt. So erniedrigen kann sich nur ein Lump oder ein Heiliger. »Ich weiß, sehr edler Señor«, schreibt er, »Ihr würdet selbst Eure Person zu meiner Rettung wagen, davon bin ich so fest überzeugt wie von meinem Leben. Noch immer wohne ich im Wrack meines gestrandeten Schiffes, nicht auf tausend Bogen Papier könnte ich alles Ungemach, alles Elend und alle Not niederschreiben, die ich erduldet, und bin nun, nächst der Gottes, Eurer Hilfe gewiß, wofür alle meine Nachkommen Euch zu Dank verpflichtet sein werden.«

      Ovando konnte die Hilfsaktion nur verschleppen, gänzlich unterlassen konnte er sie nicht. Auch in seinem eigenen Machtbereich wurde von Anhängern des Admirals ein Druck auf ihn ausgeübt, dem er nachgeben mußte. Doch wurde es Juni, bis endlich eine größere Karavelle in Jamaika erschien; sie kam fast gleichzeitig mit dem Schiff, das Diego Mendez ausgerüstet hatte. Columbus hat später diesen Tag als den glücklichsten seines Lebens gepriesen. Das spezifische Schicksal, das ihm die Götter vorbehalten, hatte ihm, so konnte er glauben, seine Bitternisse bis zur Neige zu kosten gegeben. Aber in dem Punkt sind die höheren Mächte erfinderisch, er hätte es wissen sollen.

      Es war nicht zu umgehen, daß man ihm auf Española einen längeren Aufenthalt zur Erholung gewährte. Als er der Insel vom Meere her ansichtig wurde, der schönen Hügel, der blühenden Matten,


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